Forscher erklärt, warum wir Labels wie den Nutri-Score brauchen
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Der Nutri-Score gibt auf den ersten Blick darüber Auskunft, wie gesund ein Lebensmittel ist.
© Quelle: imago images/Reiner Zensen
Ein Dutzend Früchtemüslis stapeln sich im Supermarktregal. Welches das gesündeste ist, lässt sich bisher nur durch das umständliche Studieren der Nährwerttabellen herausfinden. Hier setzt der nun in Deutschland eingeführte Nutri-Score an: Er kategorisiert Lebensmittel. Die grüne Stufe A ist am gesündesten, die rote Stufe E gilt es in Maßen zu genießen. Bisher ist das Platzieren des auch Lebensmittelampel genannten Labels auf Verpackungen für Unternehmen freiwillig.
Vom Nutzen des Nutri-Score ist Prof. Stefan Schaltegger von der Leuphana-Universität Lüneburg überzeugt. Der Professor für Nachhaltigkeitsmanagement hat mit seinen Kollegen erforscht, wie Nutri-Score und Co. Kaufentscheidungen hinsichtlich des Kriteriums Nachhaltigkeit beeinflussen. Im Interview erklärt der Leiter des Centre for Sustainability Management, inwieweit das Label tatsächlich positiv aufs Klima wirken kann und warum gerade umweltbewusste Konsumentinnen und Konsumenten vom Nutri-Score profitieren.
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Prof. Stefan Schaltegger forscht im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg.
© Quelle: Leuphana Universität Lüneburg
Herr Schaltegger, auf Verpackungen im Supermarkt prangen schon jetzt jede Menge Labels, die verifizieren sollen, wie gesund oder klimafreundlich ein Produkt ist. Nun kommt der Nutri-Score dazu. Sehen Sie als Professor für Nachhaltigkeitsmanagement diese Lebensmittelampel als Verbesserung für den Verbraucher?
Der Wert eines Labels kann für Konsumentinnen und Konsumenten daran bemessen werden, wie klar und richtig die Aussage ist und wie gut sie rasch erkannt und verstanden wird. Ein Label sollte möglichst unmissverständlich sein. Dementsprechend erachte ich den Nutri-Score als eine Verbesserung.
Der Nutri-Score ist eine gute Ergänzung anderer Labels.
Denn die Darstellung mit Ampelkennzeichnung sticht visuell hervor. Sie ist nachgewiesenermaßen einfach zu verstehen und fußt auf differenzierten ernährungswissenschaftlichen Empfehlungen. Die Informationen werden prägnant und kompakt auf der Vorderseite von Produkten präsentiert. Der Nutri-Score ist eine gute Ergänzung anderer Labels.
Stimmt, das Label ist leicht zu verstehen – aber die Berechnung dahinter nicht. Eine Nährwerttabelle finde ich einfacher nachzuvollziehen. Auch wenn die natürlich voraussetzt, die Werte einordnen zu können.
Für den Nutri-Score braucht man eben keine vertiefte Fachkenntnis. Ich gebe Ihnen recht: Es ist schwierig nachzuvollziehen, wie der Punktewert errechnet wurde. Das ist nach meinem Verständnis aber auch nicht das, was die meisten Konsumentinnen und Konsumenten machen.
Der Nutri-Score sagt nichts darüber aus, wie natürlich oder künstlich ein Lebensmittel ist.
Allerdings sehe ich eine andere Schwierigkeit. Der Nutri-Score sagt nichts darüber aus, wie natürlich oder künstlich ein Lebensmittel ist. Eine Cola light kommt gut weg, obwohl sie hochkünstlich ist und ungesunde Zuckerersatzprodukte enthält. Apfelsaft landet in einer niedrigeren Kategorie wegen des Fruchtzuckers. Da kann man sich fragen, ob das natürlichere Lebensmittel nicht das bessere ist. Aber Ernährungswissenschaftler sagen: Fructose ist Zucker und viel Zucker ist schlecht.
Wer auf seine Gesundheit achtet, sollte also zuckrige Produkte meiden?
Bei all dem ist zu beachten, dass der isolierte Konsum eines einzelnen Lebensmittels weder gesund noch krank macht. Vielmehr ist der Konsum eines einzelnen Lebensmittels im Kontext der Lebensweise und des gesamten Konsums aller Lebensmittel einer Person zu betrachten. Diese Gesamtschau kann kein Label auf einem Produkt leisten.
Mit dem Nutri-Score soll man einfacher vergleichen können, ob Müsli A oder Müsli B gesünder ist. Trägt er auch dazu bei, dass sich Menschen im Supermarkt für ein nachhaltigeres Produkt entscheiden?
Nein. Der Nutri-Score ist kein Nachhaltigkeits-, sondern ein Gesundheitslabel. Er betrachtet funktional die Inhaltsstoffe. Aber er gibt zum Beispiel keine Informationen darüber, wie natürlich, künstlich oder nachhaltig ein Produkt ist. Aber: Häufig – nicht immer – sind die Empfehlungen für eine gesunde und umweltfreundliche Ernährung deckungsgleich. Nehmen wir das Beispiel Fleischkonsum. Weniger Fleisch zu essen ist gesünder und auch nachhaltiger. Darüber hinaus sind natürliche und weniger verarbeitete Lebensmittel aus nachhaltiger Perspektive immer besser. Denn für deren Produktion wird weniger Energie benötigt und komplexe Lieferketten entfallen.
