„Eine Zeit des Umbruchs und des Risikos“: Omikron zwingt selbst Neuseeland in die Knie
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Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern warnt, dass das Land in eine neue Phase des Pandemie-Managements eintrete, die „mit nichts vergleichbar ist, was wir bisher erlebt haben“.
© Quelle: Hagen Hopkins/XinHua/dpa
Bis vor kurzem war Neuseeland eines der Länder, die dank einer stringenten No-Covid-Politik weitestgehend von der Pandemie verschont waren. Doch ein Ausbruch der Delta- und jetzt der Omikron-Variante hat den Inselstaat in die Knie gezwungen. Inzwischen registriert das Land mit seinen fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern täglich Hunderte Neuinfektionen. Am Dienstag beispielsweise waren es 744 neue Covid-Fälle.
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern warnte bereits, dass das Land in eine neue Phase des Pandemiemanagements eintrete, die „mit nichts vergleichbar ist, was wir bisher erlebt haben“. Zum ersten Mal in den zwei Jahren seit Beginn der Pandemie würden Neuseeländer mehr Covid in der Gesellschaft erleben, sagte sie. „Es ist eine Zeit des Umbruchs und des Risikos“, gestand sie ein. Neuseeland habe „nichts Derartiges bisher erlebt“.
Lautstarke Proteste
Gleichzeitig kämpft das Land mit einer Welle an Protesten von Impfgegnerinnen und Impfgegnern. Demonstrierende belagern seit nun über einer Woche das Parlament in der Hauptstadt Wellington. Die Impfgegnerinnen und Impfgegner sind in der Minderheit – Neuseeland hat eine hohe Impfrate: Fast 78 Prozent der Bevölkerung sind hier doppelt geimpft, dies entspricht 95 Prozent der Neuseeländerinnen und Neuseeländer ab zwölf Jahren. Letzteres verdankt das Land unter anderem einer Reihe an Impfmandanten: Lehrerinnen und Lehrer, medizinisches Personal oder Polizistinnen und Polizisten müssen sich impfen lassen. Auch Angestellte in Geschäften, wo Kundinnen und Kunden einen Impfpass vorzeigen müssen, müssen geimpft sein. Dies hat aber auch die kleine, aber sehr lautstarke Gruppe an Demonstrierenden auf den Plan gerufen.
Letztere sind in den vergangenen Tagen mit teils ausfallendem Benehmen aufgefallen, das auch Premierministerin Jacinda Ardern verärgert hat. „Letztendlich haben wir natürlich ständig Proteste an diesem Ort“, sagte sie vor Medienvertretern. Das müsse man als Politiker akzeptieren. Aber was sich derzeit vor dem Parlament abspiele, sei etwas völlig Neues. Ardern sprach an, dass sowohl Parlamentsmitarbeitende wie auch Journalistinnen und Journalisten beschimpft und bedroht worden seien. Am Dienstag drohte die Polizei, härter durchgreifen und Demonstrierende notfalls auch in Haft nehmen zu wollen.
Modell-Pandemie-Management mit einer wunden Stelle
Neuseeland war fast zwei Jahre „abgeriegelt“ gewesen: Erst Ende Februar sollen die Grenzen wieder stufenweise geöffnet werden. Zunächst dürfen wieder Neuseeländerinnen und Neuseeländer einreisen, ohne zwei Wochen in einer staatlichen Quarantäneeinrichtung verbringen zu müssen. Ab Oktober werden sich die Grenzen auch für internationale Reisende öffnen. Allerdings werden Covid-19-Impfungen und Selbstisolation Voraussetzung für eine Einreise sein. Neuseeland ist mit rund 21.000 Covid-Infektionen und 53 Todesfällen bisher eines der Länder gewesen, das die Pandemie relativ erfolgreich unter Kontrolle gehalten hat. Doch die „Corona-Festung“ am anderen Ende der Welt hat andere Opfer gefordert: Denn sie hat ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger, die im Ausland leben, quasi aus dem Land gesperrt. Theoretisch galten die geschlossenen Grenzen zwar nicht für Neuseeländerinnen und Neuseeländer, doch das bisher strenge Quarantäneprogramm machte eine Rückkehr im wahrsten Sinne des Wortes zum Glücksspiel.
Denn wer nicht einen Notfall ausweisen konnte, der musste sich bei der Verteilung der Quarantäneplätze tatsächlich auf ein Lotteriesystem verlassen. Im Januar beispielsweise bewarben sich mehr als 16.000 Menschen um 1250 Zimmer, die für März und April verfügbar waren. In lokalen Medien wurde immer wieder von tragischen Fällen berichtet – von einer Mutter, die verzweifelt zu ihrem chronisch kranken Kind zurückkehren wollte, von einer Frau, die in Großbritannien feststeckte, nachdem sie zu ihrem sterbenden Vater geflogen war. Die meisten der Schicksale blieben namenlos, nachdem immer mehr Menschen die Erfahrung machen mussten, dass sie im Internet mit Hassnachrichten bombardiert wurden, sobald ihr Name veröffentlicht wurde.
„Anpassungsfähige“ Neuseeländer
Vor kurzem gab aber die schwangere neuseeländische Reporterin Charlotte Bellis diesen Neuseeländern, die teils seit zwei Jahren im Ausland feststeckten, ein Gesicht. Bellis hatte wegen der strengen Covid-Restriktionen in ihrem Heimatland ebenfalls Probleme zurückzukehren und bat ausgerechnet die islamistische Taliban um Hilfe. Sie hatte zuvor über die Machtübernahme in Afghanistan berichtet und hatte nach wie vor ein Visum für das Land. Obwohl ihre eher extremen Maßnahmen von Menschenrechtsvertretern kritisiert wurden, erregte die Journalistin, die inzwischen einen Quarantäneplatz erhalten hat, weltweite Aufmerksamkeit und gab vielen namenlosen Neuseeländerinnen und Neuseeländern im Ausland eine Stimme.
In Neuseeland selbst kämpfen die Menschen dagegen mit der Realisation, dass das Virus sich trotz aller Vorsicht, Entbehrungen und Einschränkungen jetzt auch in ihrem Land unaufhaltsam ausbreitet. Doch Ardern ist trotz der steigenden Infektionszahlen zuversichtlich, dass ihr „Fünf-Millionen-Team“, wie sie ihr Volk gerne nennt, auch damit umgehen kann. „Meine ehrliche Meinung ist, dass Neuseeländer sehr anpassungsfähig sind“, sagte sie. „Es ist eine andere Phase, aber ich denke, die Neuseeländer sind bereit dafür.“