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Hersteller des „Handy-Knochens“

Neuer Markenauftritt: Was ist eigentlich aus Nokia geworden?

Das Nokia 6800 aus dem Jahr 2003 war ein Klapphandy mit besonderer Konstruktion. In der Klappschale befand sich eine eigene Tastatur. Das abgebildete Exemplar ist schwer beschädigt; unter anderem fehlt die Klappe, nur das Scharnier ist übrig.

Das Nokia 6800 aus dem Jahr 2003 war ein Klapphandy mit besonderer Konstruktion. In der Klappschale befand sich eine eigene Tastatur. Das abgebildete Exemplar ist schwer beschädigt; unter anderem fehlt die Klappe, nur das Scharnier ist übrig.

Hannover. Wer die frühen Tage des Mobiltelefons mitbekommen hat, der dürfte an einer Marke nicht vorbeigekommen sein. Es war der Hersteller des „Knochens“, wie man ihn heute liebevoll nennt. Ein schier unkaputtbares Gerät, das man wahrscheinlich auch mit einem Auto hätte überrollen können, ohne es zu beschädigen. Mit einem Akku, dessen Ausdauer die jedes Smartphones völlig in den Schatten stellt.

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Genau diesen Ruf hatten die Handys der Marke Nokia. Finnische Qualitätsarbeit, finnisches Kulturgut, mit legendärem Design und legendären Ringtones: Der Standardsound mit 13 aufeinanderfolgenden Tönen, ursprünglich eine Komposition des spanischen Komponisten Francisco Tárrega, dürfte zu den meistgehörten Musikstücken der Welt gehören. Das Handyspiel „Snake“ raubte Millionen Handynutzerinnen und -nutzern den letzten Nerv.

Heute hört man von Nokia nicht mehr viel. Die Marktführerschaft für Mobiltelefone haben längst andere inne, genau genommen stellt Nokia selbst gar keine mehr her. Und dennoch gibt es immer wieder Lebenszeichen vom finnischen Unternehmen. Erst vor wenigen Tagen hat der Konzern einen neuen Markenauftritt angekündigt – inklusive brandneuem Logo, das kaum noch an seine Zeit als Mobiltelefonkonzern erinnert. Was macht das einstige Kultunternehmen eigentlich heute?

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Nokia, der Papierkonzern

Was die wenigsten wissen dürften: Die Geschichte Nokias beginnt nicht erst in den Achtzigerjahren, als die ersten Mobiltelefone auf den Markt kommen. Gegründet wird das finnische Unternehmen bereits 1865 – damals spezialisiert sich Nokia allerdings noch nicht auf Handys, sondern auf Papier.

Gegründet wird der spätere Erfolgskonzern vom Ingenieur Fredrik Idestam in Tampere im Südwesten Finnlands. In den Anfangsjahren produziert das Unternehmen Papiererzeugnisse – exportiert werden sie etwa nach Großbritannien und nach Russland. Das Geschäft läuft so gut, dass drei Jahre nach der Gründung ein zweites Werk folgt – es liegt in der unweit westlich gelegenen Stadt Nokia. Wiederum drei Jahre später gründet Idestam mit seinem Studienfreund Leo Mechelin eine gemeinsame Firma mit dem Namen Namen Nokia Aktiebolag.

Das Unternehmen ist so erfolgreich, dass es sich mit der Zeit immer weitere Geschäftszweige erschließt, häufig durch Unternehmenszukäufe. Man versucht sich in der Stromerzeugung, produziert Gummistiefel und Räder für Rollstühle. 1967 schließt sich Nokia mit den Suomen Gummitehdas (Finnische Gummi-Werke) und den Suomen Kaapelitehdas (Finnische Kabelwerke) zusammen – und produziert künftig neben Papier und Gummi auch Elektronik und Kabel.

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Von der Unterhaltungselektronik zum Mobiltelefon

1975 geht Nokia ein Joint Venture mit dem finnischen Elektronikhersteller Salora für Radiogeräte ein. In den Achtzigerjahren kauft Nokia den schwedischen TV-Hersteller Luxor und den französischen TV-Gerätebauer Oceanic. Auch den Bereich Audio-Video-Elektronik des Herstellers Standard Elektrik Lorenz (SEL) kauft Nokia auf. Über viele Jahre vertreibt das Unternehmen Farbfernsehgeräte, Videorecorder und Verstärker.