Saisonal, regional, wenig Fleisch und viel Gemüse: Eigentlich wissen wir doch, wie wir uns gesund und klimafreundlich ernähren. Warum braucht es dennoch einen Nutri-Score?
Das Grundlagenwissen über die gewünschte und für sich selbst als angemessen erachtete Ernährung ist das eine. Das tatsächliche Verhalten im Supermarkt ist oft ganz anderes. Jeder kennt das. Wenn man hungrig oder gestresst in den Supermarkt geht, dann führt das dazu, dass man impulsiv einkauft oder nach Gewohnheiten. So müssen wir für Entscheidungen weniger nachdenken. Das macht evolutionär viel Sinn, denn das Gehirn braucht viel Energie fürs Denken. Der Nutri-Score kann unterstützend wirken. Er ermöglicht einen schnellen und relativ fundierten Vergleich ähnlicher Produkte, ohne dass man viel denken muss.
Der Nutri-Score ist kein Nachhaltigkeits-, sondern ein Gesundheitslabel. Er betrachtet funktional die Inhaltsstoffe. Aber er gibt zum Beispiel keine Informationen darüber, wie natürlich, künstlich oder nachhaltig ein Produkt ist.
Essen hat auch eine kulturelle Dimension. Inwieweit spielt dieser Aspekt eine Rolle, wenn es darum geht, die eigene Ernährung klimafreundlicher zu gestalten?
Was gesund und notwendig ist für einen Menschen, hat sich im Laufe der Jahrhunderte geändert. Früher hatten wir keine Zentralheizung und haben körperlich mehr gearbeitet. Also war es sinnvoll, im Winter mehr fettige Nahrung zu konsumieren. Wenn wir heute den ganzen Tag in beheizten Räumen sitzen, brauchen wir diese Kalorien nicht. Was früher gut war, muss es jetzt nicht mehr sein. Fett und Zucker findet unser Gehirn aber immer noch gut. In der Menschheitsgeschichte haben Fett und Zucker uns geholfen, besser zu überleben, so ganz ohne Zentralheizung.
Wenn man das Wissen und das Bewusstsein über gesunde Ernährung nicht hat, dann prallt der Nutri-Score an einem ab, dann sagt er einem nichts. Das zeigt, wie wichtig Bildung ist.
Unser Alltag hat sich über einen so kurzen Zeitraum geändert, dass sich unser Gehirn, unsere Kultur und unsere Gewohnheiten noch nicht entsprechend angepasst haben. Das können wir mit Verstand zwar analysieren, um aber dem Vernünftigen beim Einkaufen Vorrang zu geben, benötigen wir Entscheidungshilfen. Darstellungen wie der Nutri-Score können helfen, schlechten Gewohnheiten zu begegnen, die man ablegen möchte.
Ein Ergebnis Ihrer Studie lautet: Labels wie der Nutri-Score funktionieren besser, je höher jemand gebildet ist. Verfehlen sie damit nicht ihr Ziel? Es geht doch schließlich darum, dass alle Menschen einfacher und niedrigschwelliger Produkte miteinander vergleichen können.
Jein. Auf der einen Seite kann man das sagen. So zeigt sich, dass der Nutri-Score keine Manipulation darstellt. Denn: Nur, wenn man das Wissen und den Willen hat, beispielsweise weniger Fleisch zu konsumieren, kann der Nutri-Score diese Entscheidung unterstützen. Wenn man das Wissen und das Bewusstsein über gesunde Ernährung nicht hat, dann prallt der Nutri-Score an einem ab, dann sagt er einem nichts. Das zeigt, wie wichtig Bildung ist.
Sollte gesunde Ernährung schon in der Schule mehr thematisiert werden?
Unbedingt! Ich finde, alle Kinder sollten kochen lernen. Grundkenntnisse im Kochen zu haben und die rohen Lebensmittel kennenzulernen, halte ich für sehr wichtig. Bildung spielt eine essenzielle Rolle, auch Bildung zu Nachhaltigkeit und Gesundheit. Ein Nutri-Score ersetzt keine Bildung.
Wie ernährt man sich optimalerweise, wenn man dem Klimawandel entgegenwirken möchte?
Als Grundprinzip: Wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, isst klimafreundlicher. Außerdem können einige Daumenregeln helfen, sich nachhaltiger und dabei gesünder zu ernähren. Erstens: Viel Obst und Gemüse, am besten aus ökologischer, regionaler und saisonaler Erzeugung. Also keine frischen Erdbeeren zu Weihnachten. Zweitens: wenig oder weniger Tierisches. Das betrifft nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte. Wenn tierische Produkte auf den Tellern landen, sollte man auf hohe Bioqualität achten und sie in Maßen genießen.
Beim Fleisch gibt es eine Reihenfolge: Die Produktion von Geflügel verursacht am wenigstens Treibhausgas-Emissionen, danach folgt Schwein und dann Rind. Last but noch least, es gibt viele interessante und schmackhafte Fleischersatzprodukte. Nicht alle überzeugen, das muss man ausprobieren. Dabei muss man es auch nicht immer mit Fleisch vergleichen. Wichtig ist, dass das Ersatzprodukt gut schmeckt und gesund ist – und nicht, dass es genau wie Fleisch schmeckt.