Oscar-nominierter Kameramann Florian Hoffmeister: „Von uns wird verlangt, weit über unsere Grenzen hinauszugehen“
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Kameramann Florian Hoffmeister bei der Arbeit.
© Quelle: Robert Viglasky
Für Florian Hoffmeister läuft es gut. Extrem gut. Der deutsche Kameramann hat das geschafft, von dem jeder Filmstudent und jede Filmstudentin träumt: Er wurde für seine Arbeit beim Film „Tár“ mit Cate Blanchett für einen Oscar nominiert. Wie schafft man das? Wir haben mit ihm über #metoo, Sexszenen und die familienunfreundliche Filmbranche gesprochen.
Sie sind ein Kameramann. Doch das beschreibt Ihren eigentlichen Beruf gar nicht. Was genau ist am Set Ihre Aufgabe?
Der Kameramann oder die Kamerafrau ist die Person, die praktisch für die gesamte Ausführung und Gestaltung der Bildsprache verantwortlich ist – also viel mehr macht als einfach hinter der Kamera auf den Knopf zu drücken. Er oder sie ist der oder die engste Mitarbeitende des Regisseurs oder der Regisseurin. Im Englischen gibt es dafür zwei Begriffe: den Director of Photography, also quasi die Bildregie. Manchen ist der Begriff aber zu technisch. Ich bevorzuge Cinematographer. Das wird eher dem künstlerischen Aspekt gerecht. Ich treffe die atmosphärischen Entscheidungen.
Es gibt nicht nur Kameramänner. Gibt es inzwischen ähnlich viele Kamerafrauen?
Es ist immer noch ein sehr männlich dominiertes Segment. In meiner Sparte der Oscars, beste Kamera, ist in diesem Jahr auch wieder eine Frau, Mandy Walker, für „Elvis“ nominiert. Das ist erst das dritte Mal. 2017 war Rachel Morrison die erste Kamerafrau, die für den Oscar nominiert wurde. Mandy Walker ist auch für den ASC Award, also den der amerikanischen Gesellschaft für Kameraleute nominiert. Sie hat also große Chancen. Wenn sie gewinnt, wird das von vielen als Durchbruch der gläsernen Decke gesehen.
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Florian Hoffmeisters Job ist all das zu regeln, was man später im Film „Tár" sieht - und auch das, was man nicht sieht.
© Quelle: Courtesy of Focus Features
Wie unterscheidet sich der Blick von einem Kameramann zu dem einer Kamerafrau?
Über diese Frage denke ich schon lange nach. Ich glaube nicht, dass sich der Blick grundsätzlich unterscheidet. Jeder Blick ist individuell. Ich sehe aber, dass dieser Job für Frauen manchmal einen anderen Stellenwert einnimmt. Manche Frauen stellen fest, wenn sie Kinder bekommen, wie schwierig dieser Job mit Familie zu verbinden ist. Und dann denken sie über die Sinnhaftigkeit des Jobs nach, wenn sie um vier Uhr morgens Kameras hin- und herschieben.
Haben Sie selbst Familie?
Ja, ich bin auch Vater. Meine Frau hatte erheblich mehr an der Familie zu tragen als ich. Über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in der Branche zwar geredet, aber wenig getan. Aber eigentlich ist da viel zu tun – denn genau darum geht es. Von uns wird immer wieder verlangt, weit über unsere Grenzen hinauszugehen, mit unglaublich langen Arbeitstagen von bis zu 16 Stunden. Monate am Stück und ohne Pause. Aber auch wenn wir hier unserer Leidenschaft nachgehen, ist ein Film am Ende immer auch ein Produkt, das jemand verkaufen will und mit dem jemand Geld verdienen möchte. Es ist ja immer noch ein Job.
Ist denn der Film ein bisschen familienfreundlicher geworden?
In manchen Ländern ist durchaus so etwas wie ein Sozialleben möglich. In Italien werden Drehtage, in denen man ohne Pause arbeitet, auf acht Stunden reduziert – das ist dort gewerkschaftlich so geregelt. In Deutschland und in den USA sind das selbst bei solchen extremen Drehs zehn Stunden.
Wenn Gewerkschaften in Italien andere Regeln durchsetzen können, warum gibt es nicht auch woanders Bestrebungen die Filmbranche familien- oder lebensfreundlicher zu machen?
