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Vier Mutanten sind besonders im Fokus

Immer neue Varianten: Welche Corona-Version könnte uns den Herbst vermiesen?

Porträt einer neuen Virusvariante: So sieht Omikron unter dem Mikroskop aus.

Porträt einer neuen Virusvariante: So sieht Omikron unter dem Mikroskop aus.

Die Corona-Lage im Herbst wird ungemütlich. Das prognostizieren Expertinnen und Experten schon seit Monaten. Inzwischen steigen die Infektionszahlen wieder, ebenso wie die Zahl schwer verlaufender Atemwegsinfektionen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Das schreibt das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem aktuellen Wochenbericht. Die Behörde weist jedoch darauf hin, dass die Daten zur Krankheitsschwere schwer zu interpretieren seien, weil sie gleichermaßen Erkrankte umfassen würden, bei denen Covid-19 nur eine Begleitdiagnose, nicht aber der Hauptgrund für die Behandlung im Krankenhaus ist.

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Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist die Lage eindeutig: „Wir befinden uns ganz klar am Beginn einer Herbst- und Winterwelle“, sagte er Ende September bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler in Berlin. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Zahlen bald wieder vierstellig sind.“ Es werde auch in diesem Herbst und Winter viel zu tun geben.

Wie ungemütlich es genau wird, das weiß niemand. Virologe Christian Drosten rechnet beispielsweise mit einer starken Corona-Welle noch vor Dezember. Auch wenn die Krankheitsverläufe leichter wären, werde dies wahrscheinlich zu erheblichen Arbeitsausfällen führen, prognostizierte der Direktor der Virologie an der Berliner Charité Anfang September im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“.

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Über den weiteren Verlauf entscheidet vor allem die Evolution des Coronavirus – und die ist wie immer unberechenbar. Der Erreger selbst gibt den Takt an. Es kann sein, dass Omikron bleibt. Es könnte sich aber auch eine andere Virusvariante mit veränderten Eigenschaften durchsetzen. Die maßgebende Frage wird dann sein: Welche Eigenschaften sind das? Kann die Variante das Immunsystem noch besser überlisten? Sorgt sie dadurch wieder für mehr Ansteckungen, auch bei Geimpften? Werden Infizierte wieder schwerer krank?

Die Antworten auf diese Fragen bestimmen, wie ausgelastet die Kranken­häuser in diesem Herbst sein werden, wie viele Menschen sich isolieren müssen, wie groß die Personal­ausfälle sein werden.

Coronav-Variante „Centaurus“ breitet sich in Indien aus

„Es gibt im Moment eine große Zahl von Varianten, die das Potential haben, eine neue Welle zu verursachen“, sagte Richard Neher Anfang September gegenüber dem RND. Er forscht am Biozentrum der Universität Basel zur Evolution des Coronavirus und hat das Projekt Nextstrain ins Leben gerufen, mit dem Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler fast in Echtzeit verfolgen können, wie sich der Erreger verändert. Diese potenziellen Wellen­verursacher kämen in Europa aber noch selten vor. Es handelt sich dabei vor allem um Nachfahren der Omikron-Varianten BA.2 und BA.5.

Eine dieser Omikron-Nachkommen ist die Variante BA.2.75. Sie trägt den inoffiziellen Spitznamen Centaurus (Zentaur). Erstmals nachgewiesen wurde die Virusvariante im Mai in Indien, wo sie inzwischen das Infektions­geschehen dominiert. Aber auch in anderen Ländern breitet sich der Subtyp immer mehr aus, zum Beispiel in Deutschland. Bisher geht von BA.2.75 hierzulande aber keine Gefahr aus: Seit Ende Juni wurde die Variante 155‑mal in Corona-Proben entdeckt.

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Noch ist nicht allzu viel über die Eigenschaften des Omikron-Subtyps bekannt. Die Mutationen würden zumindest auf ausgeprägte Immun­flucht­eigenschaften hindeuten, heißt es vonseiten des RKI. Das heißt, BA.2.75 ist in der Lage, die Immun­antworten von Geimpften und Genesenen zu umgehen. Reinfektionen und Impf­durch­brüche sind damit wahrscheinlicher.

