Sind Geimpfte wirklich so ansteckend wie Ungeimpfte?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IR2HBTTHJJDSPE6VYFYJYA35YY.jpeg)
Auch wenn die 3G-Regel nicht vorsieht, dass sich Geimpfte testen lassen, spricht aus wissenschaftlicher Sicht einiges dafür, seit die Delta-Variante dominiert.
© Quelle: Moritz Frankenberg/dpa
Können Geimpfte noch andere Menschen mit Corona anstecken? Die Zahl der Impfdurchbrüche steigt. Das zeigt, dass sich auch Geimpfte infizieren können. Verschiedene Studien haben zudem in den vergangenen Wochen den Verdacht erhärtet, dass Geimpfte, die krank werden, in den ersten Tagen eine ähnlich hohe Viruslast haben, wie nicht Geimpfte. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass sie genauso infektiös sind, wie eine Studie aus den Niederlanden nahelegt.
Die Studie, die Ende August auf einem Preprint-Server veröffentlich wurde, hatte die virologischen Eigenschaften von 161 Impfstoff-Durchbruchinfektionen bei 24.706 Geimpften aus dem Gesundheitswesen untersucht. Die meisten davon waren mit der Delta-Variante infiziert. Das Ergebnis: Die Viruslast bei den erkrankten Geimpften nahm schneller ab als bei den Ungeimpften.
Ob und wenn ja wie stark Geimpfte noch ansteckend sind, ist eine entscheidende Frage in der Pandemie. Noch im Mai war sich das RKI sicher: Die Impfung reduziere das Risiko einer Virusübertragung in dem Maß, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung keine wesentliche Rolle mehr spielen. Einfach gesagt: Geimpfte tragen nicht mehr wirklich dazu bei, dass sich das Virus verbreitet. Damals stand jedoch noch die Pandemie unter anderen Vorzeichen. In Deutschland kursierte die Virusvariante Alpha. Delta dominierte noch nicht ansatzweise und war auch nicht Gegenstand groß angelegter Studien.
Inzwischen ist man da weiter: PCR-Zyklus-Schwellenwerte (Ct) aus routinemäßig durchgeführten Tests in England zeigten, dass die Ct-Werte – und daraus abgeleitet die Viruslast – zwischen geimpften und ungeimpften Infizierten ähnlich hoch ausfielen. Auch die US-Seuchenschutzbehörde geht davon aus. Und eine noch zu begutachtende Preprint-Studie der Universität Oxford kommt nach eigener Analyse zum Ergebnis, dass geimpfte Menschen, die sich mit der Delta-Variante infizieren, höhere Viruslasten haben als noch bei der Alpha-Variante.
Viruslast ist nicht das gleiche wie Ansteckungsrisiko
Jeder, der denkt, dass er, wenn er sich nach einer Impfung infiziert, nicht übertragen kann – das ist wahrscheinlich nicht wahr.
Sarah Walker,
Studienleiterin Oxford University
Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Geimpfte auch ausreichend ansteckungsfähige Virenmengen an Ungeimpfte weitergegeben können. Die genauen Auswirkungen der Befunde seien nicht klar, wird etwa Sarah Walker, Studienleiterin und medizinische Statistikerin an der Oxford University, in einem Bericht der Fachzeitschrift „Nature“ zitiert.
„Die meisten unserer Tests finden monatlich statt; wir können nicht wirklich viel darüber sagen, wie lange Menschen ansteckend sind und vor allem, ob das bei Delta anders ist“, sagte die Wissenschaftlerin, betonte aber auch: „Jeder, der denkt, dass er, wenn er sich nach einer Impfung infiziert, nicht übertragen kann – das ist wahrscheinlich nicht wahr.“
Delta-Ansteckungsrisiko bei Geimpften: Atemwegsproben geben mehr Aufschluss
Die Studie der Radboud-Universität stimmt nun jedoch zuversichtlich, dass die Impfung auch bei der Delta-Variante einen Unterschied macht. Auch die niederländischen Forschenden fanden zwar erhöhte Ct-Werte (Viruslast). Allerdings war die Wahrscheinlichkeit, infektiöse Viren in Atemwegsproben von erkrankten Geimpften zu finden, geringer als bei Ungeimpften. Das bedeutet nicht, dass Ansteckungen durch Geimpfte gar nicht möglich sind. Auch bei 68,6 Prozent der untersuchten Geimpften mit Infektion wurde noch infektiöses Virus gefunden. Aber während der ersten drei Krankheitstage nahm die Viruslast ab – also früher als bei Nichtgeimpften üblich.