Der finanzielle Druck ist in den USA unheimlich groß. Bei einem Gesamtbudget von 100 Millionen Dollar kostet so ein Drehtag auch mal 500.000 Dollar. Da muss jeder Tag so effizient wie möglich gestaltet werden. Allerdings hat die gesamtgesellschaftliche Debatte mit der Work-Life-Balance auch die Filmbranche erreicht. Vielleicht wird die nächste Generation das anders machen können. Und ich bin ja auch nicht 365 Tage im Jahr weg. Nach einem Dreh bin ich vier, fünf Monate komplett zuhause bei meiner Familie. So habe ich meine familiäre Abwesenheit und die Anstrengungen der Dreharbeiten häufig kompensiert.
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Der Regisseur Todd Field sagte, dass es beim Film „Tár“ um „das Tier in uns geht“: Welche Tiere gibt es im Filmgeschäft?
Da gibt es Tausende Beispiele. Der bekannteste Fall ist Harvey Weinstein. Am Set arbeiten viele Menschen über Monate eng zusammen – und das mit einer strengen Hierarchie. Da entsteht Stress. Man muss immer schauen, wie man miteinander umgeht.
Wie gehen Sie eigentlich mit Sexszenen um?
Ich drehe physische Szenen eigentlich sehr gerne. Im Idealfall ist das ein sehr technische Vorgang. Denn man versucht diesen sinnlichen Akt der Liebe mit der Technik des Films zu übersetzen. Zum Beispiel sind Schauspieler nicht immer komplett nackt. So choreografiert man vor der Kamera, sodass es trotzdem diese Sinnlichkeit gibt.
Im angelsächsischen Raum werden seit ein oder zwei Jahren Sexszenen nicht mehr ohne Intimacy Coordinator gedreht. Der soll eine Stimmung des Vertrauens für die Schauspieler sicherstellen.
Und hat das etwas verändert?
So ein Intimacy Coordinator kommt immer nur für ein paar Tage von außen herein. Dann muss man immer noch einen Weg extra machen und noch mal mit jemandem sprechen. Das nimmt manchmal die Direktheit weg. Aber trotzdem ist diese Entwicklung gut. Vielleicht ist ein Intimacy Coordinator ein bisschen wie ein Autogurt. Früher bin ich einfach so ins Auto gestiegen. Heute fährt keiner mehr ohne Gurt.
Wie war die Zusammenarbeit mit Cate Blanchett?
Sie war anstrengend, weil die Dirigentin Lydia Tár eine anstrengende Figur ist, gerade für Cate Blanchett. Cate ist eine Künstlerin, die ohne Netz tanzt, die Wagnisse eingeht.
Welche Wagnisse geht sie denn ein?
Sie spricht im Film Deutsch, sie dirigiert, sie hat Klavier gelernt. Das alles hätte die Möglichkeit zur absoluten Peinlichkeit gehabt.
2021 hat Alec Baldwin beim Dreh die Kamerafrau Halyna Hutchins erschossen. Wie erging es Ihnen, als Sie davon hörten?
Das habe ich tatsächlich eher so am Rande mitbekommen. Es ist eine absolut tragische Geschichte. Es ist für mich eine drängende Erinnerung an die Arbeitssicherheit. Wenn Menschen in schwindelerregenden Höhen arbeiten oder mit Strom oder eben auch Waffen, und das unter Zeitdruck, müssen alle Sicherheitsstandards rigoros eingehalten werden.
Nehmen Sie privat die Kamera überhaupt noch in die Hand?
Ich drehe Tag und Nacht. Wenn ich nicht drehe, versuche ich meine visuelle Vorstellungskraft zu schonen. Wobei ich gerade ein bisschen mit einer Lochkamera und Großformataufnahmen herumexperimentiert habe.
Wenn Sie einen Preis für die „beste Kamera“ vergeben könnten. Welcher Film hätte ihn verdient?
Der Franzose Chris Marker hat 1983 den Dokumentarfilm „Sans Soleil“ herausgebracht. Die ersten Minuten habe ich mir immer und immer wieder angeschaut, es geht um das Bild des absoluten Glücks. Die Anfangssequenz ist einfach meisterhaft.
Ab dem 3. März läuft „Tár“ (Regie: Todd Field, mit Cate Blanchett und Nina Hoss) im Kino.