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Erst Party, plötzlich Kunst:

Ein Wohnzimmerkonzert mit Markus Rill

Würde man Markus Rill nachts auf der Autobahn im Radio hören, würde man nicht gleich den Sender wechseln. Das Problem ist, dass er nachts meist nicht im Radio zu hören ist.

Würde man Markus Rill nachts auf der Autobahn im Radio hören, würde man nicht gleich den Sender wechseln. Das Problem ist, dass er nachts meist nicht im Radio zu hören ist.

Hannover. Die Gäste haben Beiträge zum Büffet mitgebracht: Brotsalat, Schnittchen mit Olivencreme, Spargelquiche. Man balanciert Teller, schneidet noch eine Scheibe vom krossen Ciabatta, gießt Grauburgunder nach. Draußen im Garten zupft Markus Rill ein bisschen auf seiner Gitarre herum. Die Zuschauer halten Abstand. Das Konzert ist ja noch gar nicht losgegangen. Außerdem hat man ja einiges zu bereden. Was die Kinder so machen. Wie es beruflich so geht. Und ob man die Radtour vom Frühjahr wiederholen sollte. Man kennt einander. Eigentlich könnte der Abend so weitergehen: Reden, Essen, Trinken, Musik von Spotify. Aber dann wäre es nur ein Abend wie viele andere. Heute Abend jedoch ist etwas Besonderes geplant: ein Wohnzimmerkonzert.

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Das Wohnzimmer sieht anders aus als sonst: Die Gastgeber haben Stühle, Sofas und Bänke im Halbkreis aufgestellt, sie haben den Esstisch an die Wand gerückt, zwischen der Stehlampe und dem Fernseher ist jetzt Platz für den Sänger und Gitarristen Markus Rill. Um kurz vor acht geht’s los. Markus Rill zupft ein paar Akkorde auf seiner Gitarre, fängt an zu singen, und plötzlich ist das alles keine Party mit Hintergrundmusik mehr, sondern ein richtiges Konzert. Markus Rill schafft es schnell, die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Das liegt an seiner starken, leicht angerauhten Stimme und an seiner Professionalität. Er spielt und singt vor diesen dreißig Gästen im Wohnzimmer als wären es 500 in einer Stadthalle.

Markus Rill macht Countrymusik, aber in gut. Mancher seiner Songs klingen zwar nach Rock’n’Roll-Museum, andere dagegen nach Townes van Zandt, Tom Waits oder sogar nach Bruce Springsteen. Würde man Markus Rill nachts auf der Autobahn im Radio hören, würde man nicht gleich den Sender wechseln. Sein Problem ist, dass er nachts meist nicht im Radio zu hören ist. Es ist nicht ganz einfach, als deutscher Countrysänger bekannt zu werden, davon erzählt Markus Rill witzig und selbstironisch zwischen seinen Liedern und gibt den Gästen – Architekten, Versicherungskaufleuten, Lehrern, Journalisten – Einblicke in die Künstlerexistenz.

Freiwillig wären die meisten der dreißig Gäste wohl kaum in ein Konzert von Markus Rill gegangen. Markus Rill? Wer soll das sein? Country? Lieber nicht. Aber zu einem Wohnzimmerkonzert geht man nicht, weil einem der Künstler gefällt, sondern, weil man eingeladen worden ist. Ganz einfach. Wird man dabei mit Musik konfrontiert werden, die einem sonst eher fremd ist, muss das kein Problem sein, man kann das auch als Chance sehen.

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Der größte professionelle Anbieter von Wohnzimmerkonzerten in Deutschland ist „Sofa-Concerts“. Die Internetplattform, die Ende 2013 von den beiden Schulfreundinnen Marie-Lene Armingeon und Miriam Schütt in Hamburg gegründet wurde, bringt Künstler und Gastgeber zusammen. 5000 Künstler aus 16 Ländern hat man dort mittlerweile in der Datenbank. Das Geschäftsmodell funktioniert so: Gastgeber, die ein Wonzimmerkonzert veranstalten wollen, suchen sich auf der Seite von „SofaConcerts“ (www.sofaconcerts.org) einen Künstler oder eine Band aus. Den günstigsten Singer/Songwriter gibt es bereits für 150 Euro, in der Regel bezahlt man 300 bis 400 Euro pro Konzert. Man kann allerdings auch größere Bands im heimischen Wohnzimmer aufspielen lassen. Das kostet dann ein paar Tausend Euro. 13 Prozent der verabredeten Gage nimmt „SofaConcerts“ für den Vermittlungsdienst. Die Gastgeber müssen die Festgage garantieren- und dafür sorgen, dass eine Mindestanzahl von Gästen dabei ist. In der Regel wandert am Ende ein Hut durch die Reihen. Und wenn das Konzert den Zuschauern gefallen hat, fällt die Gage für den Künstler noch etwas höher aus als zuvor abgemacht.

Für Musiker ist das eine angenehme Einrichtung. Wenn der Tourkalender nicht gerade voll mit Auftritten ist, schaut man, ob man mit einem Wohnzimmerkonzert eine Zwischenstation einlegen kann. So reist man effizienter. Und viele Künstler schätzen auch die besondere Atmosphäre, die solch ein Auftritt im Wohnzimmer bietet.

Markus Rill kam bei seinem Wohnzimmerpublikum sehr gut an. Auch ein paar der CDs, die auf dem Wohnzimmertisch wie auf einem Verkaufstresen ausgebreitet waren, konnte er loswerden. Weil der Applaus im Wohnzimmer – selbst wenn alle schwer begeistert sind - nie so aufbranden kann wie in einem Konzertsaal, beließ man es am Ende bei nur einer Zugabe. Noch eine Verbeugung des Künstlers, dann startete der Gastgeber die heimische Musikanlage mit Markus Rills CD „Getting Into Trouble“ – die Musik, die kurz zuvor noch im Zentrum stand, lief nun im Hintergrund.

Der Partytalk kehrte nicht gleich zurück zu Kindern im Ausland, komischen Kollegen und Stau auf der Autobahn. Nein, irgendetwas war anders nach diesem Konzert. Markus Rill hatte vom Leben als Musiker gesungen, von den Schwierigkeiten einer Künstlerexistenz, von Liebe und Wahrhaftigkeit, von Träumen und von Sehnsucht. Und einige der Gäste erinnerten sich, dass sie früher mal ein ganz anderes Leben in Erwägung gezogen hatten als das, das sie nun führten. Dass da mal so eine Sehnsucht war.

Und während sie noch von Schülerbands reden, die eigentlich nie offiziell aufgelöst worden sind, packt Markus Rill die Gitarren, die Mundharmonikas und die unverkauften CDs zusammen. Er muss morgen früh schon auf der Autobahn sein.

Von Ronald Meyer-Arlt

HAZ

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