Wenn die Worte fehlen: So gelingt die Kommunikation mit Demenzkranken

Eine Frau hält die Hand ihres an Demenz erkrankten Mannes.

Die Diagnose „Demenz“ hat sowohl für Betroffene als auch für ihre Familien weitreichende Folgen.

Neckarsulm. Als spätabends Fremde die Mutter nach Hause bringen, weiß Daniela Gadetsios: Jetzt ist es soweit. Ein Pärchen hat die 67-jährige Frau gefunden – sie stand verwirrt an einer Landstraße, mitten im Nirgendwo. Eigentlich wollte sie Einkaufen fahren, doch plötzlich war die Straßenführung anders. Danielas Mutter fand sich nicht mehr zurecht. Vergesslich war sie schon lange gewesen, erinnert sich Daniela Gadetsios aus Neckarsulm bei Heilbronn. Aber das Ausmaß der Verwirrung wird der Tochter erst in dieser Nacht bewusst. Sie macht sofort einen Termin beim Arzt. Kurz danach steht fest: Ihre Mutter hat Alzheimer. Seitdem versinkt sie immer mehr in ihrer eigenen Welt.

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Ärztin über Demenz: „Im Anfangsstadium sind die Symptome oft kaum erkennbar“

In Deutschland leben rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz – eine unheilbare Störung des Gehirns, bei der die Nervenzellen nach und nach absterben. Täglich kommen mehr als 900 Betroffene hinzu. Alzheimer ist die häufigste Form der Erkrankung. „Im Anfangsstadium sind die Symptome oft kaum erkennbar“, sagt Dr. Ebba Ziegler, Chefärztin der Geriatrie am Klinikum Region Hannover (KRH), Standort Lehrte. „Vor allem dann nicht, wenn sich Betroffene in ihrem gewohnten Umfeld befinden.“ Mit der Zeit würden Erkrankte jedoch zunehmend vergesslich, verwirrt und orientierungslos.

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Demenz: Der Abschied von der Realität kann Jahre dauern

Die Prognose der Krankheit ist denkbar schlecht, denn keine Form der Demenz lässt sich heilen. Der Abschied von der Realität kann sich über Jahre hinziehen und beginnt häufig mit Wortfindungs- und Benennungsstörungen, die mit der Zeit immer stärker werden. „Die veränderte Kommunikation ist eine immense Herausforderung für Angehörige, aber auch für Pflegende und Ärzte“, sagt Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. „Wenn die Sprache fehlt, wissen viele Menschen nicht mehr, wie sie mit der betroffenen Person in Kontakt treten können.“

Trotz der Hürden Kontakt aufbauen – das ist eine der Hauptaufgaben von Pfleger Daniel Schweer. Der 42-Jährige arbeitet auf der geriatrischen Station im KRH Klinikum Neustadt am Rübenberge und betreut dort Demenzkranke. Er sagt, Kommunikation brauche nicht unbedingt Worte. Wenn die fehlten, sehe er einfach genau hin: Ist der Patient unruhig? Dann hat er vielleicht Schmerzen. Oder fehlt ihm vielleicht eine kleine Berührung? Daniel Schweer deutet Zeichen, nimmt Blickkontakt auf oder hält Händchen, wenn der Patient es zulässt. Er sucht sich einen Weg in das Leben des anderen – solange, bis der Mensch sich beruhigt. „Wir müssen anerkennen, dass sich demenzkranke Menschen in ungewohnten Umgebungen wie einem Krankenhaus sehr unwohl fühlen und sich stark zurückziehen können“, sagt Gerontologin Ebba Ziegler. Häufig käme es dann auch zu „herausforderndem Verhalten“ wie Brüllen oder Schlagen, weil Patienten sich unverstanden fühlten und dadurch in Not gerieten.

Angehörige von Demenzkranken verdrängen Krankheitsanzeichen häufig

Ein solches herausforderndes Verhalten kennt Daniela Gadetsios auch von ihrer Mutter. Jahrelang fühlte sie sich vom Rest der Welt angegriffen, verdächtigte die Familie, Dinge vor ihr zu verstecken.

Dass eine ernsthafte Krankheit dahintersteckte, ahnte erstmal niemand. „Wir versuchten immer wieder, meine Mutter in die Realität zurückzuholen“, erzählt Daniela Gadetsios. „Wir haben sie berichtigt, haben ihr Kontra gegeben und am Ende stand häufig ein Streit.“ Das sei eine ganz normale Entwicklung, sagt Pfleger Daniel Schweer. „Angehörige verdrängen oft die schleichenden Prozesse. Sie wollen die Krankheit nicht wahrhaben.“ Die Belastung der Angehörigen sei extrem groß, betont auch Ärztin Ebba Ziegler. Umso wichtiger sei es, Angehörige zu unterstützen, einen Kommunikationsweg zu den Betroffenen zu finden.

