Hyperinflation vor 100 Jahren

Drei Pfund Fleisch für 3 Millionen Mark

Wertlos gewordene 100-Mark-Scheine werden aus einem Automobil in die Menge geworfen (undatiertes Foto aus dem Jahr 1923).

Wertlos gewordene 100-Mark-Scheine werden aus einem Automobil in die Menge geworfen (undatiertes Foto aus dem Jahr 1923).

Berlin. So schnell kann Eva Klemperer gar nicht trinken. In den ersten Augusttagen des Jahres 1923 ist sie mit ihrem Mann auf dem Rückweg vom Urlaub in Ostpreußen, da bestellt sie in einem Wartesaal einen Kaffee.

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„Die Preistafel zeigte 6000 Mark“, beschreibt der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer die Szene später. Doch beim Kassieren steht der Preis schon bei 12.000 Mark. Immerhin zeigt der Kellner Verständnis. „Ach, Sie waren schon während des alten Preises hier?“, fragt er. „Dann zahlen Sie 6000.“

Die Szene zeigt, wie die Preise in der Hochphase der Inflation stündlich steigen und das Geld in rasender Geschwindigkeit seinen Wert verliert – mit für viele verheerenden Folgen. Wer am Morgen seinen Lohn erhält, kann schon mittags nicht mehr sicher sein, dass er sich dafür noch Brot kaufen kann. „Die übliche Jagd nach Lebensmitteln“, notiert die Autorin Thea Sternheim am 12. August 1923 nach ihrem Einkauf in Dresden. „Keine Butter, kein Ei, drei Pfund Fleisch kosten 3.000.000 Mark.“

Die Ursachen reichten bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück.

Volker Ullrich, Historiker

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Die Geschwindigkeit des Verfalls zeigt sich im Wechselkurs zur US-amerikanischen Währung. Ende 1919 liegt er bei 49 Mark. Ende Mai 1923 ist er bereits auf gut 54.000 Mark gestiegen, einen Monat später auf 114.000 Mark. Nun setzt sich der Sturz immer schneller fort: Ende Juli 1923 müssen für einen Dollar eine Million Mark gezahlt werden – und am 13. August bereits 3,7 Millionen.

Die Ursache der galoppierenden Inflation sahen nationalistische Kreise vor allem in den Reparationsleistungen, die Deutschland nach dem Krieg auferlegt waren. „Doch die Ursachen lagen tiefer und reichten bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurück“, schreibt der Historiker Volker Ullrich in seinem Buch „Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund“.

So finanzierte sich das Deutsche Reich nicht über Steuern, sondern über Anleihen – „in der Erwartung, dass man die Rückzahlung den besiegten Gegnern aufbürden könne“, so Ullrich. Besiegt jedoch ist das Deutsche Reich am Ende des Krieges selbst, der Plan scheitert.

100 Druckereien müssen den Bedarf an Papiergeld befriedigen

Den nötigen Währungsneuanfang vermeiden die Regierungen nach dem Krieg und setzen stattdessen auf eine extrem lockere Geldpolitik. Sie unterstützen Kriegsopfer, zahlen höhere Löhne und Subventionen an Betriebe, die auf Friedenswirtschaft umstellen. Diese Politik zeigt Erfolge: Die Arbeitslosigkeit bleibt niedrig, der Export wird begünstigt, die Wirtschaft läuft. Der Preis jedoch ist eine massive Inflation, die außer Kontrolle gerät.

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In der Hochinflation sind im August 1923 neben der Reichsdruckerei weitere 100 Druckereien damit beschäftigt, den Bedarf an Papiergeld zu befriedigen. Zu den vielen Verlierern der Inflation gehören die Zeichner der Kriegsanleihen ebenso wie Rentner und Empfänger öffentlicher Unterstützung, deren Erhöhung nicht mit der Inflation Schritt hält.

Auch Professoren wie Victor Klemperer trifft die Geldentwertung: „Die Finanznot ist furchtbar“, schreibt er schon 1922. „Mit der Nachzahlung vom letzten Freitag bin ich für diesen Monat auf 50.000 Mark gekommen – sie werden nicht reichen. Der einzelne Tag kostet an Essen allein über 1000 Mark, ein halbes Pfund Butter 600 Mark.“

Diese Geldscheine haben nur noch den Wert von Altpapier.

Diese Geldscheine haben nur noch den Wert von Altpapier.

Der neue Kaiser von Deutschland

Es gab jedoch auch Gewinner dieses Verfalls aller Werte – als größter unter ihnen gilt der Industrielle Hugo Stinnes. „Der neue Kaiser von Deutschland“, wie ihn das Magazin „Time“ damals nennt, kam äußerlich so bescheiden daher, dass ihn einmal sein eigenes Hotel nicht erkannte und ihm den Aufenthalt verweigerte.

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Doch der Magnat aus Mülheim/Ruhr, ursprünglich Gründer einer Kohleverarbeitungsanlage, schuf ein Geflecht aus Firmen und Beteiligungen, das zu den größten der deutschen Wirtschaftsgeschichte gehörte. „Wie kein Zweiter“, schreibt Ullrich, habe es Stinnes verstanden, sich die Inflation zunutze zu machen – indem er kaufte, „was nur zu kaufen war“. Mehr als 4500 Unternehmen und Beteiligungen zählten zeitweise zu seinem Imperium, darunter 59 Erzbergwerke und 57 Banken und Versicherungen. Die Inflation machte es möglich.

An ihr Ende kam die Inflation im November 1923 mit der Einführung einer neuen Währung, der Rentenmark. Im folgenden Jahr zerfiel auch das Reich des Inflationskönigs Stinnes: Er selbst starb mit nur 54 Jahren. Seine Nachkommen wiederum konnten die allermeisten Unternehmen unter den Bedingungen der Geldstabilität nicht weiterführen. Binnen Monaten war fast alles zerronnen.

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