Spanien: Kommt das Ende der Maskenpflicht zu früh?
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In Spanien gilt nun fast nirgendwo mehr die Maskenpflicht. Bild: Eine Mund-Nase-Bedeckung liegt auf dem Boden auf der Strandpromenade von El Arenal.
© Quelle: Clara Margais/dpa
Im Treppenhaus hängt ein Anschlag. „Es wird darum gebeten, die Maske in den gemeinschaftlich genutzten Zonen weiter zu tragen.“ Das hat wahrscheinlich der Präsident der Hausgemeinschaft dort aufgehängt, vor vielen Monaten schon. An diesem Mittwoch hing der Zettel immer noch da. Das spanische Maskengebot gilt nicht mehr, aber der Abschied fällt schwer.
Man kann nicht sagen, dass die Spanierinnen und Spanier diesen Tag herbeigesehnt hätten. Aber sie wussten, er würde kommen. Während der Semana Santa, der Karwoche vor Ostern, galt die Maskenpflicht noch in allen öffentlich zugänglichen Innenräumen. Jetzt sind die Ferientage vorbei, und die Regierung fand, es sei der richtige Moment für die Trennung gekommen. Seit dem Mittwochmorgen ist die Mund-Nase-Bedeckung nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Gesundheitseinrichtungen – Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken – zu tragen. Aber nicht mehr im Supermarkt, im Kino, in der Schule – oder im Treppenhaus.
Pandemie ist noch nicht vorbei
„El País“ hat eine schnelle Umfrage in Auftrag gegeben. 54 Prozent der Befragten finden, das Ende der Maskenpflicht komme zu früh. 10 Prozent finden, es komme zu spät. 28 Prozent sagen: gerade richtig. Die Menschen haben sich an das Stück Stoff vor dem Gesicht gewöhnt, jedenfalls viele. „Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei“, sagt am Mittwochmorgen, befragt von einer Zeitungsreporterin, eine 22-jährige maskentragende Studentin in La Coruña.
Vielleicht braucht die Entwöhnung so lange wie die Gewöhnung. Als die Corona-Pandemie im Februar 2020 in Spanien langsam Fahrt aufnahm, gab es keine Masken, jedenfalls zu wenige. Vor manchen Apotheken bildeten sich Schlangen von Menschen mit Vorausblick. Der damalige Gesundheitsminister Salvador Illa wies die Leute in einem Fernsehinterview zurecht: „Die Panikszenen, die wir sehen, haben keinerlei rationale Grundlage.“ Später kam die Maskenpflicht, und Illa ist heute nicht mehr Minister, sondern katalanischer Oppositionspolitiker.
Sinkende Infektionszahlen: Maskenpflicht in Spanien fällt weitgehend
Nach etwa zwei Jahren fällt in Spanien weitgehend die Maskenpflicht. Die Regierung in Madrid verabschiedete ein entsprechendes Dekret.
© Quelle: Reuters
Maskenpflicht drinnen und draußen
Dass die Maskenpflicht so spät kam, nämlich erst im Mai 2020, lag nicht an deren Irrationalität, sondern an fehlenden Masken. Selbst in den Krankenhäusern, wo die Covid-Kranken reihenweise starben, fehlten Masken. Selbstlose Menschen taten sich zusammen, um in Heimarbeit Masken zu nähen. Weniger selbstlose Menschen nutzten ihre Kontakte, schafften mit ein paar Anrufen Masken aus China herbei und verdienten Millionen. In den vergangenen Wochen sind etliche Geschichten aus jener aufgeregten Zeit ans Licht gekommen, die den Ruch von Amigo-Wirtschaft haben; die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Als die erste Corona-Welle vorüber war, die tödlichste von allen, waren endlich genügend Masken da, und die Spanierinnen und Spanier mussten sich daran gewöhnen, sie draußen wie drinnen zu tragen. Sie taten es klaglos, eben weil sie noch die Bilder von Covid-Patientinnen und ‑Patienten auf Laken in Krankenhausfluren im Kopf hatten oder die der Särge im Eispalast. Natürlich gab es auch in Spanien Menschen, die alle Sorgen für übertrieben und die Masken für lästig hielten, aber es waren nie so viele, dass aus ihnen eine sichtbare Bewegung geworden wäre.
Beginn der Endemie?
Erst im Sommer vergangenen Jahres fiel die Maskenpflicht draußen (um über Weihnachten für ein paar Wochen zurückzukehren). Aber die Masken blieben ein alltäglicher Anblick, auf der Straße wie in Innenräumen. Viele Menschen sind vorsichtig und werden es wahrscheinlich bleiben. Manche Bekannte sind sich nie anders als mit Maske begegnet. „Ich hab dich beinahe nicht erkannt ohne Maske“, sagen sie jetzt.
Das Ende der Maskenpflicht markiert das Ende der Pandemie und den Beginn der Endemie. „Eine gefährliche oder tödliche Realität, deren Inzidenz konstant bleibt, wird als endemisch bezeichnet“, schreibt zur Erklärung der Experte für Präventivmedizin, Juan Martínez Hernández, an diesem Mittwoch in „El Mundo“. Das Gesundheitsministerium hat seine regelmäßige Inzidenzberichterstattung beendet. Doch es informiert weiter über die Belegung der Krankenhausbetten mit Covid-Patientinnen und -Patienten. Über die Semana Santa ist deren Zahl um 18 Prozent auf 5635 gestiegen; unter denen sind 345 Intensivpatientinnen und Intensivpatienten, 6 Prozent weniger als eine Woche zuvor. Die Gefahr ist noch da, aber die Angst hat abgenommen. Vor allem unter den Geimpften: Das sind 92,5 Prozent aller über 12-Jährigen und 40 Prozent aller Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Die Masken werden bleiben. Nur die Pflicht, sie zu tragen, ist an diesem Mittwoch gefallen.