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Wie das funktionieren kann, weiß Pfleger Daniel Schweer: „Es ist wichtig, Demenzkranke nicht zu überfordern.“ Er empfiehlt Angehörigen, kurze Sätze und Fragen zu verwenden, auf die man mit einem einfachen Ja oder Nein antworten kann. Hilfreich könne es auch sein, sich auf die individuelle Sprache des Patienten einzulassen. Benutzt er zum Beispiel viele alte Sprichwörter? Das könne man aufgreifen und dem Menschen dadurch ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln. Ebenso wichtig sei es, trotz der Erkrankung auf Augenhöhe zu kommunizieren – im wahrsten Sinne des Wortes. „Sitzt ein Mensch im Rollstuhl, dann gehe ich in die Knie, damit wir uns in die Augen sehen können“, sagt Daniel Schweer. „Das ist auch eine Frage von Würde, die wir unseren Patienten auf keinen Fall nehmen möchten.“

Auf vielen Krankenhausstationen fehlt Zeit für Demenzkranke

Eine solch einfühlsame Kommunikation sei jedoch noch keine Selbstverständlichkeit in allen deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, sagt Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Nach dem, was sie am Alzheimertelefon ihres Vereins von Angehörigen höre, seien beispielsweise spezialisierte Gerontopsychiatrien auf Kommunikationshürden mit demenzerkrankten Menschen eingestellt. Auf anderen Stationen entstünden jedoch häufig Probleme. „Hier steht ja in der Regel eine andere Erkrankung im Vordergrund“, erklärt Sabine Jansen. „Dass jemand wegen seiner Demenz über dieser Erkrankung hinaus eingeschränkt ist, gerät dann manchmal in Vergessenheit“. Angehörige berichten laut Sabine Jansen häufiger davon, dass ihre kranken Verwandten beispielsweise verwirrt auf den Gängen herumirrten. Ein klassisches Problem sei auch, dass Essen wieder abgeräumt werde, ohne dass das Personal bemerke, dass der Patient es nicht allein essen konnte. Einen Vorwurf mache sie Pflegepersonal und Ärzten nicht. „Wir wissen natürlich, dass es einen Mangel an Zeit und Personal gibt und Mitarbeiter sehr stark unter Druck stehen“, sagt sie.

Kampf gegen Demenz: Nationale Strategie birgt große Hoffnung

Um eine achtsame Kommunikation in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen, hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft unter anderem einen Fragebogen erstellt, der Einschränkungen und Gewohnheiten des Patienten abfragt. Angehörige können ihn im Krankenhaus abgeben. Um noch mehr Sensibilität für den Umgang mit Demenzkranken zu schaffen, hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft zudem die Initiative „Demenz Partner“ ins Leben gerufen. Sie bietet Kurse für Akteure im Gesundheitswesen, Angehörige und Interessierte an. Teilnehmende erhalten Informationen zum Krankheitsbild und Tipps zum Umgang mit Patienten. Große Hoffnung setzt Sabine Jansen nun in die Nationale Demenzstrategie, die im September 2020 veröffentlicht und federführend von der Bundesregierung erarbeitet wurde. Unter 61 Partnerorganisationen waren auch die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) beteiligt. Das Dokument gibt konkrete Maßnahmen vor, die die Situation von Patienten und Angehörigen in allen Lebensbereichen verbessern soll. Der Plan ist, Krankenhausaufenthalte, soweit möglich, zu reduzieren und die dortige Behandlung demenzsensibler zu gestalten.

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Doch werden diese Ziele tatsächlich in die Tat umgesetzt? Und wie lässt sich das überprüfen? „Die Geschäftsstelle der Nationalen Demenzstrategie fragt die Abarbeitung der Maßnahmen bei allen Gestaltungspartnern ab“, erklärt Gerald Gaß, designierter Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, die ebenfalls an der Erstellung der Nationalen Demenzstrategie beteiligt war. Auch das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) werde den Umsetzungstand der Demenzstrategie überprüfen. Aufgrund der Corona-Pandemie sei dies bisher noch nicht erfolgt, erklärt Gerald Gaß. Langfristiges Ziel sei es, nach 2026 Bilanz zu ziehen und die Demenzstrategie weiterzuentwickeln.

Wenn die Demenz voranschreitet: Manchmal siezt die Mutter ihre Tochter

Die Kommunikation zwischen Daniela Gadetsios und ihrer Mutter hat sich mit der Diagnose schlagartig verändert. Endlich konnte die Tochter verstehen, weshalb die Mutter oft so harsch und unwirsch reagiert hatte. „Von diesem Moment an gab es keinen Kampf mehr zwischen uns, sondern nur noch Verständnis“, sagt sie. Mittlerweile lebt ihre Mutter in einem Pflegeheim. Vor vier Jahren wurden die Symptome der Demenz zu unberechenbar. Die Mutter sei sehr gut dort aufgehoben, sagt Daniela Gadetsios. Doch die Krankheit schreite immer weiter voran. Ihre Mutter spricht kaum noch, manchmal siezt sie ihre Tochter. Eine Verbindung zwischen den beiden gibt es aber nach wie vor. „Gesten und Mimik sind besonders wichtig geworden“, sagt Daniela Gadetsios. Auch Berührungen würde ihre Mutter lieben. Auch wenn selten eine Antwort komme, redet Daniela Gadetsios mit ihrer Mutter. „Ich erzähle ihr von ihren Enkelkindern, das tut ihr gut.“

Zu erkennen, was guttut – darum gehe es bei der Pflege von Demenzkranken, sagt Pfleger Daniel Schweer. Manchmal seien es Kleinigkeiten, die eine große Wirkung auf die Seele hätten. Auf seiner Station beruhigte es einen älteren Mann beispielsweise, einen Anzug zu tragen, weil er früher einmal Banker gewesen war. Sabine Jansen von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft berichtet von einem Patienten, der sich wohler fühlte, wenn er einen Reißwolf bediente. Auch ihn erinnerte das an seinen früheren Beruf. Und Danielas Mutter? Auch sie mag Tätigkeiten aus ihrer Vergangenheit. Sie hilft im Haushalt, malt gerne – und früher, da sang und tanzte sie. „Sie ist jetzt wirklich in einer anderen Welt“, sagt Tochter Daniela. „Das heißt aber nicht, dass sie dort allein sein möchte.“

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