Meme-Forscherin im Interview: „Memes sind eine Art Insiderwitz im Internet“
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Meme-Forscherin Idil-Galip bezeichnet es als Akt der Freundschaft, wenn Freundinnen und Freunde Memes miteinander teilen.
© Quelle: Jacob Ammentorp Lund/iStockphoto
Sie sind mehr als nur lustige Bilder: Memes prägen schon lange das Internet. „Bad Luck Brian“, das Bild eines Mannes, der alles falsch macht, war ein ebenso großer Netzhype wie das Meme „Stonks“, das vor allem für schlechte finanzielle Entscheidungen steht. Wie Memes zu einem so großen und bedeutsamen Teil der Netzkultur werden konnten, weiß Forscherin Idil Galip ganz genau: Das Internetphänomen ist der Forschungsschwerpunkt der Soziologie-Doktorandin von der Universität in Edinburgh. Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt sie, wie sich Memes im Laufe der Zeit verändert haben – und warum nicht alle Menschen den Humor verstehen.
Frau Galip, Memes sind seit Jahren ein fester Bestandteil des Internets – aber wie lassen sie sich genau definieren?
Eine eigentlich einfache Frage, auf die es aber eine eher komplizierte Antwort gibt. Denn fast jede und jeder kennt und erkennt Memes, also etwa die witzigen Bilder mit ihren kurzen Schriftzügen, wenn sie oder er sie sieht. Aber es ist schwierig, sie zu beschreiben. Ich würde sie als eine Art digitale Collage und Vorlage definieren, die Teil der Internetkultur ist und von Menschen verändert und mitgestaltet werden kann.
Vor allem aus sozialen Netzwerken sind Memes nicht mehr wegzudenken. Freunde schicken sich gegenseitig Memes oder verlinken sich auf den witzigen Bildern und Videos. Welche kommunikative Rolle übernehmen Memes auf Facebook, Instagram und Co.?
Jemanden auf einem Meme zu verlinken, ist fast schon ein Akt der Freundschaft – gerade in Zeiten der Corona-Pandemie.
Jemanden auf einem Meme zu verlinken, ist fast schon ein Akt der Freundschaft – gerade in Zeiten der Corona-Pandemie. Denn wenn Freundinnen oder Freunde mir ein Meme schicken, sagen sie mir auch, dass sie bei diesem Meme an mich denken mussten. Und dass sie mich gut kennen, weil sie wussten, dass ich das Meme lustig finden würde. Das ist ein sehr positiver Aspekt von Memes, weil sich Menschen über diese Geste freuen.
Die Memes vor zehn Jahren sind kaum noch mit den Memes zu vergleichen, die heute im Trend sind. Wie haben sie sich im Laufe der Zeit verändert?
Früher gab es eine recht überschaubare Zahl von Memes und Meme-Charakteren. Damals musste man lediglich über sogenannte Meme-Generatoren einen kurzen Text in der Kopf- und Unterzeile des Bildes eingeben – und schon war das Meme fertig. Das war somit ein eher mechanischer Prozess, der im Zuge der zunehmenden Globalisierung des Internets etwas zu langweilig für die meisten Nutzerinnen und Nutzer war. Heutzutage nutzen Userinnen und User primär Bildbearbeitungs-Apps für Smartphones, mit denen sie Memes erstellen können, ohne Grafikdesignerin oder -designer zu sein. Das bietet natürlich mehr kreative Freiheit.
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Idil Galip ist eine Soziologie-Doktorandin an der University of Edinburgh in Schottland. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Memes.
© Quelle: David Stinton
Auf der beliebten Video-App Tiktok trenden aktuell zudem Vemes – also Video-Memes. Werden sie sich gegenüber den Bildern durchsetzen?
Das kommt ganz darauf an, wie Menschen künftig das Internet nutzen werden. Plattformen wie Tiktok erleben derzeit einen Boom, also ist auch davon auszugehen, dass Video-Memes auch weiterhin beliebter werden. Aber für viele Video-Memes muss man sich auch selbst filmen – das erfordert viel Selbstvertrauen. Vor allem jüngere Leute fühlen sich tendenziell wohler damit, sich im Netz zu präsentieren. Schließlich kennen sie es nicht anders. Ältere Generationen wollen ihre Anonymität dagegen beibehalten.
Sie sind Meme-Forscherin. Womit beschäftigt sich die Forschung zu Memes überhaupt?
Als Soziologie-Doktorandin untersuche ich zurzeit, wie Meme-Produzenten mit Memes Geld verdienen. Mich interessiert dabei vor allem, wie Multimediakünstlerinnen und -künstler mit Memes Karriere machen. Aber im Allgemeinen kann die akademische Literatur zu Memes in zwei Gruppen unterteilt werden. Einige Forscherinnen und Forscher untersuchen Memes als Objekte. Sie wollen also unter anderem herausfinden, ob Memes wirklich etwas Einzigartiges sind oder ob sie schon in der Vergangenheit in etwas anderer Form existiert haben. Ein anderer Teil der Forschung beschäftigt sich mit den Funktionen von Memes.
