Zwei Drittel würden sich impfen lassen – reicht das für die Herdenimmunität?
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Die Zukunft hängt davon ab: Wie viele Menschen entscheiden sich für eine Impfung gegen Covid-19?
© Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/dpa-t
Die Impfkampagne hat Fahrt aufgenommen. Hausärzte wurden ins Boot geholt, und auch die Zahl der zur Verfügung stehenden Impfstoffdosen wird in den kommenden Wochen weiter nach oben klettern. Davon geht die Bundesregierung fest aus. Die Pandemie könnte also in den kommenden Wochen stückchenweise immer mehr ihren Schrecken verlieren. Ein unberechenbarer Unsicherheitsfaktor bleibt aber: Wie viele Menschen entscheiden sich für den schützenden Piks?
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Die Pandemie und wir
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Das ist entscheidend, wenn es um die Herdenimmunität geht. Wann genau der Moment erreicht ist, dass das pandemische Infektionsgeschehen gestoppt ist, ist noch unklar. Bislang gibt es von Modellierern, Epidemiologen und Virologen nur Schätzungen dazu. Mathematische Modelle gehen davon aus, dass erst bei einer Immunität von rund 70 Prozent in der Bevölkerung die Übertragungen von Sars-CoV-2 soweit limitiert sind, dass diese Pandemie vorüber geht. Bewiesen ist das aber noch nicht und wird sich erst in der Praxis zeigen.
Von einer Herdenimmunität sind wir hierzulande noch weit entfernt: In Deutschland wurden bis Ende April rund 24 Prozent mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft, vollständig geimpft sind 7,3 Prozent der Bevölkerung.
Corona-Impfbereitschaft: Was sagen die Umfragen?
Ist die Impfquote denn überhaupt zu erreichen? Aktuelle Umfragen in der deutschen Bevölkerung ergeben – bei aller Vorläufigkeit – eine relativ hohe Impfbereitschaft. Am vergangenen Freitag erschienen die neuen Ergebnisse der regelmäßigen Onlinequerschnittsbefragung „Cosmo“ unter der Leitung der Universität Erfurt. Den Ergebnissen zufolge sind circa zwei Drittel der Befragten bereit, sich impfen zu lassen. Auf die Frage „Würden Sie sich impfen lassen?“ antworteten circa 16 Prozent „auf keinen Fall“. Diese Werte sind seit mehreren Wochen stabil.
Auch in der Telefonbefragung des Projekts „Covid-19 Impfquoten-Monitoring in Deutschland (Covimo)“ des Robert Koch-Instituts antworteten im Erhebungszeitraum Mitte März bis Mitte April knapp 73 Prozent, dass sie sich „auf jeden Fall impfen“ lassen würden. Allerdings zeigten sich auch deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Impfstofftypen: Mit dem Impfstoff Vaxzevria von Astrazeneca wollen sich weniger Menschen bereitwillig impfen lassen als mit mRNA-Impfstoffen. In beiden Erhebungen ist das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung der Faktor, der die Impfbereitschaft am stärksten positiv beeinflusst: Je höher das Vertrauen, desto eher lassen sich Menschen impfen.
Impfbereitschaft und Herdenimmunität: Womit rechnen Wissenschaftler?
Nicht eingerechnet sind Kinder und Jugendliche. Solange diese noch nicht geimpft werden können, ist die für Herdenimmunität benötigte Impfquote noch höher.
Cornelia Bets,ch
Leiterin der „Cosmo“-Umfrage
„Eine hohe Impfbereitschaft allein reicht nicht, um Herdenimmunität zu erreichen“, sagt Cornelia Betsch, Leiterin der „Cosmo“-Umfrage an der Universität Erfurt. Derzeit seien ungefähr 65 Prozent impfbereit, ungefähr 20 Prozent seien schon geimpft, erklärte die Expertin gegenüber dem Science Media Center. „Nicht eingerechnet sind Kinder und Jugendliche. Solange diese noch nicht geimpft werden können, ist die für Herdenimmunität benötigte Impfquote noch höher“, erklärt die Professorin für Gesundheitskommunikation.
