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Studie: Großteil der Corona-Impfreaktionen könnten auf Nocebo-Effekt beruhen

Wer schon vor der Corona-Impfung bestimmte Nebenwirkungen erwartet, erhöht das Risiko, dass sie durch einen sogenannten Nocebo-Effekt auftreten (Symbolfoto).

Wer schon vor der Corona-Impfung bestimmte Nebenwirkungen erwartet, erhöht das Risiko, dass sie durch einen sogenannten Nocebo-Effekt auftreten (Symbolfoto).

New York. Ein großer Teil der empfundenen Impfreaktionen bei den Corona-Impfungen könnte einer Studie zufolge auf den sogenannten Nocebo-Effekt zurückgehen. Rund drei Viertel (76 Prozent) der Patientenmeldungen zu den ganzen Körper betreffenden Reaktionen nach der ersten Impf-Dosis und etwa die Hälfte (52 Prozent) der Meldungen wahrgenommener Folgen nach der zweiten Impfdosis ließen sich in der Auswertung darauf zurückführen, schreibt ein Team von Forschenden um Julia Haas, Sarah Ballou und Friederike Bender unter anderem von der Harvard Medical School und der Philipps-Universität in Marburg im Fachmagazin „Jama Network Open“.

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In der Medizin sind Placebo- und Nocebo-Effekt bekannt. Positive Erwartungen können die Wirksamkeit eines Präparats verstärken und sogar bei einem Scheinmedikament zu einer Wirkung führen – das wird Placebo-Effekt genannt. Umgekehrt sorgt beim Nocebo-Effekt allein die Erwartung negativer Folgen dafür, dass diese tatsächlich zu spüren sind. Der Effekt ist etwa von den auf Beipackzetteln von Tabletten aufgeführten Nebenwirkungen bekannt: Allein die Erwartung einer Schädigung kann tatsächlich Schmerzen oder Beschwerden auslösen.

Ein Drittel der Scheinpräparat-Impflinge meldeten Nebenwirkungen

Für ihre Forschungen analysierten die Forschenden zwölf klinische Studien zu Impfungen mit verschiedenen Corona-Impfstoffen mit insgesamt rund 45.380 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Impfreaktionen meldeten – davon 22.802, die Impfstoff gespritzt bekommen hatten, und 22.578, die ein Scheinpräparat bekommen hatten, ein Mittel ohne Arzneistoff. Nach der ersten Dosis meldeten rund 35 Prozent der Scheinpräparat-Impflinge Reaktionen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit. Nach der zweiten Dosis waren es rund 32 Prozent. Bei den Impfstoff-Empfangenden waren es rund 46 Prozent nach der ersten Dosis und rund 61 Prozent nach der zweiten Dosis.

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Grund für die Nocebo-Reaktionen könnte den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zufolge die Aufklärung über mögliche Folgen vor der Impfung sein. „Es gibt Hinweise darauf, dass diese Art von Information dazu führen kann, dass Menschen übliche tägliche Hintergrundempfindungen dann fälschlicherweise auf die Impfung zurückführen, oder Sorgen und Nervosität auslösen, die die Menschen hypersensibel im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen machen“, sagte Ted Kaptchuk von der Harvard Medical School. Darüber müsse beim Impfen besser aufgeklärt werden, empfehlen die Forscherinnen und Forscher.

Als limitierend für die Ergebnisse führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die vergleichsweise kleine Zahl der analysierten Studien und deren hohe Heterogenität an.

Nocebo-Effekt bereits mehrfach beobachtet

Schon vielfach haben Forschende Folgen des Nocebo-Effekts untersucht. So berichteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) vor einigen Jahren, dass vermeintlich teure Medikamente diese Wirkung noch verstärken. Probandinnen und Probanden hatten gesagt bekommen, zu den Nebenwirkungen eines verabreichten Präparats zähle ein erhöhtes Schmerzempfinden. Jene, die von einem teuren Mittel ausgingen, verspürten nach Einnahme des Scheinmedikaments mehr Schmerz als die übrigen. Im Frontalhirn entstehende Erwartungen beeinflussten die Verarbeitung von schmerzhaften Reizen in tieferen Regionen des Nervensystems, erläuterten die Forschenden. Auch die Verarbeitung von Schmerzreizen im Rückenmark werde verändert.

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Wie mächtig der Nocebo-Effekt sein kann, zeigte einst ein Fall in den USA: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Psychiater Roy Reeves von der University of Mississippi in Jackson berichteten im Jahr 2007 im Fachmagazin „General Hospital Psychiatry“ über einen jungen Mann, der an einer Antidepressiva-Studie teilnahm und sich mit den ihm überlassenen Psychopharmaka das Leben nehmen wollte. Tatsächlich sackte sein Blutdruck so tief, dass der 26-Jährige in eine Notaufnahme kam. Dort stellten die Ärztinnen und Ärzte jedoch fest, dass der Mann zu jener Hälfte der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gehörte, die ein Scheinmedikament bekommen hatten. Als der Mann davon erfuhr, verschwanden die Symptome rasch.

RND/dpa

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