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Machtmissbrauch in Filmbranche

Deutscher Filmpreis 2023: der Sieg der Anti-Schweiger

Die 73. Verleihung des Deutschen Filmpreises stand im Schatten der Vorwürfe gegen Til Schweiger. Dieser blieb der Verleihung fern, hätte aber von den beiden wichtigsten Preisträgern Ilker Çatak und Edward Berger viel lernen können.

Die 73. Verleihung des Deutschen Filmpreises stand im Schatten der Vorwürfe gegen Til Schweiger. Dieser blieb der Verleihung fern, hätte aber von den beiden wichtigsten Preisträgern Ilker Çatak und Edward Berger viel lernen können.

Berlin. Alles so schön nachhaltig hier. Die Stars fahren gesammelt mit Bussen statt mit Limousinen vor, der rote Teppich wird gesäumt von einer Blumenwand, und das Essen ist rein vegetarisch. Lieber Kartoffelsalat mit Senf oder Thaisalat mit Süßkartoffel? Und dazu einen alkoholfreien Teedrink?

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Kein Zweifel, die Filmbranche will zu den Guten gehören. Die Rettung der Welt gehörte beim 73. Deutschen Filmpreis zum Standardprogramm. Kulturstaatsministerin Claudia Roth holte im Theater am Potsdamer Platz zu einem Rundumschlag aus, der vom Ukraine-Krieg über die Unterdrückung der Freiheit im Iran, die Türkei-Wahl bis zur Erinnerung an die Bücher­verbrennung 1933 und noch einigem mehr reichte. Irgendwas vergessen? Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern und der Klimawandel kamen später auch noch vor.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) steht bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises auf der Bühne.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) steht bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises auf der Bühne.

Im Laufe des viel zu langen Abends bekamen zudem alle einen auf den Deckel, die in die Macho-Schublade passten. Moderatorin Jasmin Shakeri machte durchaus Punkte mit ihrer politischen Angriffslust. Aber es ist nun mal leichter, auf andere zu zeigen. Zumindest sagte Shakeri auch: Das Problem sei nicht nur der Schweiger, sondern die Schweiger. Gemeint waren wohl all jene im Kinogeschäft, die das Gewinnstreben über alles stellen.

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Roth sichert Filmbranche Unterstützung zu

Umso schriller muss der Filmakademie die Begleitmusik der vergangenen Tage in den Ohren geklungen haben: Der Fall Schweiger und die Zustände bei den Dreharbeiten seines zweiten „Manta“-Films bestimmte die Schlagzeilen.

Nach den bislang beinahe durchweg anonym geäußerten Berichten aus dem Innern der Filmwelt scheinen sich Suchtkranke an Sets geradezu zu drängeln. Sadistische Regisseure schreien ihre Leute zusammen. Auf schwarzen Listen landen all jene, die aus dem Schweigekartell ausbrechen. Macht es da überhaupt Spaß, sich selbst zu feiern?

Den Elefanten im Raum benannte Roth gleich zu Beginn: „Wir sind auch hier, um Probleme deutlich zu benennen: Abhängigkeitsverhältnisse, Machtmissbrauch, tätliche Übergriffe, sexualisierte Gewalt am Set“, so Roth. Wer Missstände offen kritisiere und dafür als Nestbeschmutzer geächtet werde, könne auf ihre unbedingte Unterstützung zählen. Wie auch die Akademiepräsidenten Alexandra Maria Lara und Florian Gallenberger mahnte sie das Filmset als „Ort des Respekts und des Teamgeists“ an.

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„Das Lehrerzimmer“ als Sieger des Abends

Den Rest des überlangen Abends verlor sich irgendwann in Danksagungsorgien. Dafür trafen die 2200 Mitglieder der Filmakademie salomonische Entscheidungen: Sie prämierten ganz offenbar die beiden menschenfreundlichsten Regisseure, die unter den 1600 Gästen aufzu­treiben waren.

Ilker Catak steht bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises mit dem Preis für die beste Regie für „Das Lehrerzimmer“ auf der Bühne.

Ilker Catak steht bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises mit dem Preis für die beste Regie für „Das Lehrerzimmer“ auf der Bühne.

Am Ende überflügelte das Drama „Das Lehrerzimmer“ von Ilker Çatak über eine idealistische Lehrerin in der Bredouille die nach der Oscarsensation als Favorit gehandelte Erich-Maria-Remarque-Verfilmung „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger. Diese beiden Filme machten den Abend quasi unter sich aus. Neun Lolas räumte Bergers Kriegsanklage ab, musste die beiden wichtigsten Auszeichnungen – Regie und Goldene Lola – aber Çatak überlassen. Çataks Hauptdarstellerin Leonie Benesch gewann, bei den Männern „Im Westen nichts Neues“-Newcomer Felix Kammerer genau wie Nebendarsteller Albrecht Schuch.

Kollegiales Verhalten und Schutzräume am Set

Mag sein, dass den Mitgliedern der Filmakademie zu viel Netflix in Bergers Film steckte. Die an diesem Abend viel beschworene Rettung des Kinos lässt sich mit dem Triumph eines Streamingdiensts nur schwer vereinbaren.

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Interessant aber war, was viele Preisträger auf der Bühne über ihre Regisseure zu sagen wussten. Sie hätten den Mitarbeitern einen Schutzraum und künstlerische Freiheit gewährt, sich stets kollegial verhalten und auf steile Hierarchien verzichtet. Stets habe man das Vertrauen der Chefs in die eigene Kreativität gespürt. Zu einer Ersatzfamilie sei das Team im Laufe der Dreharbeiten zusammengewachsen.

Es klang, als seien da bewusst zwei Anti-Schweiger-Typen gekürt worden: Seht her, mit solchen charakterlichen Qualitäten macht man wirklich gute Filme. Ob sich Schweiger diese Lobeshymnen zu Hause angehört hat? Er blieb der Feier fern und soll sich in seiner Finca auf Mallorca aufhalten.

Es war an Ehrenpreisträger Volker Schlöndorff, die wolkigen Forderungen nach einem „Code of Conducts“ zu erden: „Anstand und ein ordentlicher Umgang mit Menschen sollten genügen“, sagte der 84‑Jährige. Er brachte durch seinen Laudator John Malkovich internationalen Flair in die Veranstaltung.

Reichlich ermattet ging es nach rund viereinhalb Stunden zur Party. Wer draußen vor dem Theater am Potsdamer Platz dem verheißungsvollen Geruch des Currysoße folgte, landete schließlich bei einer Wurst. Sie war vegan.

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