Die Corona-Pandemie als Bewährungsprobe
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Das Symbol der Pandemie: Der Mund-Nasen-Schutz ist unter manchen Menschen höchst umstritten.
© Quelle: Montage: RND. Fotos: enginakyurt/Unsplash (2)
Franziska hat für Mittwoch zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Die Tochter von Sabine hat ihren Schüleraustausch im US-amerikanischen Michigan angetreten. Die Kinder im Verein spielen Fußball. Zweikämpfe sind wieder erlaubt, am Wochenende beginnt wie jedes Jahr die Punktspielsaison. Endlich, sagt der Trainer. Aber war da nicht noch was? Corona? Die Pandemie? Ansteckungsgefahr? Kontaktbeschränkungen?
Vor wenigen Wochen, als die Sommerferien in den ersten Bundesländern zu Ende gingen und die Infektionszahlen langsam wieder anstiegen, diskutierten viele Deutsche noch, ob jetzt die sogenannte zweite Welle käme. Der Alltag in den meisten Familien jedoch sieht heute schon fast so aus wie vor Corona, wenn auch mit dem Unterschied, dass nun die Maske dazugehört. Die Terminkalender sind wieder voll. Die Schule hat den Regelbetrieb aufgenommen, der Chor probt, die Ballettschule öffnet, und die meisten Berufstätigen arbeiten nicht mehr zu Hause, sondern wieder im Betrieb oder im Büro.
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Schulstart unter besonderen Vorzeichen.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Am liebsten draußen wegen Corona
Viele Menschen sind froh, dass sie der Eingesperrtheit entkommen sind, die das Coronavirus zu Beginn das Jahres zunächst nach Bayern und dann über das ganze Land gebracht hat. Doch Johanna* lebt noch in der Corona-Welt. Sie meidet geschlossene Räume, so gut es geht. Freunde und Verwandte trifft sie am liebsten draußen. Sie fährt lieber Fahrrad oder Auto statt Bahn. Und sie ist entschlossen, das auch im Winter so durchzuziehen. “Es gibt ja Daunenmäntel”, sagt sie.
Der “Spiegel”-Journalist Markus Feldenkirchen hat schon zu Beginn der Corona-Krise einen Begriff für Menschen wie Johanna geprägt, die sich, ob nun aus Angst oder Disziplin, an die Kontaktbeschränkungen halten: Corona-Spießer. Corona-Spießer zu sein bedeutet in den Wochen der Lockerungen nicht nur, weiterhin und bisweilen freiwillig, Einschränkungen im Alltag hinzunehmen, sondern auch, dass man sich erklären und im Zweifel sogar streitbar sein muss. Wenn Johanna mit Kollegen oder Freunden spricht, geht es täglich darum, warum sie keinen Besuch in ihrer Wohnung möchte, das Kino meidet oder Maske trägt, wenn andere darauf verzichten.
Die Mehrheit der Deutschen steht zwar hinter Corona-Maßnahmen wie der Maskenpflicht. Sogar 71 Prozent der Bundesbürger sind laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa der Ansicht, Verstöße gegen Corona-Regeln müssten härter bestraft werden. Doch wer welche Regeln wie befolgt, ist seit dem Beginn der Pandemie ein Thema. Das ist auch in Johannas Freundeskreis so. Je lockerer der Alltag da draußen wird, je weniger gesetzliche Vorgaben es zum Umgang mit Corona gibt, desto mehr muss Johanna ihre Vorsicht erklären.
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Befürworten Sie wegen der Corona-Pandemie die Maskenpflicht?
© Quelle: RND
Wegen Corona nicht zu viert ins Auto
Es gibt Menschen in ihrem Umfeld, die ihren disziplinierten Umgang mit den Vorgaben, ihren Rückzug in die eigene Wohnung, wenn andere draußen grillen, in den ersten Corona-Wochen persönlich genommen haben und als Ablehnung empfanden. Einigen Bekannten muss Johanna bis heute erklären, warum sie gemeinsame Spaziergänge zwar unternehmen mag, eine Reise zur viert im Auto ins Allgäu für sie aktuell aber nicht denkbar ist.
Im Sommer war das kein Problem. Da gab es den Park, den Garten, den Balkon. “Herbst und Winter werden eine Herausforderung”, sagt die 34-Jährige – und meint damit nicht das Infektionsgeschehen, sondern ihren Freundeskreis.
Wie alle Deutsche hat Johanna in den vergangenen Monaten nicht nur viel über Corona gelernt, sondern auch, dass Pandemien und zwischenmenschliche Beziehungen einfach nicht zusammenpassten. Gute Freunde sahen in ihrer Vorsicht schlichtweg – und wie Johanna sagt, fälschlicherweise –, übertriebene Panik. Andere versuchten immer wieder, sie zu Verabredungen einzuladen. Da war die Doppelkopfrunde, die auch im März und entgegen der gesetzlichen Auflagen weiterhin stattfand. Die Fitnessgruppe, die für ihren Geschmack viel zu früh das Training in geschlossenen Räumen wieder aufnahm und die Übertragung per Videochat wieder einstellte.
Das Schlagwort Corona steht seit Monaten ganz oben
Es gab aber auch viele Freunde, die Verständnis hatten: Eine von ihnen brachte noch im März, als viele so wenig wie möglich rausgehen wollten, eine Familienpackung Eis von Johannas Lieblingseisdiele an die Tür, mit einer anderen teilte sie die Einkäufe auf. Immer mal wieder standen da Blumen – oder kleine Geschenke für die Kinder.
