Fatale Hoffnung auf den „starken Mann“
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Anführer des Münchner Putschs (von links): Pernet, Weber, Frick, Kriebel, Ludendorff, Hitler, Bruckner, Röhm, Wagner.
© Quelle: picture alliance/United Archives
München. Schließlich will Hitler nicht länger warten. Es ist der 8. November 1923, 20.45 Uhr, als er sein Bierglas zu Boden wirft, seine Pistole zieht und in den Saal des Münchner Bürgerbräukellers stürmt. Zusammen mit drei ebenfalls bewaffneten Begleitern bahnt er sich den Weg durch die Menge zum Podium. Hitler schießt Richtung Decke, steigt auf einen Stuhl und ruft: „Die nationale Revolution ist ausgebrochen.“
Niemand dürfe den Saal verlassen, 600 Bewaffnete hätten ihn umstellt. „Die bayerische Regierung ist abgesetzt. Die Reichsregierung ist abgesetzt. Eine provisorische Reichsregierung wird gebildet.“ Und er selbst, Adolf Hitler, will an ihrer Spitze stehen.
Der Putschversuch ist schlecht vorbereitet – und übereilt ausgeführt. Schon am folgenden Tag wird Hitler scheitern, ohne seinem Ziel nahe gekommen zu sein. Aber er greift eine Stimmung auf, die in diesen Tagen bis in die Spitzen von Wirtschaftsunternehmen verbreitet ist: den Wunsch nach einem „starken Mann“, dem großen Heilsbringer.
Die bayerische Regierung ist abgesetzt. Die Reichsregierung ist abgesetzt. Eine provisorische Reichsregierung wird gebildet.
Adolf Hitler am Abend des 8. November im Bürgerbräukeller in München
Die Rufe danach waren seit dem Ende von Krieg und Kaiserreich 1918 nie verstummt. „Mit der sich krisenhaft zuspitzenden Lage seit dem Frühjahr 1923″ jedoch „erhielt die Sehnsucht nach einem nationalen Messias noch einmal einen kräftigen Schub“, schreibt der Historiker Volker Ullrich in seinem Buch „Deutschland 1923″.
Die Besetzung des Ruhrgebiets und das Chaos der Inflation verstärken das Krisengefühl. Der deutschen Wirtschaft droht der Zusammenbruch, klagt ausgerechnet der Industriemagnat und Inflationsgewinner Hugo Stinnes im September in einem Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter in Berlin, Alanson Houghton. „Deshalb muss ein Diktator gefunden werden, ausgestattet mit Macht, alles zu tun, was irgendwie nötig ist“, fordert Stinnes – und beschreibt schon mal das Anforderungsprofil: „So ein Mann muss die Sprache des Volkes reden und selbst bürgerlich sein, und so ein Mann steht bereit.“
Wen er meint, lässt Stinnes offen. Als Favorit von Wirtschaft, Reichswehr und bürgerlich-rechten Kreisen gilt Hans von Seeckt. Der Chef der Heeresleitung jedoch will einen Staatsstreich trotz aller Bitten zumindest nicht selbst unterstützen.
Aufstieg der NSDAP
Es sind dann andere, die die Stimmung für sich nutzen. Die NSDAP, 1920 gegründet, erlebt ihren ersten Aufschwung. Im November 1923 zählt sie 55.000 Mitglieder – 47.000 sind seit Januar dazugekommen. Die Hauptattraktion der Partei ist ihr Vorsitzender Hitler, „der mit seinen hasserfüllten Tiraden gegen die ‚Novemberverbrecher‘, den ‚Schandfrieden von Versailles‘ und das internationale ‚jüdische Leih- und Börsenkapital‘ Woche für Woche die großen Versammlungssäle füllte“, so Ullrich. Ein regelrechter Kult um ihn setzt ein, abzulesen unter anderem an Briefen, die er zuhauf erhält. „Sie sind für uns der (…) einzige Hoffnungsstrahl im Jammer der Gegenwart“, schreibt ihm etwa ein Postsekretär aus Breslau zum Geburtstag.
Dass ausgerechnet Bayern zum ersten Ziel der Umstürzler wird, ist kein Zufall: Die Nationalsozialisten sind hier besonders stark, die Staatsregierung wiederum gibt sich ihnen gegenüber auffallend mild. „Bayern hat heute eine große Mission“, sagt Hitler am 30. Oktober in einer Rede im Zirkus Krone. Von München aus wollten sie weiterziehen nach Berlin: „Wir müssen den Kampf hinaustragen, den Stoß ins Herz hineinführen.“
Schießerei mit der Polizei
Hitler hält die Gelegenheit für gekommen, als der bayerische Generalstaatskommissar Gustav von Kahr am 8. November im Bürgerbräukeller vor der versammelten Münchner Politprominenz eine Rede halten will. Auf einen Schlag, so glaubt Hitler, könne er die bayerische Regierungsspitze festsetzen – und selbst die Macht übernehmen. Für einen Moment sieht es im Bürgerbräukeller so aus, als ginge der Plan auf. Mithilfe des Weltkriegsgenerals Erich Ludendorff bringt Hitler den Saal hinter sich, von Kahr erklärt seine Unterstützung für die Putschisten.
Doch kaum hat der Generalstaatskommissar den Keller verlassen, geht er auf Distanz zu Hitler. Als der am nächsten Tag mit 2000 Anhängern durch die Münchner Innenstadt zieht, jubeln ihm viele Passanten zu – die Polizei jedoch haben die Putschisten gegen sich. Kurz vor Odeonsplatz und Feldherrnhalle kommt es zu einer Schießerei. 14 Putschisten und vier Polizisten sterben.
Hitler kann zunächst in einem Krankenwagen entkommen, wird aber zwei Tage später in seinem Versteck am Staffelsee festgenommen. „Der Münchner Putsch markiert das sichere Ende für Hitler und seine Anhänger“, sagt die „New York Times“ voraus – und sollte fatal irren.