Damit allerdings ist irgendwann Schluss – ebenso mit dem Geschäft für Papier, Gummi, Bodenbeläge und Ventilationssysteme. Nach und nach stößt das finnische Unternehmen seine vielen Geschäftszweige ab. Der Grund: Man möchte sich künftig vor allem einem widmen – dem vielversprechenden Geschäft mit Mobiltelefonen.

Schon ab 1982 bringt der Konzern mit dem Mobira Senator ein zehn Kilo schweres Autotelefon auf den Markt. Es gilt konzernintern zunächst als Spielerei. Fünf Jahre später allerdings folgt mit dem Mobira Cityman 900 das erste echte Nokia-Mobiltelefon für die Hosentasche – oder besser gesagt für die Handtasche. Das Gerät ist mit seinen 183×43×79 mm nämlich ein riesiger Klotz, hat eine lange Antenne, monströse Tasten und eine Schlaufe zum Festhalten.

Erstes Smartphone der Welt

1992 beginnt mit dem Nokia 1011 schließlich die Massenproduktion eines Mobiltelefons unter eigenem Namen – und es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Der Name des Telefons geht auf sein Erscheinungsdatum zurück, den 10.11. (1992). Es kann bereits SMS empfangen und senden und es ist zusätzlich das erste GSM-fähige Telefon. Der Preis zum Marktstart allerdings ist happig: rund 2500 Mark.

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Parallel arbeitet das Unternehmen an weiteren technischen Innovationen. Auf der Cebit in Hannover wird 1996 unter den staunenden Augen der Weltpresse der Nokia 9000 Communicator vorgestellt. Es ist ein Mobiltelefon, das sich aufklappen lässt und den Luxus einer kompletten Tastatur und eines breiten Bildschirms bietet – ein früher Vorgänger des Smartphones also. Per Knopfdruck lassen sich Telefonbuch, Kalender und ein Internetbrowser aktivieren.

Der Nokia Communicator gilt als das erste Smartphone – erfolgreich war er allerdings nie.

Der Nokia Communicator gilt als das erste Smartphone – erfolgreich war er allerdings nie.

Endgültig erobern die Mobiltelefone des Konzerns den Markt, als das Nokia 1100 erscheint. Der fast baugleiche Nachfolger des 1011 wird insgesamt rund 200 Millionen Mal verkauft und ist bis mindestens zum Jahr 2007 das meistverkaufte Gerät überhaupt – noch vor iPod und Playstation. Besonderer Verkaufsschlager ist insbesondere auch die eingebaute Taschenlampe des Geräts. Zwischen 1998 und 2011 ist das finnische Unternehmen durchgehend der weltgrößte Mobiltelefonhersteller.

Fast jeder hatte in den 2000er-Jahren ein Handy von Nokia.

Fast jeder hatte in den 2000er-Jahren ein Handy von Nokia.

Von der MMS zum Lippenstift-Handy

In dieser Zeit macht das Unternehmen alle Trends mit, die der Telefonmarkt zu bieten hat – und ist auch häufig Vorreiter. Nokia ist einer der ersten Hersteller, der etwa die MMS unterstützt und damit auch das Verschicken von Bildern und Videos. Aus quietschigen Klingeltönen werden irgendwann polyphone, später dann echte Sounds. Auch Klapphandys, mit denen zu dieser Zeit vor allem Konkurrent Motorola erfolgreich ist, vertreibt das Unternehmen.

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Sogar ganz ungewöhnliche Modelle kommen auf den Markt, etwa das sogenannte „Lipstick Phone“, das Nokia 7280. Es hat einen Bildschirm, der bei Inaktivität zu einem Spiegel wird – perfekt zum Schminken. Bekannt wird es durch cleveres Product Placement in Musikvideos, etwa in „Beep“ von den Pussycat Dolls. Das ist im Februar 2006 – und der letzte große Auftritt des Konzerns, ehe der Niedergang beginnt.

Nur ein Jahr später stellt Apple das erste iPhone vor. Es leitet nicht nur das Ende des klassischen Mobiltelefons ein, sondern auch das von Nokia als Handyhersteller.