In den Trends der Suchmaschine Google rankt das Schlagwort Corona seit Monaten weltweit ganz oben. Das ist keine Überraschung. Es gab wohl kaum ein Gespräch unter Freunden, in dem es in den vergangenen Wochen nicht um Corona ging. Covid-19 und die damit verbundenen Veränderungen, die Einschränkungen, die den Alltag jedes Einzelnen betreffen, bestimmen meist den Anfang eines Dialoges, sie ziehen sich durch, und stehen oftmals auch am Ende.
An den ersten Abenden der Kontaktbeschränkungen saßen viele noch hoffnungsvoll vor ihren Computern und versuchten, gemeinsame Abende per Zoom-Schalte nachzuempfinden. Diese Ambitionen allerdings sind oftmals schnell wieder verflogen. Für viele war es eben doch nicht dasselbe: “Wenn wir uns treffen, nehmen wir uns zur Begrüßung in den Arm, wir erkennen in den Gesichtern des anderen Ironie, Zweifel, Freude und Unverständnis. Alle diese kleinen Hinweise in der Mimik der anderen hat so oft in diesen Tagen einfach die schlechte WLAN-Verbindung verschluckt”, sagt Johanna. “Ich habe in den letzten Monaten viele eingefrorene Gesichter meiner Freunde gesehen. Hochzeiten, Trennungen, Streit – wir haben viel miteinander durchlebt. Den Pausen des Bufferings aber hatten wir dann doch nicht so viel entgegenzusetzen.” Manche ihrer Freundschaften haben in der Corona-Krise Risse bekommen.
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Ein Hinweis “Einstieg nur mit Maske” hängt an einem Zug.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Krisen sind immer auch Bewährungsproben
Das ist nach Meinung von Wissenschaftlern sogar ganz natürlich. Krisen sind immer auch Bewährungsproben für Beziehungen, sagt etwa auch der Berliner Psychotherapeut und Autor Wolfgang Krüger. “Corona verlangt von uns, dass wir Geduld haben, dass wir kreativ mit der Situation umgehen, aber auch mehr Nachsicht mit unseren Mitmenschen haben.” Besonders innige Freundschaften, die Krüger als Herzensfreundschaften bezeichnet, seien in dieser Phase besonders stabil. “Diese werden die Krise überstehen. Die Alltagsfreundschaften dagegen sind weniger belastbar und fest. Sie werden durch andere Sichtweisen, durch weniger Kontakt, eher Schaden nehmen”, sagt der Autor des Buches “Freundschaft: Beginnen, verbessern, gestalten”.
Sobald die Corona-Zeit vorüber ist, werden wir uns wieder mit Freuden umarmen. Da sind wir Menschen wie ein Ball, den man unter Wasser drückt und der mit viel Wucht nach oben springt, sobald man ihn loslässt.
Wolfgang Krüger,
Psychotherapeut und Autor
Über Corona zu reden ist etwa vergleichbar mit einem Gespräch über Glaube oder Politik. Es geht um tiefe, innere Einstellungen. Freundeskreise, in denen die ersten Paare Eltern wurden, und folglich Auffassungen zur Kindererziehung zum Reizthema wurden, werden sich vielleicht daran erinnert fühlen. Corona-Spießern geht es im Grunde wie Veganern beim Mittagessen in der Kantine unter Fleischessern oder Klimaschützern im Gespräch mit Vielfliegern. Man zollt ihnen Respekt bis hin zu tiefer Bewunderung für ihr diszipliniertes, verantwortungsbewusstes Verhalten. Und dann erzählen alle, warum sie persönlich nicht verzichten können oder vielleicht auch nur wollen. “Wir leben alle nicht unbedingt nach den Regeln der Vernunft. Wir suchen immer auch nach Spaß und Zerstreuung”, sagt Krüger. “Auch jetzt sind viele Menschen geneigt, sich nicht nach den Regeln zu verhalten, um das eigene Leben angenehmer zu gestalten.”
Maskenverweigerer in der Straßenbahn
Auch Johanna hat das schon erlebt. “Zu Beginn des Gesprächs regten meine Freundin und ich uns über die Maskenverweigerer in der Straßenbahn auf. Am Ende des Treffens erklärte sie mir dann, warum sie im Zug am liebsten im Bordrestaurant sitzt – weil sie da keine Maske tragen muss.” Sie hat mittlerweile einen guten Weg gefunden, die unterschiedlichen Einstellungen ihrer Freunde zu tolerieren. “Jeder muss seinen Weg in der Krise selbst wählen und entscheiden, was er macht”, sagt sie. “Als quälend empfinde ich allerdings, wenn ich mich andersherum immer wieder rechtfertigen muss.”
Allerdings ist sie mittlerweile zuversichtlich, dass ihre Freundschaften diese Zeit überdauern werden. Dass der Mangel an Nähe und Berührung sich nachhaltig auf die Gesellschaft auswirken wird, ist ohnehin nicht zu befürchten. “Sobald die Corona-Zeit vorüber ist, werden wir uns wieder mit Freuden umarmen. Da sind wir Menschen wie ein Ball, den man unter Wasser drückt und der mit viel Wucht nach oben springt, sobald man ihn loslässt”, sagt Krüger. Das ist doch eine gute Nachricht.
* Name von der Redaktion geändert.