Trend Free Bleeding

Menstruieren ganz ohne Tampons und Binden: Geht das wirklich?

Ob Biotampon oder Menstruationstasse: Bei Hygieneartikeln auf die Umwelt zu achten liegt im Trend.

Ob Biotampon oder Menstruationstasse: Bei Hygieneartikeln auf die Umwelt zu achten liegt im Trend.

Free Bleeding heißt ein Trend, bei dem während der Monatsblutung ganz bewusst auf Tampon, Binde oder Menstruationstasse verzichtet wird. In Blogs und Foren oder bei Youtube berichten Frauen davon, wie sie stattdessen gelernt haben, ihren Blutfluss zu kontrollieren. Auch kostenpflichtige Kurse werden dazu angeboten: „Was sich zunächst völlig verrückt anhört, ist tatsächlich absolut machbar“, heißt es etwa auf einer Plattform. 49 Euro kostet der Kurs „Lerne Free Bleeding“ mit sechs Modulen. Andere Internetseiten geben kostenlose Tipps, wie sich die Technik erlernen lasse.

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Die Idee beim Free Bleeding ist, in sich hineinzuspüren, um zu merken, wann sich ein Blutschwall ankündigt. Dann soll dieser gezielt zurückgehalten und erst auf der Toilette entleert werden durch Kippen des Beckens oder auch eine leichte Unterbauchmassage. Die Vorteile der Methode sollen ein besseres Körpergefühl, weniger Kosten und Müll durch Hygieneartikel oder sogar weniger Menstruations­beschwerden sein. Aber kann Free Bleeding wirklich funktionieren?

Doris Scharrel ist Frauenärztin und Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Schleswig-Holstein. Free Bleeding könne funktionieren, glaubt sie – aber mit starken Einschränkungen. Durch Kontrolle des Gebärmutterhalses Blut im Uterus zurückzuhalten hält sie dabei nicht für möglich. „Als Folge hormoneller Aktivität wird das Blut bei der Menstruation durch Peristaltikwellen aus der Gebärmutter herausgetrieben. Dagegenzuhalten wäre schmerzhaft und kaum möglich.“

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Wahrnehmung muss geschult werden

Möglich sei aber theoretisch, das Menstruationsblut in der Scheide zurückzuhalten, zumindest eine gewisse Zeit lang. „In der hinteren Fornix, dem Bereich der Vagina, der sich auch beim Orgasmus erweitert, gibt es genug Volumen, um ein Blutreservoir zu speichern. Man kann es sich ähnlich vorstellen, wie wenn die Blase voll ist und man aufs Klo muss, man es aber zurückhält. Es ist dieselbe Muskulatur des Beckenbodens.“ Beim Toilettengang müsse dann die gleiche Muskulatur entspannt werden wie beim Urinieren.

Allerdings sei die Wahrnehmung einer gefüllten Blase um einiges leichter als die von Blut, das sich in der Vagina ansammelt. „Diese muss erst geschult werden. Das Gehirn ist darauf nicht oder kaum programmiert“, sagt Scharrel. Eine gute Voraussetzung sei es, wenn Frauen zum Beispiel bereits spüren, wann ihre Blutung beginnt oder wenn der Tampon voll ist. Eine bessere Wahrnehmung und Kontrolle der Vagina und der verschließenden Muskeln lasse sich tatsächlich auch trainieren. Und zwar durch klassisches Beckenbodentraining: „Hierzu ist es aber nicht nötig, einen Onlinekurs zum freien Menstruieren zu bezahlen“, so die Gynäkologin. „Es gibt viele kostenfreie Anleitungen zum Beckenbodentraining, zum Beispiel über die Krankenkassen.“

Beckenbodentraining birgt für Frauen viele Vorteile und könne Inkontinenz im Alter vorbeugen, sagt Scharrel. Mit absoluter Zuverlässigkeit kontrollieren lasse sich der Blutfluss aber auch nach einem solchen Training nicht. Frauen sollten sich daher nicht die Hoffnung machen, dadurch komplett auf Hygieneartikel während der Periode verzichten zu können. „Free Bleeding ist keine sichere Sache.“