Der Anfang vom Ende

Das iPhone hat endlich all das, was frühe Versuche wie etwa der Nokia-Communicator nicht haben: ein modernes Design, ein intelligentes Touch-Display, eine simple Bedienung. Apple gelingt es, seine jahrelangen Kompetenzen aus der Software-, Hardware-Entwicklung und Design zusammenzubringen. Die finnische Konkurrenz kann da nicht mithalten.

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Nokia hat zwar ein eigenes Betriebssystem auf dem Markt, es heißt Symbian und ist eigentlich für smarte Telefone mit Tastatur gedacht. Der Plan, damit an den Erfolg von Apple anzuknüpfen scheitert allerdings kläglich. Später versucht es der finnische Konzern mit Android-Handys. Da ist der Zug allerdings längst abgefahren.

Auch Microsoft kann Nokia nicht retten

Eine Kooperation mit Microsoft soll die Nokia-Smartphones schließlich retten. Es erscheinen einige bunte und von Experten gelobte Nokia-Lumia-Geräte mit Windows-Betriebssystem – ein großer Erfolg werden sie allerdings nicht.

Die Marktanteile Nokias stürzen von 2007 bis 2012 von ungefähr 50 auf 3,5 Prozent ab. Den Niedergang des Unternehmens bekommt auch Deutschland zu spüren. 2008 schließt in Bochum das fest verwurzelte Nokia-Werk. 2000 Menschen verlieren ihren Job. Die Produktion soll „aus Wettbewerbsgründen“ nach Rumänien verlegt werden.

2013 stößt Nokia seine Handysparte endgültig ab und verkauft sie an Microsoft. 2016 trennt sich schließlich auch der US-Konzern von den Namensrechten.

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Was wurde aus Nokia?

Und damit wären wir auch beim aktuellen Stand der Geschichte. Denn das Unternehmen Nokia gibt es noch immer. Sogar Handys werden noch unter dem Namen produziert. Das Unternehmensgebilde rund um die Marke ist allerdings etwas komplexer.

Die Namensrechte an der Handymarke Nokia hält seit 2016 das Unternehmen HMD Global. Es sitzt im finnischen Espoo – und zwar genau gegenüber der Nokia-Konzernzentrale. Auch ist das Unternehmen größtenteils mit ehemaligen Nokia-Führungskräften besetzt. Anteile an HMD hat Nokia aber nicht. Vielmehr agiert der Konzern als Partner und stellt Patente und Technologien gegen Zahlung von Lizenzgebühren bereit.

Das Nokia C32 ist eines der aktuellsten Smartphones des Herstellers.

Das Nokia C32 ist eines der aktuellsten Smartphones des Herstellers.

Der Vertrag läuft vorerst bis 2024. Demnach darf HMD Global die Marke Nokia auf allen Arten von Mobiltelefonen und Tablets weltweit nutzen, mit Ausnahme von Japan. Hier werden Nokia-Handys seit 2008 nicht mehr verkauft. Das erste Gerät unter neuer Führung erscheint im Dezember 2016, es ist ein Basistelefon mit dem Namen Nokia 150. Einen Monat später folgt das erste Smartphone mit Android, das Nokia 6. Es folgen das Nokia 3 und das Nokia 5.

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Selbst das 3310 lebt noch

HMD steckt vor allem Entwicklungsarbeit in die Kamera, die schon bei Lumia-Smartphones unter Microsoft hoch gelobt worden war. Dafür arbeitet das Unternehmen mit der Carl Zeiss AG zusammen. 2017 folgt mit dem Nokia 8 das erste Flaggschiff-Smartphone des Konzerns. Auf allen Geräten läuft Googles Betriebssystem Android mit minimalen Anpassungen – so ist etwa der klassische Nokia-Startton vorinstalliert.

HMD vermarktet die Smartphones so, wie man Nokia in Erinnerung hat: „Pure, secure and up to date“ („makellos, sicher und aktuell“) ist einer der Werbeslogans. Auch das legendäre Basishandy Nokia 3310 ist bei HMD nach wie vor erhältlich – jedoch in einer aufgefrischten Version.

