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Demenz: Wenn Opa anders ist

Kinder haben oft einen besseren Zugang zu Demenzkranken. Sie nehmen vieles mit Humor.

Kinder haben oft einen besseren Zugang zu Demenzkranken. Sie nehmen vieles mit Humor.

Wer an Demenz leidet, verändert sich. Doch auch die Angehörigen müssen sich auf einen Umbruch im bisherigen Leben einstellen: “Die Krankheit verändert in vielen Fällen die ganze Familie – Partner, Kinder, Enkelkinder”, sagt Laura Mey. Die studierte Soziologin berät von Alzheimer-Erkrankungen Betroffene und Angehörige am Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Mehr als 5000 Anrufer informieren sich im Jahr bei ihr und weiteren Kollegen in der telefonischen Sprechstunde. Die Sorgen sind vielfältig. Genauso wie die Folgen der Krankheit.

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Zuerst lässt das Kurzzeitgedächtnis nach. Erkrankte verlieren Gegenstände wie den Hausschlüssel und finden diese nicht wieder. “Das Ganze ist ein schleichender Prozess”, betont Mey. Die Betroffenen selber spüren zwar, dass sie sich nicht mehr so viel merken können. “Ihnen ist aber oft gar nicht bewusst, wie stark die Vergesslichkeit schon ist”, berichtet Mey, die selbst jahrelang Demenzkranke in einer Pflegeeinrichtung betreut hat. “Angehörige bemerken den Fortschritt der Krankheit meistens viel schneller.”

Bei rapidem Gewichtsverlust sollten Angehörige reagieren

Die Kinder der Betroffenen, selbst Erwachsene mit eigener Familie, machen sich im Anfangsstadium vor allem um eines Sorgen: Kann die Mutter oder der Vater noch alleine wohnen? Zunächst mag es zwar noch helfen, Zettelchen gegen das Vergessen zu schreiben. Aber auch das nützt schon bald nicht mehr. Die Hilflosigkeit wird größer. “Eine definitive Grenze ist erreicht, wenn sich die Person selbst gefährdet”, erklärt Mey.

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Bemerken Angehörige beispielsweise, dass der Erkrankte plötzlich körperlich stark abnimmt, könne das ein Anzeichen dafür sein, dass Einkaufen und Kochen bereits zu komplexe Vorgänge darstellen. Ein Anzeichen für den abnehmenden Orientierungssinn sei das häufige Verlassen der Wohnung – ohne wieder nach Hause finden zu können. “Der innere Kompass geht mit dem Fortschreiten der Demenz verloren”, erklärt Mey.

Selbst Zettel im Alltag nützen irgendwann nicht mehr.

Selbst Zettel im Alltag nützen irgendwann nicht mehr.

Eine Zäsur: Der Umzug zu den Angehörigen

Viele Demenzkranke, die keinen Lebenspartner haben, ziehen dann zu den eigenen Kindern und ihrer Familie statt in eine Pflegeeinrichtung oder ambulante Wohngemeinschaft. “Die Betreuung durch Angehörige ist eine große Aufgabe – vor allem, wenn man gleichzeitig berufstätig ist und eigene Kinder großzieht”, betont Mey. Darüber müssten sich Angehörige, die erkrankte Eltern bei sich aufnehmen, im Klaren sein.

Laut einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung der Krankenversicherung Continentale (2016) fühlen sich 71 Prozent der pflegenden Angehörigen stark belastet. Drei Viertel der Befragten haben zudem Angst, dass sich der Zustand der zu pflegenden Person verschlechtert. Viele fürchten, die Pflege auf lange Sicht emotional und körperlich nicht mehr zu bewältigen, sie mit dem Beruf nicht in Einklang zu bringen, sozial isoliert zu sein, Unterstützung durch Freunde und Familie zu verlieren oder die Pflege nicht mehr finanzieren zu können.

