„Mit der Trauer komplett allein gelassen“: Corona-Hinterbliebene erzählt vom Verlust ihres Ehemannes
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Die Frage nach dem Warum ließ Anita Schedel keine Ruhe, nachdem ihr Mann verstorben war (Symbolbild).
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Anita Schedel zählt jeden Tag, den ihr Mann nicht mehr bei ihr ist. 18 Jahre haben sie zusammen verbracht, sie wollten gemeinsam alt werden. Nie habe sie gedacht, dass er so früh von ihr getrennt sein würde. „Mein Herzensmensch“ – so nennt die 57-Jährige aus Passau ihn – ist an Covid-19 verstorben. Das war am 14. April 2020. Da war er 59 Jahre alt.
Sein Tod zu Beginn der ersten Corona-Welle kam völlig unerwartet. Anita Schedel flüchtete in die Isolation, wie sie erzählt. Sie sei vorher beruflich viel unterwegs gewesen. Im Beruf habe sie gelernt, Probleme effizient und schnell zu lösen. Trauern funktioniere aber anders. „Das ist nicht mal eben geklärt“, erzählt sie. „Man ist gelähmt statt aktiv, und das braucht Zeit.“ Monatelang sei sie zuhause geblieben. Gute Ratschläge von Bekannten, was nun alles zu tun wäre, prallten an ihr ab.
Nach dem Tod kommt die Trauer – und damit das Grübeln
Sie habe viel Zeit für sich gebraucht. Da waren die körperlichen Leiden durch Long Covid, weil sie wie auch ihr Mann an Corona erkrankte. Da waren aber vor allem die seelischen Abgründe. Denn mit der Trauer kam das Grübeln. Wie einsam ihr Mann in den letzten Tagen auf der Intensivstation gewesen sein musste? Diese Frage habe ihr keine Ruhe gelassen.
Weil man noch kaum etwas über das Virus wusste, galt in der ersten Corona-Welle ein striktes Besuchsverbot in der Klinik. Ihr sei mittags telefonisch von Pflegenden und Ärzten der gesundheitliche Zustand ihres Mannes mitgeteilt worden, kurz und sachlich. Acht Tage lang ging das so, mit Bangen, Hoffen, Weinen. Als dann klar war, dass medizinisch nichts mehr helfen würde, habe sie ihren Mann auf der Intensivstation besuchen dürfen. „Da war er aber nicht mehr ansprechbar“, erzählt Anita Schedel. „Das war kein richtiger Abschied.“
Auch die Frage nach dem Warum habe ihr keine Ruhe gelassen. Hätte sie irgendetwas anders machen können? „Inzwischen weiß ich, dass es darauf keine Antwort gibt. Es hat aber lange gebraucht, das zu erkennen“, sagt Anita Schedel. Angesteckt haben sich beide vermutlich in der Rehaklinik, die ihr Mann damals leitete.
Nur weil ein Mensch eine Vorerkrankung hat, soll man besser verstehen können, dass er sterben musste?
Heute dominiert Corona immer noch den Alltag. Die Sorge, durch das Virus zu erkranken und zu versterben, ist allgegenwärtig. Noch immer sterben täglich Menschen an Covid-19. Wie es aber wirklich ist, einen geliebten Menschen an das Virus zu verlieren, sei nur schwer zu vermitteln, sagt Anita Schedel. Als sie sich nach der ersten Trauerphase wieder unter Menschen traute, habe sie das oft zurückgeworfen.
Wenn etwa regelmäßig angemerkt wurde, dass ihr Mann doch sicherlich Vorerkrankungen hatte. „Wo soll das Trost spenden?“, habe sie dann zurückgefragt. „Nur weil ein Mensch eine Vorerkrankung hat, soll man besser verstehen können, dass er sterben musste?“ Unabhängig von der Frage, die niemanden weiterbringe, habe ihr Mann gar keine bei Covid-19 relevanten Vorerkrankungen gehabt, sagt Anita Schedel.
Mit dem Trauern um Verstorbene in der Pandemie allein gelassen
Ich war so dankbar dafür, auf Menschen zu treffen, denen ich mich nicht mehr komplett erklären musste.
