Die Männerangst vorm Urologen – und warum es so wichtig ist, trotzdem hinzugehen
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Sei es die Angst vor schlechten Nachrichten oder auch die Furcht vor unangenehmen Untersuchungen: Viele Männer meiden den Besuch beim Urologen, obwohl er so wichtig ist.
© Quelle: Korrawin/iStockphoto
Prostatauntersuchung, Hoden abtasten, Vorhaut unter die Lupe nehmen: Der Gedanke an einen Besuch bei der Urologin oder dem Urologen ist für Männer mitunter angsteinflößend. Dabei wird ihnen ab einem bestimmten Alter geraten, zur Krebsfrüherkennung regelmäßig die Prostata untersuchen zu lassen. Aber auch und vor allem bei akuten Problemen, die etwa den Genitalbereich betreffen, sollten Männer eine fachliche Hilfe suchen. Dass das jedoch häufig leider nicht der Fall ist, weiß Christian Wülfing, Chefarzt der Urologie in der Asklepios Klinik in Hamburg, ganz genau.
Herr Wülfing, der Gang zur Urologin oder zum Urologen ist für viele Männer alles andere als selbstverständlich. Selbst bei Problemen im Genitalbereich oder Verdacht auf Krankheiten zögern manche Männer oder gehen mitunter erst gar nicht zur Untersuchung. Warum ist das so?
Christian Wülfing: Manchmal frage ich mich auch: Warum eigentlich? Der Penis, die Hoden, die Prostata sind doch Körperteile, die auch zu uns gehören. Und wir gehen ja schließlich auch ohne nachzudenken zum Augen-, Zahn- oder HNO-Arzt, um uns untersuchen zu lassen. Dabei geht es Männern doch auch so häufig – wie man so schön sagt – um die Männlichkeit. Es gibt also gar keinen Grund, sich darum weniger zu kümmern als etwa um die Zähne oder die Augen. Aber gerade dann, wenn es um die Geschlechtsteile geht, haben manche Männer große Ängste vor dem Arzt.
Sind die Ängste also unberechtigt?
Dass Männer vom Abtasten der Hoden und der Penisuntersuchung eine Erektion bekommen, haben wir Urologen bislang nur sehr selten erlebt.
Wir müssen sicherlich zwischen rationalen und irrationalen Ängsten unterscheiden. Wenn man beispielsweise Angst vor unangenehmen Untersuchungen hat, ist das total verständlich. Diese können ja nicht nur von den Schmerzen her unangenehm sein, sondern auch psychologisch. Obendrein müssen sich Männer untenrum ausziehen – daher ist der Besuch beim Urologen ein eher schambesetztes Thema. Auch die Angst vor schlechten Nachrichten spielt eine Rolle: Etwa wenn man befürchtet, dass man Krebs hat. So etwas zähle ich aber eher zu irrationalen Gedanken – denn gerade, wenn man Angst vor Krebs hat, sollte man sich untersuchen lassen und nicht davor weglaufen.
In Internetforen berichten viele Männer auch über die Angst, bei der Urologin oder beim Urologen eine Erektion zu bekommen – eine rationale oder irrationale Angst?
Das passiert super selten – selbst beim rektalen Abtasten der Prostata. Wir wissen, dass die Prostata eine erogene Zone ist, und zwar unabhängig davon, ob man homosexuell oder heterosexuell ist. Daher wäre eine Erektion bei einer Untersuchung theoretisch auch völlig normal. Dass aber Männer davon oder auch vom Abtasten der Hoden und der Penisuntersuchung eine Erektion bekommen, haben wir Urologen bislang nur sehr selten erlebt. Bei der Untersuchung am Penis massieren Ärzte ja auch nicht herum, sondern untersuchen meist nur die Vorhaut oder die Eichel. Das ist für gewöhnlich nicht mehr als ein Blick.
Spielt es für Männer denn eine Rolle, ob ein Mann oder eine Frau sie untenrum untersucht?
Dass Männer Angst vor einem Urologen haben, weil er auch ein Mann ist, habe ich bislang noch nicht gehört. Und auch Urologinnen – deren Anteil erfreulicherweise wächst – haben noch nicht berichtet, dass Männer ein Problem damit haben, dass eine Frau sie untersucht. Sicherlich gibt es auch Männer, die lieber entweder von Männern oder von Frauen untersucht werden – das ist nicht nur in der Urologie so. Aber konkrete Ängste vor männlichen oder weiblichen Urologen haben Patienten erfahrungsgemäß nicht.
Die Ängste der Männer beziehen sich also eher auf die Untersuchungen. Wie läuft der Besuch denn überhaupt ab?
Der Urologe fragt zunächst lediglich nach dem Gesundheitszustand: Haben die Patienten Beschwerden, sind sie krank? Nehmen sie Medikamente – und gibt es etwa Probleme beim Wasserlassen? Dann schaut sich der Arzt erst mal den Bauch des Patienten an, tastet die Flanken ab und drückt auf die Blasenregion – das ist alles total harmlos. Der Urologe guckt sich aber natürlich auch die äußerlichen Genitalien an. Er tastet dabei die Hoden ab. Vor allem bei jungen Männern ist das wichtig, weil sie eher an Hodenkrebs erkranken als ältere. Der Arzt schaut bei der Untersuchung auch den Penis an, um zu erkennen, ob es Auffälligkeiten gibt. Auch das ist alles harmlos: Uns Urologen geht es letztendlich darum, Tumorerkrankungen, Entzündungen oder auch Blasen- und Nierensteine frühzeitig zu erkennen.
Und ab einem bestimmten Alter kommt noch die allzeit gefürchtete Prostatauntersuchung hinzu.