Methode ist nicht alltagstauglich

Besonders schwierig sei die Kontrolle der Blutung für Frauen, die schon ein oder mehrere Kinder geboren haben. Denn die Vagina stehe danach immer etwas offen. Auch starkes Übergewicht könne ein Hindernis sein. Aber selbst bei anderen Frauen könnten Sport, körperliche Betätigung, Husten oder Niesreiz leicht dafür sorgen, dass das zurückgehaltene Blut austritt. Zudem müsse eine Toilette ständig erreichbar sein. Free Bleeding sei deshalb nicht alltagstauglich, findet Scharrel: „Die Methode passt nicht in unsere Zeit.“

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Bleibt die Frage, welche Vorteile das Free Bleeding bietet, wenn es nicht sicher funktioniert und sich nur schwer umsetzen lässt. Blogs, Foren und Anbieter von Kursen weisen gern auf die Nachteile von Hygieneartikeln und die Gefahren von Tampons wie das toxische Schocksyndrom hin. Dabei werde deutlich übertrieben, sagt Scharrel. Binden seien nicht schädlich und das toxische Schocksyndrom bei den in Deutschland üblichen Wattetampons extrem selten – Scharrel erinnert sich nur an einen Fall in ihrer gesamten Berufslaufbahn. Zudem müssten ja ohnehin meist zusätzlich Hygieneartikel verwendet werden, weil das Free Bleeding nicht sicher funktioniere. Es sei wohl auch kein Zufall, dass auf den entsprechenden Blogs und Internetseiten Menstruations­unterwäsche beworben werde, auf die viele Frauen trotzdem zurückgreifen müssen.

Natürlicher Umgang mit Menstruation

Die Gynäkologin Verena Breitenbach hat von einzelnen ihrer Patientinnen gehört, dass diese Free Bleeding anwenden und gut damit zurechtkommen. „Wenn sie beruflich unterwegs sind, haben sie aber immer zur Sicherheit eine Menstruationstasse oder einen Tampon dabei.“ Auch Breitenbach ist sich sicher, dass man die Methode zumindest teilweise erlernen könne. Dazu gehöre aber nicht nur ein starker Beckenboden, sondern auch ganz viel Körperachtsamkeit. „Ich glaube nicht, dass jede Frau ihren Beckenboden so trainieren kann, dass es zu 100 Prozent funktioniert“, sagt die Frauenärztin. Die Methode absolut sicher zu beherrschen gelinge vermutlich „nur ganz, ganz selten“. Es sei wohl auch eher nicht möglich, das Blut über Stunden zurückzuhalten, sondern tatsächlich nur bis zum nächsten Toilettengang.

Trotzdem findet Breitenbach Free Bleeding eine gute Sache: „Jede Frau sollte es einfach mal ausprobieren, am Anfang am besten zu Hause und dabei zur Sicherheit Binden oder Slipeinlagen verwenden.“ Wenn der Verzicht auf Hygieneartikel gelinge, sei das ein Vorteil für die Umwelt. Auch könne das Free Bleeding hygienischer als eine Binde sein, in der das Blut nach dem Austritt aus dem Körper gerinnt.

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Was Breitenbach am Konzept Free Bleeding gefällt, ist, dass es für einen natürlichen Umgang mit der Menstruation steht, weil Frauen sich dabei bewusst mit ihrer Blutung auseinandersetzen, sie als natürlichen Vorgang annehmen und akzeptieren. Es gebe nämlich immer noch Frauen, die ihre Periode innerlich ablehnen, so Breitenbach: „Meine Erfahrung hierbei ist: Je entspannter sie damit umgehen, desto weniger Menstruations­beschwerden haben sie meist.“

 

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