Corona-Maßnahmen: Auch eine gute Strategie gegen Grippe?

Ist es sinnvoll auch für andere Infektions­krankheiten künftig auf die Corona-Maßnahmen zu setzen?

Ist es sinnvoll auch für andere Infektions­krankheiten künftig auf die Corona-Maßnahmen zu setzen?

Seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es weniger Fälle anderer Infektions­krankheiten. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Grippe: Die Arbeits­gemeinschaft Influenza hat im vergangenen Winter weder in Deutschland noch in anderen Ländern Europas echte Grippewellen beobachtet. Zum Teil könnte das daran liegen, dass während der Corona-Ausbrüche weniger Grippefälle erfasst wurden, etwa, weil weniger Menschen zum Arzt oder zur Ärztin gingen. Auch ist es möglich, dass das Coronavirus das Influenzavirus „verdrängt“ hat: Wer bereits mit Corona infiziert ist, hat nämlich eine niedrigere Wahrscheinlichkeit, sich gleichzeitig mit der Grippe anzustecken.

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Es lässt sich daher nur schwer sagen, wie viele Corona-Infizierte unter anderen Umständen an Influenza erkrankt wären. Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts haben aber auch „Public-Health-Maßnahmen“, also Kontakt­beschränkungen, Abstands- und Hygieneregeln viele Grippe­erkrankungen verhindert. Ließen sich dadurch also auch künftige Grippewellen eindämmen?

Tatsächlich befürchten Experten und Expertinnen langfristig eher negative Effekte. So könnte im kommenden Winter eine besonders schwere Grippesaison drohen. Und zwar gerade deshalb, weil in den vergangenen Monaten so wenige Menschen mit Influenzaviren in Kontakt kamen und einen Immunschutz aufbauen konnten. Zudem wird die Entwicklung neuer Grippe­impfstoffe erschwert. Normalerweise werden diese jedes Jahr an stark verbreitete Mutationen des Influenzavirus angepasst. Im vergangenen Winter ließ sich wegen der fehlenden Grippewelle aber nur schlecht feststellen, von welcher Variante des Erregers derzeit die höchste Gefahr ausgeht.

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Maßnahmen können Problem nicht dauerhaft lösen

Hygiene­maßnahmen während der nächsten Grippewelle würden das Problem nicht dauerhaft lösen – und bergen Risiken. So hat sich für einen weiteren Erreger, das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), gezeigt, dass dieser sich allenfalls kurzfristig ausbremsen lässt. RSV-Infektionen können in jedem Alter auftreten, im Gegensatz zum Coronavirus ist das Virus aber für Kinder besonders gefährlich. Bei Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von drei Jahren ist es weltweit der häufigste Auslöser von akuten Atemwegs­infektionen, die vor allem in den ersten drei Lebensmonaten schwer oder sogar tödlich verlaufen können.

Wie eine Studie israelischer Forschender zeigt, die vom European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) veröffentlicht wurde, drohen RSV-Infektionen infolge der Corona-Schutz­maßnahmen häufiger zu werden. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hatten untersucht, wie viele Infektionen bei Kindern im Universitäts­krankenhaus in Aschdod aufgetreten waren. Üblicherweise hatte es Infektions­wellen im Herbst und Winter gegeben. Während es im vergangenen Winter bei geltenden Corona-Maßnahmen nun keinen Ausbruch gab, stellte sich wenige Monate später eine Art „Nachholeffekt“ ein: Nachdem die Maßnahmen allmählich gelockert worden waren, traten besonders viele RSV-Infektionen auf.

Die Forschenden erklären das dadurch, dass die Kinder zuvor keinen Kontakt mit dem Virus hatten und somit keine Gelegenheit, einen zumindest anteiligen Immunschutz zu entwickeln. Die Autorinnen und Autoren verweisen auf ähnliche Beobachtungen in Australien und den USA, wo RSV-Infektions­wellen durch die Corona-Maßnahmen scheinbar unterdrückt wurden, verzögert aber umso heftiger ausfielen. In den USA lagen die Infektions­zahlen mit dem RS-Virus im Juli 2021 demnach 60-mal höher als noch im Vorjahr.

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Maßnahmen langfristig nicht sinnvoll

Amerikanische Forschende, deren Studie im vergangenen Oktober im Wissenschaftsmagazin „PNAS“ erschien, hatten bereits vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Eine Modellierung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ergab, dass RSV und Influenza­viren durch Corona-Maßnahmen vorübergehend zurückgedrängt würden. Der fehlende Kontakt mit den Erregern führe aber zu einer größeren Anfälligkeit und könne stärkere Ausbrüche in den Folgejahren begünstigen. Auch weitere Experten und Expertinnen teilen diese Sorge.

Falls nun RSV-Wellen oder Grippewellen künftig mit ebenso strengen Hygiene­maßnahmen bekämpft werden würden wie das Coronavirus, dann drohe ein Teufelskreis: Infektionen würden dadurch vorübergehend verhindert, aber der natürliche Immunschutz in der Bevölkerung würde immer weiter sinken. Beim nächsten Ausbruch wären noch mehr Menschen anfällig für die Erreger, was wieder zu neuen Maßnahmen führen würde. Masken müssten theoretisch das ganze Jahr über getragen werden, weil sich die Saison der Infektionswellen sonst einfach verschiebt. Noch dazu lässt sich nicht sagen, zu welchem Anteil einzelne, weniger strenge Maßnahmen wie eben das Maskentragen Infektionen verhindern konnten und zu welchem Anteil dies auf Social Distancing zurückzuführen ist.

Im Einzelfall können Hygieneregeln, Abstandsregeln und Kontakt­einschränkungen also zwar Personen in der Umgebung vor Ansteckung schützen. Das galt schon vor Corona und besonders beim Umgang mit immun­supprimierten Menschen. Eine breite Anwendung in der Bevölkerung scheint langfristig aber wenig sinnvoll zu sein. Ganz abgesehen von den psychischen Folgen vor allem des Social Distancings sind die Corona-Schutz­maßnahmen auch medizinisch nicht geeignet, um andere Infektions­krankheiten dauerhaft zu verhindern.

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