Richtig. Ab dem 45. Lebensjahr sollten Männer jährlich zur Prostatavorsorge zum Urologen gehen. Denn Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern in Deutschland – und die Untersuchung dient der Früherkennung. Doch gerade vor dieser so wichtigen Untersuchung haben viele Männer am meisten Angst. Denn das Abtasten der Prostata erfolgt über den Enddarm. Das heißt: Finger in den Po. Der Urologe nimmt einen Handschuh und ein Gleitmittel und tastet die Prostata ab, indem er einen Finger über den Enddarm einführt. Der Patient befindet sich dabei in einer Seitenlage oder Knie-Ellenbogen-Lage.
Und ist diese Untersuchung wirklich so schlimm, wie viele Männer befürchten?
Nein. Natürlich ist diese rektale Untersuchung etwas unangenehm – und ich kann verstehen, wenn manche Männer den Gedanken daran eklig finden. Beim Abtasten fühlt es sich etwas so an, als hätte man Stuhlgang oder Urindruck. Aber eigentlich ist es doch etwas Positives, dass man die Prostata so gut abtasten kann. Die Informationen, die wir Urologen dabei gewinnen, sind unheimlich vielseitig. Denn so können wir erkennen, ob ein Prostatakarzinom entstanden ist oder sich die Prostata vergrößert hat. Und das Abtasten dauert maximal zehn Sekunden. Die meisten Patienten, die so eine Untersuchung hinter sich haben, denken sich im Anschluss: Wie jetzt – das war’s?
Zehn Sekunden für eine wichtige Untersuchung – klingt nach einem zumutbaren Aufwand. Dennoch ignorieren zu viele Männer Probleme im Intimbereich und schieben den Besuch bei der Urologin oder beim Urologen immer wieder auf. Was kann das für Folgen haben?
In Deutschland haben wir gut 60.000 Prostatakrebsfälle im Jahr – und 12.000 Todesfälle. Wir Urologen haben dabei mit vielen Fällen zu tun, bei denen wir uns gewünscht hätten, dass wir sie früher entdeckt hätten. Denn wie bei allen Krebsarten gilt: Je früher man den Krebs erkennt, desto besser stehen die Chancen auf Heilung. Wer außerdem immer wieder Probleme beim Wasserlassen hat, sie aber ignoriert, kann Nierenschäden davontragen. Das können Urologen eigentlich sehr gut behandeln, aber manchmal ist es dafür einfach schon zu spät.
Ein weiteres unangenehmes Thema für Männer ist die Potenz. Auch bei Erektionsstörungen suchen die wenigsten Männer eine Urologin oder einen Urologen auf.
Das Thema Potenz ist sehr schambesetzt – noch mehr als die Prostata.
Genau. Die erektile Dysfunktion ist ein Krankheitsbild, das für Männer vor allem auch psychische Folgen hat. Davon sind bei Weitem nicht nur ältere Männer betroffen – sondern auch jüngere Männer, die sich ganz besonders dafür schämen. Wer damit zum Urologen geht, räumt natürlich auch erst einmal ein, dass er Interesse an Sex hat. Sonst hätte man ja auch keinen Leidensdruck, wenn der Penis nicht steif wird. Daher ist das Thema Potenz sehr schambesetzt – noch mehr als die Prostata. Ein Besuch beim Urologen könnte Betroffenen aber dabei helfen, den Ursachen auf den Grund zu gehen und eine geeignete Behandlung zu finden.
Wegen einer Erektionsstörung ärztliche Hilfe zu suchen kommt für viele Männer also aus Scham nicht infrage. Wie gehen sie stattdessen mit Erektionsstörungen um?
Inzwischen suchen Männer im Internet vermehrt andere Wege, um etwa an verschreibungspflichtige Potenzmittel wie Viagra zu kommen. Deswegen erleben Onlineapotheken und die Telemedizin auch so einen wahnsinnigen Boom. Die meisten Männer kommen somit erst recht nicht mit Potenzproblemen zum Urologen, wenn sie bequem über die Telemedizin an Medikamente kommen können.
Im Gesamtbild gibt es also viele Gründe, warum Männer den Gang in die Praxis meiden – aber ebenso viele Argumente dafür, regelmäßig hinzugehen. Warum ist der Besuch beim Urologen für Männer trotz guter Gründe bei Weitem noch nicht so selbstverständlich wie gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen für Frauen?
Männer können sich an Frauen ein Beispiel nehmen – und auch an den Töchtern von Frauen. Wenn weibliche Jugendliche in die Pubertät kommen, nehmen ihre Mütter sie schon häufig erstmals mit zum Gynäkologen. Männliche Jugendliche gehen dagegen eher selten zum Urologen, weil ihre Väter größtenteils auch schon nicht gegangen sind. Es ist sicherlich auch nicht immer angenehm für Frauen, untenrum untersucht zu werden. Aber auch wenn es für sie ein schambesetztes Thema ist, gehen sie viel eher zum Gynäkologen. Frauen sind, was das angeht, grundsätzlich einfach cooler und aufgeklärter als Männer.
Wie lassen sich Männer denn am besten davon überzeugen, sich regelmäßig bei der Urologin oder beim Urologen untersuchen zu lassen?
Ich würde mir wünschen, dass Männer untereinander mehr über ihre Gesundheit im Genitalbereich reden. Damit meine ich auch die unangenehmen Themen. Das passiert bei Frauen deutlich häufiger. Dabei können sich auch Männer gegenseitig helfen – und sich somit die Angst vorm Urologen nehmen, wenn diejenigen ihre Erfahrungen teilen, die schon solche Untersuchungen durchgemacht haben. Dann könnten sie vor allem auch die Aussagen von uns Urologen bestätigen, dass die Untersuchungen überhaupt nicht schlimm, dafür aber unglaublich wichtig sind.