Welche Funktionen erfüllen Memes denn?
Grundsätzlich kann man zwischen kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Funktionen unterscheiden. Bei der politischen Funktion spielt die Gruppenzugehörigkeit eine große Rolle. Denn Memes können auch teils komplexe politische Ideen vermitteln – und wer diese Memes versteht, fühlt sich einer politischen Gruppe zugehörig. Diese Form der politischen Kommunikation sehe ich teils als positiv und teils als negativ an.
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Klassiker der Meme-Kultur: „Bad Luck Brian“.
© Quelle: Pinterest
Was sind konkret die Vor- und Nachteile von politischen Memes?
Gesellschaftlich betrachtet fördern Memes das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit.
Manche Memes können mit politischen Wahlplakaten verglichen werden: Weil der Platz begrenzt ist, muss man in wenigen Worten überzeugende und schlagfertige Argumente liefern. Zwar gibt es auch die sogenannten „Wall-of-Text-Memes“: Eine abwertende Bezeichnung für die eher textlastigen Memes vieler Linker, die eine eher tiefgründigere Konversation starten wollen. Aber der Großteil der Memes enthält nur wenig Text – und das ist auch gut so, weil man dadurch eine Idee sehr schnell verbreiten und damit viele Menschen erreichen kann. Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass manche Menschen diese kurzen Informationen falsch interpretieren könnten und sich nicht weiter damit auseinandersetzen, was das Meme eigentlich ausdrücken wollte. Dadurch können Menschen Fehlinformationen verbreiten.
Sie erwähnten zuvor noch die kulturellen und gesellschaftlichen Funktionen von Memes.
Gesellschaftlich betrachtet fördern Memes das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit – auch wenn diese Zugehörigkeit eher virtuell als physisch ist. Sprich: Memes sind meist eine Art Insiderwitz im Internet, den nur eine kleine Gruppe von Menschen versteht. Die kulturelle Funktion umfasst sowohl die gesellschaftlichen las auch politischen Aspekte. Memes sind ein großer Teil der Netzkultur, weil so viele Menschen tagtäglich neue Memes erschaffen.
Insiderwitz ist das Stichwort: Memes sind in sozialen Netzwerken auch gerade deshalb so beliebt, weil sie witzig sind.
Genau. Das liegt an ihrer ironischen Natur – das ist bei den meisten Memes schon die halbe Miete. Ein weiterer großer Bestandteil sind die Anspielungen auf etwas Bestimmtes, wie beispielsweise bekannte Filme. Ob jemand diese Anspielungen versteht und die Ironie hinter dem Meme lustig findet, ist stark von der Zielgruppe abhängig. Manche Memes sollen dabei viral gehen und möglichst viele Menschen erreichen, während andere etwas nischenartig sind. Wenn sich Memes über die Gepflogenheit lustig machen, in der Dusche plötzlich gute Argumente für den verlorenen Streit am Tag zuvor zu finden, erreicht man damit ziemlich viele Menschen. Wenn es aber etwa um ein Meme zu einem komplexen politischen Diskurs geht, können für gewöhnlich deutlich weniger Menschen den Humor verstehen.
Vor allem ältere Menschen tun sich eher schwer damit, Memes zu verstehen. Sind sie dafür einfach die falsche Zielgruppe?
Zunächst einmal gibt es ähnlich wie Medienkompetenz auch eine Art Meme-Kompetenz. Die Frage ist also: Wie gut versteht man die Netzkultur? Die jüngeren Generationen, die mit dem Internet sozusagen aufgewachsen sind, verstehen Memes im Allgemeinen also schon besser. Aber auch die 20 oder 30 Jahre Älteren können Memes sehr witzig finden – und sogar auch lustige Memes kreieren. Meine Eltern sind beispielsweise viel auf Facebook unterwegs, aber dafür weniger auf Twitter und Instagram. Somit finden sie gewisse Memes auf Facebook witzig, die wiederum jüngere Menschen als veraltet bezeichnen würden.
Ist die Art der Memes ausschlaggebend dafür, ob man sie witzig findet oder nicht?
Ja. Wenn man so will, könnten sogar die kleinen Comics in Zeitungen als eine Art Meme angesehen werden, die es schon vor dem Internet gab. Ähnlich wie Memes haben sie eine Vorlage, die stets verändert wird: Sie erscheinen immer in kleinen quadratischen Boxen in der Zeitung, haben jedoch einen jeweils anderen Bildtext. Somit sind beliebte Charaktere aus diesen Comics, wie etwa die Peanuts in den USA, vergleichbar mit bekannten Charakteren in Memes. Jüngere Menschen finden die Zeitungscomics zwar nicht mehr witzig, aber die älteren Generationen können noch heute über sie lachen, weil sie den Humor besser verstehen.