Und sie räumt ein: Auch wenn die Impfbereitschaft in der Nähe der Herdenimmunitätsschwelle liegen würde, bedeute eine hohe Impfbereitschaft nicht automatisch auch eine Impfung. Die Expertin fordert, deshalb praktische Hürden weitestgehend abzubauen, etwa durch Impfen am Arbeitsplatz, in Universitäten, perspektivisch auch an Schulen. „Es sollte alles daran gesetzt werden, dass Impfen so einfach wie möglich ist.“
Bei dem Gedanken an den Schutz anderer wird dabei vermutlich nicht die gesamte Bevölkerung in den Blick genommen, sondern vielmehr das eigene Umfeld, die eigene kleine „Herde“.
Katharina Schmid-Küpke,
Fachgebiet Impfprävention (RKI)
Eigene Studien zeigten, dass sich etwa 4 Prozent der Befragten auf keinen Fall impfen lassen möchten, berichtet Nora Katharina Schmid-Küpke, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut (RKI). Das entspreche in etwa dem Anteil Personen, die einer Impfung auch allgemein ablehnend gegenüberstehen. Aber es bleibt eine Unsicherheit.
„Zwischen der Impfbereitschaft und dem eigentlichen Impfverhalten liegt die Umsetzung – und diese kann beispielsweise an praktischen Barrieren scheitern“, befürchtet Schmid-Küpke. Etwa Probleme bei der Terminvereinbarung, fehlendes Wissen über die Zugehörigkeit zu einer priorisierten Gruppe oder eine schwierige Erreichbarkeit der Impforte.
Sie sei aber optimistisch und rechne mit einer hohen Impfquote. Die Überzeugung, auch andere mit der eigenen Impfung schützen zu können, sei für die Menschen ein guter Motivator. „Bei dem Gedanken an den Schutz anderer wird dabei vermutlich nicht die gesamte Bevölkerung in den Blick genommen, sondern vielmehr das eigene Umfeld, die eigene kleine ‚Herde‘“, berichtet sie. „Und das ist für jeden Einzelnen ja auch ein viel greifbareres Ziel.“
Sinkende Fallzahlen, weniger Impfungen? Dilemma im Sommer möglich
Nehmen die Fallzahlen über den Sommer ab, dann wird die Impfbereitschaft relativ niedrig sein.
Viola Priesemann,
Physikerin
Die Physikerin Viola Priesemann macht noch auf ein anderes Problem aufmerksam. Die Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen rechnet auf Basis von Modellierungen mit einem Dilemma: „Nehmen die Fallzahlen über den Sommer ab, dann wird die Impfbereitschaft relativ niedrig sein.“
Für den Herbst könne aber schon eine Saisonalität von rund 20 Prozent eine weitere Infektionswelle bringen, der R-Wert könne wieder auf rund 1,2 steigen – was die Zahlen wieder steigen lassen würde. „Mit der Welle würde aber sicherlich auch die Impfbereitschaft wieder steigen“, so Priesemann. Gebe es schon im Sommer eine weitere Welle, weil zu schnell gelockert wird oder weil eine Virusvariante kommt, die der Immunantwort entkommt, könne das die Impfbereitschaft schon früher erhöhen.
Keine Ausrottung, aber auch keine Pandemie: Herdenimmunität ist nicht gleich Herdenimmunität
Herdenimmunität im Sinne vom kompletten lokalen Ausrotten des Coronavirus sei in Europa derzeit schwer erreichbar, sagt Priesemann. „Herdenimmunität im Sinne einer niedrigen Inzidenz und einer gezielten lokalen Eindämmung wird mit dem Impffortschritt immer einfacher erreichbar.“ Es sei zu erwarten, dass bei rund 50 Prozent geimpften Erwachsenen das Testen, Kontaktnachverfolgen und Isolieren, zusammen mit den AHA-Regeln und dem Verzicht auf Großveranstaltungen, ausreichen werden, um die Inzidenz niedrig zu halten.
„Das bedeutet, dass im Sommer die Schulen, Restaurants und Geschäfte wieder offen sein werden und wir auch kleinere Feiern und Veranstaltungen mit Hygienekonzept genießen können“, erläutert die Wissenschaftlerin. Das gelte aber alles nur, solange es keine potente Escapevariante gebe, die den Impffortschritt gefährden könnte. Priesemann plädiert deshalb dafür, die Ausbreitung von Escapevarianten unbedingt zu vermeiden oder zu verlangsamen.
Sprich: Tests, gegebenenfalls Quarantäne nach Reisen, Tests und Virussequenzierung auch bei geimpften Personen, wöchentliche Stichproben in der Bevölkerung.
RND