Filmkritik zu „12 Years a Slave“

Berührendes Meisterwerk über Sklaverei

Foto: Baumwollfarmer Edwin Epps (Michael Fassbender, links) ist ein gefährlicher Psychopath.

Baumwollfarmer Edwin Epps (Michael Fassbender, links) ist ein gefährlicher Psychopath.

Hannover. Spätestens wenn Solomon Northup auf Zehenspitzen um sein Leben tänzelt, die straff gespannte Schlinge um den Hals, röchelnd und mit hervortretenden Augen – spätestens dann wünscht man sich den Sklaven Django herbei, den Quentin Tarantino in „Django Unchained“ von allen Fesseln befreit und der dann seinerseits Jagd auf Sklavenjäger macht. Willkommen wäre auch Abraham Lincoln, den Steven Spielberg mit schwerer Kriegslast auf den Schultern um die Abschaffung der Sklaverei feilschen ließ.

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Aber das sind nur die Wunschträume eines Kinogängers. In der Wirklichkeit hat niemand Solomon Northup geholfen, dessen bittere Geschichte der britische Künstler und Regisseur Steve McQueen nun zu einem packenden Drama verdichtet hat, und deshalb hilft ihm nun auch niemand im Kino.

Zwölf bittere Jahre dauerte Northups Tortur: 1841 wurde der New Yorker Violinist nach Georgia auf Baumwoll- und Zuckerrohrplantagen verschleppt. Er war ein hochgeschätzter Bürger und sich der Würde eines freien Mannes voll bewusst. Dann schlief er auf einer Künstlertournee in einem Washingtoner Hotelbett ein und erwachte in Ketten in einem Verlies. Seine Kollegen, zwei Weiße, hatten ihn mit Drogen betäubt und verkauft.

Plötzlich hat Northup (Chiwetel Ejiofor) seine Freiheit verloren, seine Familie, sogar seinen Namen. Von diesem Moment an ist er kein Mensch mehr, sondern das Eigentum eines anderen Menschen. Es dauert ein paar fürchterliche Hiebe, bis er halbwegs versteht, was ihm geschieht.

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Northup war einer von vielen Schwarzen, die Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem Norden Amerikas in den Süden entführt wurden, als der Sklavennachschub aus Afrika verebbte. Über seine Odyssee schrieb er ein Buch. Die Verfilmung von „12 Years a Slave“ ist auch deshalb aufschlussreich, weil McQueen vom Weg in die Sklaverei und nicht wie Spielberg oder Tarantino von deren Überwindung erzählt. Er belässt es auch nicht bei Nor-thups Leidensgeschichte, sondern schildert zugleich, was die Sklaverei mit denen macht, die andere versklaven.

Northups erster Besitzer William Ford (Benedict Cumberbatch) ist ein sanfter Mann, ein Intellektueller. Ford prügelt nicht, er schätzt Northups organisatorische Qualitäten. Er schenkt ihm sogar eine Geige – und macht ihn gerade dadurch zum Hassobjekt der weißen Bediensteten (angeführt von Paul Dano).

Doch kann es einen menschenfreundlichen Menschenschinder geben? Auch Ford ist ein Profiteur des Systems, egal wie sehr er die Quälereien seiner halb debilen Aufseher verabscheuen mag. Schließlich verkauft er Northup weiter. Er glaubt, ihn vor seinen eigenen Leuten nicht länger schützen zu können.

Nun ist Northup Eigentum des Baumwollfarmers Edwin Epps (Michael Fassbender), eines gefährlichen Psychopathen, der sich von seiner Frau als Schlappschwanz verhöhnen lassen muss. Epps rächt sich dafür an seinen „Niggern“. Die schrankenlose Macht über seinen menschlichen Besitz entlädt sich in sadistischen Spielen. Jeden Abend veranstaltet er ein Ranking der besten Baumwollpflücker. Wer unter dem Durchschnitt liegt, dem droht die Peitsche. Dieser Mann würde die Stellenbeschreibung eines KZ-Lagerkommandanten erfüllen.

Epps rechtfertigt die Gewalt mit Zitaten aus der Bibel in seiner Hand. Doch täuscht es, oder ahnt auch er, dass er sich Verbrechen gegen den Geist des Christentums schuldig macht? In der möglichst brutalen Aufrechterhaltung der Sklaverei sieht Epps den besten Schutz, sich Selbstzweifel vom Leib zu halten. Er schlägt umso heftiger zu, je mehr er den Menschen im Sklaven erkennt.

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Für Northup selbst geht es schon lange nicht mehr um die Verteidigung seiner Würde. Nur wer sich selbst verleugnet, hat eine Chance. Nur wer nicht zeigt, dass er klüger ist als seine dumpfen Peiniger, überlebt. Und nur, wer bereit ist, zuerst an sich selbst zu denken, kommt durch.

Das gilt auch, als ihm befohlen wird, eine junge Sklavin auszupeitschen. Bei Tarantino wäre spätestens jetzt der rechte Moment zum Aufstand gekommen. Northup schlägt zu, bis ein feiner Blutdunst vom zerfetzten Rücken der Malträtierten aufstiebt. Dann bringt sein „Master“ eigenhändig die sogenannte Bestrafung zu Ende, weil ihm die Wucht der Hiebe immer noch nicht reicht.

Wie man körperliches Leid inszeniert, weiß McQueen: Er hat die viel beachteten Dramen „Hunger“ (über die hungerstreikende IRA) und „Shame“ (über einen Sexsüchtigen) abgeliefert. In beiden spielte Fassbender die Hauptrolle. Anders als bei Tarantino sind Blut und Gewalt bei ihm nie Selbstzweck. Der Regisseur verordnet lediglich sich selbst und damit auch dem Publikum die Pflicht zum Hinschauen. Man spürt die Angst der schwarzen Männer und Frauen, wenn sich ihnen ein Herrenmensch nähert. Immer wieder schneidet McQueen die üppige Natur der Südstaaten gegen die armselige menschliche Existenz.

Von dem Kino-Individualisten McQueen hätte man sich womöglich einen sperrigeren Film erwartet. Gerade die leichtere Zugänglichkeit dürfte jedoch die Chancen von „12 Years a Slave“ bei der Oscar-Verleihung am 2. März erhöhen. Diese linear erzählte Geschichte geht einem an die Nieren.

Trost gewinnt der Zuschauer in mehr als zwei Kinostunden allein aus dem Wissen, dass Northup nach zwölf Jahren freigekommen ist. Ein kanadischer Zimmermann (gespielt von Brad Pitt, dessen Firma Plan B McQueens Film mitproduziert hat) verhilft ihm zurück nach New York in die Freiheit. Ein perfektes Happy End kann man das schwerlich nennen: Northup brachte seine Entführer vor Gericht, sie wurden allesamt freigesprochen.

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Er selbst widmete den Rest seines Lebens der Abschaffung der Sklaverei.

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