Das echte Unternehmen Nokia hat mit all dem allerdings überhaupt nichts mehr zu tun, denn hier beschäftigt man sich inzwischen mit ganz anderen Dingen.

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Technik für die Zukunft

Wer heute die Website des finnischen Unternehmens aufruft, findet dort nicht einmal mehr einen Hinweis auf die legendäre Handyvergangenheit. Stattdessen springen einem bunte Bilder von supermodernen Städten entgegen, durch die Schwebebahnen fahren, die futuristische Häuser mit begrünten Fassaden haben und eine Naturoase im Stadtzentrum. Das Unternehmen sieht sich als Mitgestalter der Zukunft, mit allerhand technischen Entwicklungen.

Seit dem Abstoßen der Handysparte kümmert sich der finnische Konzern vor allem um Netzwerk-Infrastruktur. Dazu gehören etwa Technologien für die Industrie oder den öffentlichen Sektor für kritische Mobilfunknetzwerke. Schon frühzeitig setzte das Unternehmen dabei auch auf 5G, was heute in vielen Mobilfunkverträgen Standard ist.

Auch entwickelt Nokia Cloud-Lösungen für Kommunikationsdienstleister sowie Technik für intelligente Geräte. Insgesamt vier Geschäftsfelder sind heute Teil des Unternehmens: Die Sparte Mobile Networks, die Network Infrastructure, die Cloud and Network Services und die Nokia Technologies. Auf dem „Mobile World Congress 2023″ haben Bosch und Nokia nun eine gemeinsame Forschung für den neuen Mobilfunkstandard 6G bekannt gegeben – es geht um die Integration von Kommunikation und Sensorik.

Neues Logo, neue Kunden

Der klassische Endkonsument, der einst seinen Alltag mit dem Nokia-Handy meisterte, dürfte von diesen Aktivitäten heute kaum noch etwas mitbekommen. Soll er aber auch gar nicht: Erst vor wenigen Tagen führte das Unternehmen Nokia einen umfassenden Marken-Relaunch durch, der seinen Wandel von der Handyfirma zum Profitechnologieunternehmen zementieren soll.

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Dazu gehört auch ein völlig neues Logo: Statt des kantigen und weltberühmten Schriftzugs ist das Wort Nokia heute mit abgeschnittenen Buchstaben zu lesen. Dem N, K und A fehlt dabei immer ein Strich.

Nokia-Chef Pekka Lundmark erklärt gegenüber der Agentur Bloomberg: „In den Köpfen der meisten Menschen sind wir immer noch eine erfolgreiche Mobiltelefonmarke, aber das ist nicht das, worum es bei Nokia geht.“ Vielmehr wolle er „eine neue Marke auf den Markt bringen, die sich sehr stark auf Netzwerke und die industrielle Digitalisierung konzentriert, was etwas völlig anderes ist als die alten Mobiltelefone.“

Das neue Logo des finnischen Unternehmens Nokia.

Das neue Logo des finnischen Unternehmens Nokia.

Beim Smartphone bleibt das Retroflair

Kurios: Die von HMD übernommene Handysparte wird das neue Logo nicht bekommen. Erst am Samstag vergangener Woche und damit einen Tag vor der Vorstellung des neuen Logos stellte das Unternehmen das neue Flaggschiff-Smartphone G22 vor. Auf ihm prankt weiterhin der gute alte Nokia-Schriftzug, wie er seit 60 Jahren im Einsatz ist.

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Und auch ansonsten bleibt die Marke sich treu: Das G22 hat nach eigenen Angaben eine „gigantische Akkulaufzeit“ von drei Tagen und besteht zu 100 Prozent aus recyceltem Kunststoff. Und: Es lässt sich nach Angaben des Konzerns schnell und einfach selbst reparieren. Springt etwa das Display oder geht der Akku nur Neige, lassen sich diese einfach ersetzen.

Ob das Smartphone ein Erfolg wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt Papier. Der Marktanteil Nokias am Smartphone-Markt ist – trotz allem Vertrauen in die Marke – weiterhin verschwindend gering. Berechnungen von Counterpoint Research zufolge war HMD Global 2021 für weniger als 2 Prozent aller Handyverkäufe in Europa verantwortlich. Insbesondere während der Pandemie brachen die Verkäufe demnach noch mal deutlich ein.

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