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Das alltägliche Zusammenleben berge viele Konflikte, bestätigt Mey: “Die Betroffenen fürchten, ihre Autonomie zu verlieren, und wollen ihr Gesicht, ihr Selbstwertgefühl wahren. Sie wollen nicht krank und vergesslich dastehen, auch nicht vor den engsten Familienangehörigen.” Ängste, Panik, Unsicherheit nehmen zu.

Belastend sei für Familien vor allem, dass Unruhe in den Tag-Nacht-Rhythmus kommen kann. Demenzkranke werden etwa unter Umständen mitten in der Nacht wach und laufen orientierungslos herum.

Offen über die Krankheit sprechen

Bei Gesprächen über die Krankheit sollte deshalb immer ein guter Moment abgepasst werden. Angehörige sollten das nicht erzwingen, sondern sich mit Fingerspitzengefühl herantasten, rät Mey. Auf die Wörter Demenz und Alzheimer sollte nach Möglichkeit verzichtet werden. “Das sind starke Begriffe, die den Betroffenen Angst machen können”, erklärt die Soziologin. Stattdessen könnte die Familie beispielsweise von Konzentrations- und Merkschwierigkeiten sprechen.

Pflegende Angehörige sollten sich an das Redetempo des Demenzkranken anpassen, ruhig und langsam in unkomplizierten Sätzen sprechen. Die Informationsverarbeitung funktioniert bei einer Demenz nicht mehr so wie vorher. “Bei einer Überforderung gehen Betroffene ganz schnell in eine ablehnende Haltung”, berichtet Mey. Wichtig sei, dass die ganze Familie im Alltag mitzieht – auch (Ehe-)Partner und die eigenen Kinder. Auch die Jüngsten sollten von ihren Eltern altersentsprechend über die Demenzerkrankung von Oma oder Opa aufgeklärt werden. Oft hätten Kinder sogar einen natürlicheren Zugang zur Erkrankung, berichtet Mey. “Es ist in Ordnung, die Dinge auch mal mit Humor zu nehmen.”

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Demenzerkrankte Eltern oder Großeltern zu pflegen ist keine leichte Aufgabe. Miteinander und über die Erkrankung reden ist daher für alle wichtig. Dafür sollte aber der Moment passen.

Demenzerkrankte Eltern oder Großeltern zu pflegen ist keine leichte Aufgabe. Miteinander und über die Erkrankung reden ist daher für alle wichtig. Dafür sollte aber der Moment passen.

Kinder im Haushalt: Kann die Familie die Pflege leisten?

Im alltäglichen Zusammenleben sollten Kinder um Mithilfe gebeten werden. So könnten sie beispielsweise gemeinsam mit Oma oder Opa den Tisch decken – und dafür gelobt werden, ein Stück Verantwortung zu übernehmen. Bei einer Überforderung müssten sich Kinder aber auch in das eigene Zimmer zurückziehen dürfen, betont Mey.

Wird es schnell trubelig zu Hause, weil die Kinder noch kleiner sind, Freunde mit nach Hause kommen und durchs Haus toben, fühlen sich manche Demenzkranke überfordert. Gültige Konventionen gelten plötzlich nicht mehr. Deshalb sollten sich Familien laut Mey immer wieder selbstkritisch hinterfragen: “Wie ist die Person in ihrem Charakter, wie ist sie in ihrer Demenz und können wir das als Familie tragen, wenn kleine Kinder im Haus sind?”

Bei fortschreitender Demenz Hilfe von außen holen

Um Entlastung zu schaffen, hilft ein gutes Netzwerk. Beispielsweise könnten Erkrankte tagsüber in der Tagespflege betreut werden. In dieser Zeit haben Angehörige dann Zeit für eigene Vorhaben. Ehrenamtliche der regionalen Alzheimer-Gesellschaften können regelmäßig etwas mit dem Erkrankten unternehmen. Bekannte können für kurze Verschnaufpausen um Hilfe gebeten werden. Eigene Sorgen im Umgang mit den Eltern können in regionalen Angehörigengruppen ausgetauscht werden, rät Mey.