Da sei auch lange Zeit dieses Gefühl gewesen, ganz alleine da zu stehen mit dem großen Verlust. Die Wende sei dann im April 2021 gekommen, rund ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Da lud der Bundespräsident ein in die Hauptstadt. Anita Schedel sollte dort als Hinterbliebene eine Rede halten, bei einer Gedenkveranstaltung für die Verstorbenen in dieser Pandemie. Erst bei diesem Treffen habe sie das erste Mal Menschen treffen dürfen, die ebenfalls trauerten. Erst da sei ihr bewusst geworden, dass sie eben nicht alleine ist.
Die Schicksale seien sehr unterschiedlich. Der eine habe die Ehefrau verloren, die Tochter ihren Vater, jemand anderes den besten Freund. Und doch habe es zwischen allen direkt eine Verbindung zueinander gegeben. „Ich war so dankbar dafür, auf Menschen zu treffen, denen ich mich nicht mehr komplett erklären musste“, berichtet Anita Schedel. Es sei auch das erste Mal gewesen, dass sich überhaupt jemand in der Öffentlichkeit um Hinterbliebene bemühte.
„Wir wurden mit unserer Trauer bis dahin komplett allein gelassen“, stellt Anita Schedel fest. Dass das so lange gebraucht habe, zeige auch, dass die Gesellschaft sich nicht mit dem Tod auseinandersetzen wolle. „Ich verstehe, dass das für viele sehr abstrakt ist und es ist auch gut, dass wir nach vorne schauen“, betont sie. „Aber wir sind eben auch in einer Pandemie und täglich sterben Menschen an Covid.“
Austausch unter Hinterbliebenen hilft, aber Strukturen fehlen noch
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Viele Menschen trauern um ihre Angehörigen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus verstorben sind. Diese Erkenntnis hat Anita Schedel bei der Trauerbewältigung geholfen, wie sie sagt.
© Quelle: Privat
Anita Schedel tauschte bei der Veranstaltung in Berlin Adressen aus, vernetzte sich. Der Kontakt zueinander blieb, ebenso wie das besondere Verständnis und Vertrauen. „Der Austausch hilft anderen, aber auch mir selbst sehr, um wieder auf den Weg zu kommen.“ Anita Schedel fasste dann wenig später den Entschluss, eine Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene zu gründen. Von Einsamkeit über den weiterlaufenden Pandemiealltag bis hin zu existenziellen Nöten – alle relevanten Themen sollen dort Platz finden dürfen. Vor allem Heinrich Bedford-Strohm, der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern habe sie darin bestärkt. Auch ihn lernte Anita Schedel beim Trauerakt in Berlin kennen.
Erste Gespräche mit weiteren Hinterbliebenen aus der Region habe es bereits gegeben. Damit gehe es für sie stückchenweise zurück ins Leben. Sie habe wieder einen Rhythmus im Alltag, stecke viel Energie in die Vernetzung – die in Deutschland offensichtlich noch fehle. Dadurch sei der Schmerz auch nicht mehr ganz so zerstörerisch. Die Lücke, die ihr Mann hinterlässt, bleibe aber trotzdem. Er sei eben für immer ihr Herzensmensch. Daran denke Anita Schedel jeden Morgen, an dem sie ohne ihn aufwacht.
Am 10. Dezember findet ein erstes Gründungstreffen der Selbsthilfegruppe in München statt. Die Treffen sollen dann monatlich stattfinden. Betroffene, die ähnliches erlebt haben, sind dort herzlich willkommen. Weitere Informationen sind auf folgender Homepage zu finden: https://selbsthilfe-corona-trauernde.de/ Dort kann man sich auch anmelden.
Ein deutschlandweites Onlinetreffen unter Covid-Hinterbliebenen findet seit Mai 2021 einmal im Monat statt. Wer Interesse hat, sich darüber auszutauschen, kann eine E-Mail schreiben an: selbsthilfegruppe-angehoerige@web.de
Wer eine Selbsthilfegruppe gründen oder sich zu bereits bestehenden Strukturen anderswo in Deutschland informieren möchte, erhält Unterstützung bei einer Selbsthilfekontaktstelle in der Nähe des eigenen Wohnortes. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage: https://www.nakos.de/adressen/rot/