Studie: Impfstoffe können BA.2.75 neutralisieren

Die Immunflucht der Virusvariante sei jedoch nur minimal verschärft, berichtete Leif Erik Sander Anfang September auf Twitter. Der Impf­stoff­forscher von der Berliner Charité verwies auf eine Studie der Uniklinik Köln, die untersucht hat, wie stark Antikörper BA.2.75 neutralisieren können. Sie ist am 6. September im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen. An der Untersuchung teilgenommen hatten 30 Beschäftigte aus dem Gesundheits­wesen und über 70‑Jährige, die drei Dosen des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer erhalten hatten.

Lauterbach: Sind besser vorbereitet auf kommende Corona-Welle
06.10.2022, Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, äußert sich bei einer Pressekonferenz im Bundesgesundheitsministerium zu Corona-Schutzmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen. Das Ministerium hat sich mit den Pflegeverbänden, den Pflegekassen sowie den kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt, wie Pflegeeinrichtungen auf die erwartete Corona-Welle im Herbst reagieren sollen. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Laut Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach ist Deutschland besser auf die kommende Corona-Welle vorbereitet als noch in den vergangenen zwei Jahren.

Die Ergebnisse stimmen zuversichtlich: Die Antikörper der Probandinnen und Probanden konnten BA.2.75 zwar schlechter neutralisieren als den Omikron-Subtyp BA.2, aber besser als BA.4/BA.5. Auch die monoklonalen Antikörper Tixage­vimab/Cilga­vimab, die zur Behandlung von Covid‑19-Erkrankten eingesetzt werden, zeigten eine gute Neutralisation.

Gesundheitsminister Lauterbach sprach von einer wichtigen Studie. „Die gute Nachricht liegt darin, dass mit den neuen angepassten bivalenten BA1-Impfstoffen auch die BA.2.75-Variante gut abgedeckt wäre“, twitterte er Anfang September.

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Anlass zur Sorge ist die neu entdeckte Omikron-Variante momentan also nicht. „Centaurus“ wurde von der Welt­gesundheits­organisation WHO dennoch als „Variante unter Beobachtung“ eingestuft.

Omikron BJ.1 in Österreich nachgewiesen

Es gibt noch eine weitere Virusvariante, die im Herbst zum Problem werden könnte: BJ.1, ebenfalls ein Abkömmling des Omikron-Subtyps BA.2. Auf Twitter macht Ulrich Elling, Genetiker am Institut für Molekulare Bio­technologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Anfang September auf die Corona-Variante aufmerksam, die Anlass zur Sorge gebe. Nachgewiesen wurde sie bisher unter anderem in Indien, den USA und in Österreich.

„Die Zahlen sind immer noch sehr niedrig“, schreibt Elling, „aber die neu erworbenen Mutationen sind wirklich eine unangenehme Kombination an kritischen Stellen.“ Die Virusvariante besitzt 14 zusätzliche Mutationen, vorwiegend in der Nähe der Rezeptor­bindungs­domänen, mit denen sich der Erreger Zutritt zu den menschlichen Zellen verschafft und die Angriffspunkte der Impfstoffe sind.

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Genetiker Elling schlussfolgert daraus: „Dieses Paket von Mutationen macht eine weitere signifikante Umgehung des Immunsystems sehr wahrscheinlich. Man kann nur hoffen, dass dies für das Virus mit erheblichen Kosten hinsichtlich der Infektiosität verbunden ist.“ Welche Eigenschaften BJ.1 genau besitzt, ist noch unklar. Denn noch ist die Virusvariante nur wenig verbreitet. Sie müsse jedoch weiter genau beobachtet werden, fordert Elling.

BA.4.6 könnte eine Rekombination sein

In den USA rasch ausgebreitet hat sich derweil die Virusvariante BA.4.6. Mittlerweile hat sie auch Großbritannien erreicht. Noch findet sich der Omikron-Subtyp dort aber nur in sehr wenigen positiven Corona-Proben: Mitte August hat er gerade einmal 3,31 Prozent der Fälle ausgemacht, seitdem ist sein Anteil auf mehr als neun Prozent gewachsen. Das schreibt die UK Health Security Agency (UKHSA) in ihrem aktuellen Virusvariantenbericht.

