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Kirchenkritiker

„Der Staat braucht keine religiösen Dogmen“

Michael Schmidt-Salomon

Michael Schmidt-Salomon

Herr Schmidt-Salomon, derzeit tingeln Sie mit einem Bus durch Deutschland, um im Rahmen einer großangelegten Kampagne Menschen zum Atheismus zu bekehren. Woher rührt der missionarische Eifer?

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Es ist keine atheistische Kampagne. Wir sind nicht gegen Religion, sondern für einen weltanschaulich neutralen Staat. Dafür können sich auch gläubige Menschen einsetzen. Schon 1919 wurde in der Weimarer Reichsverfassung die Trennung von Staat und Kirche verankert. Doch bis heute sind beide finanziell eng verflochten. Der Staat zahlt zum Beispiel der Gehälter von Bischöfen. Hundert Jahre Verfassungsbruch sind genug!

Auch jemand, der selbst nie ins Schwimmbad geht, finanziert als Steuerzahler den Bau von Bädern mit. Was ist an der Bischofsbesoldung so schlimm?

Das ist eine ganz andere Frage. Laut Bundesverfassungsgericht kann nur ein Staat, der keine Religionsgemeinschaft privilegiert, Heimstatt aller Bürger sein.

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Sie beklagen auf ihrer Website eine „verfassungswidrige Diskriminierung religionsfreier Menschen“. Welche dunklen Mächte diskriminieren Sie denn? Leben wir nicht in einem freien Land?

Unsere Gesetze sind von der Wiege bis zur Bahre von religiösen Normen mitbestimmt. Vom Embryonenschutz bis zum Friedhofszwang. Ein weltanschaulich neutraler Staat darf sich jedoch nicht von religiösen Dogmen leiten lassen. Doch es gibt Zwangsberatungen vor Abtreibungen, und Sterbehilferegelungen, die sich an kirchlichen Normen ausrichten.

Die Kirchen sind doch Akteure der Zivilgesellschaft, sie können sich in die politische Willensbildung ebenso einbringen wie Gewerkschaften, Sportverbände oder auch die Giordano-Bruno-Stiftung.

Ja, dazu haben sie das Recht. Niemand kann den Religionsgemeinschaften absprechen, dass sie versuchen, ihre Pfründe zu sichern. Doch die Politiker müssen endlich begreifen, dass sie ihre privaten Glaubensüberzeugungen nicht zu Rechtsnormen machen dürfen.

Sind Abgeordnete nicht ihrem Gewissen verpflichtet? Und können Politiker eine Grundüberzeugung denn vor dem Plenarsaal an der Garderobe abgeben?

Ich spreche von ihrem professionellen Gewissen. Sie müssen als Vertreter des ganzen Volkes handeln. Etwa 80 Prozent der Deutschen sind für eine Liberalisierung der Sterbehilfe. Die Politiker haben aber beispielsweise 2015 im Bundestag eine Kriminalisierung der Sterbehilfe beschlossen – unter dem Druck der Kirchen. Alle Fraktionsvorsitzenden hatten Funktionen in Kirchen, sie haben ihre Leute darauf eingeschworen. In der Bundesregierung gibt es kaum konfessionsfreie Menschen.

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Ist es nicht das gute Recht von Politikern, einer Religion anzugehören?

Natürlich. Aber noch immer wirkt nach, dass Deutschland lange Zeit ein christlich geprägtes Land war. Das ändert sich erst seit 50 Jahren. In Großstädten wie Hannover gehört die Mehrheit der Bevölkerung bereits keiner der großen Kirchen mehr an. Immer weniger Menschen lassen sich ihren Lebenssinn von religiösen Institutionen vorgeben. Der Staat muss dazulernen. In einem liberalen Rechtssystem darf er nur dann in das Leben seiner Bürger eingreifen, wenn dieses rational und weltanschaulich neutral begründet ist. Das Bewusstsein dafür muss erst noch wachsen.

Nach
einer neuen Studie werden die Kirchen bis 2060 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren
. Erfüllt Sie das mit Genugtuung?

Nein, ich sehe da durchaus die Gefahr, dass am Ende nur die Fundamentalisten übrig bleiben. Derzeit sind die Kirchen ja sehr vielfältig, es gibt liberale Pastoren und humanistisch ausgerichtete Theologen. Das Gute an dem Trend ist aber, dass Menschen nicht mehr von Geburt ein Lebensentwurf vorgegeben wird. Sie können wählen.

Michael Schmidt-Salomon

Michael Schmidt-Salomon ist freischaffender Philosoph und Schriftsteller. Der 1967 in Trier geborene Humanist ist Vorstandssprecher der dezidiert religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung und gilt als „Deutschlands Chef-Atheist“ („Spiegel“). Im Rahmen der Kampagne „Schlussmachen.Jetzt“ tourt er derzeit mit einem Bus durch Deutschland. Am Dienstag, 7. Mai, steht dieser von 12 Uhr an am Kröpcke. Am Abend spricht Schmidt-Salomon dann um 19 Uhr im Pavillon am Raschplatz über das Thema „Abschied von der Kirchenrepublik – 100 Jahre Verfassungsbruch sind genug!“

Von Simon Benne

HAZ

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