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Merkt die Familie, dass das Zusammenleben den leistbaren Rahmen sprengt, könne immer wieder neu über die Situation nachgedacht, vielleicht doch eine Pflegeeinrichtung oder ambulante Wohngemeinschaft in Betracht gezogen werden. “Es gibt nicht die eine Entscheidung”, betont Mey. “Das ist für alle ein Lernprozess.” Es sei klar, dass nicht sofort alles auf Anhieb klappe.

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Zahl der Menschen mit Demenz steigt

Die Zahl der Menschen mit Demenz in Deutschland wird neuen Schätzungen zufolge bis 2050 erheblich steigen. Während 2018 knapp 1,6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik mit einer Demenzerkrankung lebten (1,9 Prozent der Bevölkerung), gehen die Experten von Alzheimer Europe von einem Anstieg auf 2,7 Millionen im Jahr 2050 aus (3,4 Prozent). Das geht aus einem Bericht des Dachverbands nationaler Alzheimer-Gesellschaften hervor. Deutschland liegt mit dieser erwarteten Entwicklung im europaweiten Trend. Speziell für Deutschland sei der steigende Anteil von Menschen über 65 Jahren an der Bevölkerung ein Schlüsselfaktor, dabei insbesondere der Anteil von Menschen, die über 85 Jahre alt sind.

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Vorsorge schafft Klarheit

Im frühen Stadium der Demenzerkrankung sollten Erkrankte einige rechtliche und finanzielle Dinge regeln:

  • Vorsorgevollmacht: Mit einer Vorsorgevollmacht können Vertrauenspersonen bevollmächtigt werden, für den Erkrankten zu handeln. Die Vereinbarung gilt ab dem Zeitpunkt, an dem die erkrankte Person dazu krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist. Die dazu bestimmte Person kann bevollmächtigt werden, Entscheidungen zur medizinischen Behandlung zu treffen, die finanziellen Angelegenheiten zu regeln oder auch einen Platz in einem Pflegeheim zu suchen.
  • Pflegegrad beantragen: “Es ist wichtig, dass ein Pflegegrad beantragt wird”, betont Laura Mey von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Damit sind gewisse Gelder zur Unterstützung verknüpft. So gibt es in Kombination mit einem Pflegegrad eine finanzielle Unterstützung zur Tagespflege, auch zur Kurzzeitpflege, wenn die Familie etwa in den Urlaub fahren möchte. Weigert sich eine an Demenz erkrankte Person dagegen, den Pflegegrad zu beantragen, können Angehörige diesen bei Vorliegen der Vorsorgevollmacht beantragen.
  • Betreuungsverfügung: Liegt keine Vorsorgevollmacht vor, können Angehörige zum Betreuungsgericht gehen. Eine Betreuung entsprechend dem Betreuungsgesetz wird auch dann notwendig, wenn die Vorsorgevollmacht nicht ausreichend ist. Angehörige, Freunde oder andere Personen können nur dann im Namen der Demenzkranken handeln, wenn sie als rechtliche Betreuer vom Gericht eingesetzt wurden.
  • Patientenverfügung: Alle ärztlichen Maßnahmen bedürfen der Einwilligung des Patienten. Bei Fortschreiten der Demenz können Patienten diese nicht mehr selbst geben. Deshalb ist eine Patientenverfügung wichtig. Darin können Erkrankte beispielsweise festlegen, ob sie künstlich ernährt oder künstlich beatmet werden möchten.
  • Testament: In einem Testament wird bestimmt, was nach dem Tod mit dem eigenen Geldvermögen oder auch eigenen Immobilien passieren soll. Es muss mit Datum versehen und eigenhändig geschrieben und unterschrieben sein. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann auch zu einem Notar gehen.
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