Erste Schätzungen deuten darauf hin, dass der Omikron-Subtyp in Großbritannien einen relativen Fitnessvorteil von 6,55 Prozent gegenüber BA.5 hat. Es könnte jedoch dauern, bis sich BA.4.6 durchsetzt. Zum Vergleich: BA.5 hatte einen Fitnessvorteil zwischen 45 und 55 Prozent gegenüber der Vorgängervariante BA.2.

Noch sei nicht klar, wie BA.4.6 entstanden ist, schreibt die Mikrobiologin Manal Mohammed Mitte September in einem Beitrag für „The Conversation“. Es könnte sein, dass es sich um eine Rekombination handelt. Dabei tauschen unter­schiedliche Virus­varianten genetisches Material miteinander aus.

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Die Mutationen im Erbgut von BA.4.6 lassen darauf schließen, dass die Corona-Variante wie auch die anderen Omikron-Subtypen immunflüchtig ist. Das legt auch eine Studie der Universität Oxford nahe, auf die die UKHSA in ihrem Bericht verweist. Demnach seien bei Personen, die dreimal den Biontech-Impfstoff erhalten hatten, die neutralisierenden Antikörperreaktionen schwächer ausgefallen als noch bei den Omikron-Varianten BA.4 und BA.5. Dass BA.4.6 wieder schwerere Krankheitsverläufe hervorruft, zeigt sich bisher jedoch nicht.

BQ.1.1 breitet sich in Europa aus

Ebenfalls in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist die Variante BQ.1.1. Sie gilt aufgrund ihres hohen Übertragungsvorteils als besonders besorgniserregend. „Ihr relativer Anteil hat sich jede Woche mehr als verdoppelt“, twitterte vor wenigen Tagen Cornelius Römer von der Cambridge University, der die Variante seit geraumer Zeit verfolgt. Ein weiteres Problem mit der Corona-Variante ist zudem, dass sie „allen verfügbaren monoklonalen Antikörper-Cocktails“ entgeht. Wer für eine Auffrischungsimpfung in Frage kommt, solle sich diese zeitnah abholen, empfahl er.

Auch in Deutschland ist BQ.1.1 bereits angekommen. Moritz Gerstung, deutscher Genomforscher, teilte dazu ebenfalls Forschungsergebnisse auf Twitter. Auffällig sei vor allem der starke Anstieg von Fällen mit BQ.1.1 im Vergleich zu anderen Virusvarianten. Das liege Gerstung zufolge unter anderem daran, dass sie allein fünf Mutationen im Spike-Protein kombiniert und sich damit deutlich schneller verbreiten kann.

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Auch Gesundheitsminister Lauterbach zeigte sich angesichts der neuen Corona-Version besorgt. „Wenn sich etwa die Variante BQ.1.1 durchsetzt, würden sich auch diejenigen, die sich im Sommer infiziert haben, wahrscheinlich wieder leicht infizieren können“, sagte er gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat BQ.1.1 bereits unter Beobachtung.

Keine komplett neue Variante in Sicht

Welche dieser vier Corona-Varianten am Ende das Rennen machen wird, lässt sich nicht sagen. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich weder BA.2.75 noch BJ.1 noch BA.4.6 noch BQ.1.1 durchsetzen wird, sondern eine andere Virusvariante.

Die Entwicklung macht deutlich: Ein Ende der Evolution des Coronavirus ist nicht abzusehen. Der Erreger mutiert weiter, auch weil es in vielen Ländern ein hohes Infektionsgeschehen und noch Immunitätslücken gibt. Aber: „Eine komplett neue Variante – wie vergangenen Dezember Omikron – ist im Moment nicht in Sicht“, sagt der Schweizer Virus­evolutions­experte Neher.

Wir haben diesen Artikel am 7. Oktober aktualisiert und um die Virusvariante BQ.1.1 ergänzt.

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