„Wir schließen daraus, dass seltene Impfstoffdurchbruchinfektionen auftreten, aber in diesen Fällen die Ausscheidung infektiöser Viren reduziert wird“, schreiben die Studienautorinnen und Studienautoren. Die Studie zeige damit die hervorragende Wirksamkeit der Impfung bei der Vorbeugung schwerer Covid-19-Erkrankungen. Sie zeige aber auch, dass geimpfte Personen sich immer noch infizieren und infektiöse Viren in sich tragen können.
Tests auch für Geimpfte mit Symptomen sinnvoll
Zusammenfassend zeigt die aktuelle Studienlage daher: Der persönliche Schutz vor Covid-19 bleibt durch die vollständige Impfung solide und kann auch Ansteckungen vermeiden – auch bei Delta. Vollständig geimpft sein heißt aber wohl eben nicht, dass eine Infektion und auch die Weitergabe infektiöser Viren an andere auf jeden Fall gestoppt wird. Wahrscheinlich sinkt das Risiko deutlich, andere Menschen mit Delta zu infizieren. Garantiert ist das aber nicht, und schon gar nicht in jedem Einzelfall.
Und eben weil so vieles durch die neuen Virusvarianten ungewiss ist, empfehlen Corona-Expertinnen und -Experten, dass auch Geimpfte dem allgemein empfohlenen Präventionsschutz weiter folgen: Alltagsmasken, Hygieneregeln, Abstand halten, lüften – und auch testen.
Auch die niederländischen Forschenden geben diese Empfehlung ab, obwohl sie nicht davon ausgehen, dass das Ansteckungsrisiko Geimpfter ähnlich hoch ist wie von Ungeimpften. „Symptomatische geimpfte Personen sollten getestet werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Virusübertragung weiter zu verringern“, schreiben sie. Das entspricht auch der Empfehlung des Robert-Koch Instituts für Deutschland.
3G- und 2G-Regel : Geimpfte von Testung ausgenommen
Diese Erkenntnisse sollten auch praktische Konsequenzen haben. In Deutschland etwa gilt nun die 3G- beziehungsweise 2G-Regel. Bei ersterer haben nur noch Geimpfte, Genese oder negativ Getestete Zutritt zu Bereichen des öffentlichen Lebens wie etwa Restaurants, Friseure oder Fitnessstudios. Bei der 2G-Regel beschränkt sich der Zutritt auf Geimpfte und Genesene.
Beide Testkonzept gehen davon aus, dass von Geimpften keine nennenswerte Gefahr mehr für andere Menschen ausgeht – und sie deshalb auf den Nachweis eines negativen Tests verzichten können. Bei 3G auch dann, wenn Ungeimpfte im öffentlichen Raum unterwegs sind.
Sicherer wäre es hingegen, wenn sich auch Geimpfte zuvor auf das Coronavirus testen lassen würden. Dann kann das Infektionsrisiko noch einmal mehr reduziert werden, heißt es aus der Wissenschaft. Dass sich Menschen, die vollständig geimpft sind, ebenfalls testen lassen müssen, sieht die 3G-Plus- beziehungsweise 2G-Plus-Regelung vor. Letztere soll an Orten wie Clubs und Diskotheken gelten, wenn die Zahl der hospitalisierten Corona-Erkrankten pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen den Schwellenwert von 6 überschreitet, haben Bund und Länder jüngst beschlossen.
Wir haben diesen Artikel am 21. November 2021 aktualisiert.