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Was ist der Mensch?

Gentechnik wird zur ethischen Frage

Foto: Masse Mensch: Wie verändert sich die Gesellschaft, wenn Menschen genetisch optimiert werden?

Masse Mensch: Wie verändert sich die Gesellschaft, wenn Menschen genetisch optimiert werden?

Berlin. Es klingt wie Ironie: Ein Rechenfehler soll schuld daran gewesen sein, dass die Kunstfigur Lara Croft den imposanten Busen erhielt, mit dem sich die Kultfigur dem Bewusstsein einprägte. Der Chefdesigner des Computerspiels „Tomb Raider“, Toby Gard, soll bei der Oberweitenanpassung der Protagonistin versehentlich 150 statt 50 Prozent eingegeben haben. Seiner Crew gefiel die üppigere Comicfigur, und da das Videospiel für eine männliche Zielgruppe gedacht war, wurden die Formen zunächst beibehalten. „Normalisiert“ wurde der Busen  erst, als vermehrt auch eine weibliche Käuferschicht angesprochen werden sollte.

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Dass nun der Mensch hinter der Kultfigur, die Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie, auf Grund eines statistisch hohen Krebsrisikos die Brüste chirurgisch entfernen hat lassen, lässt wohl niemanden kalt. Zur Operation entschied sich die Schauspielerin nach einem Gen-Scanning. Bei ihr wurde – so könnte man vielleicht sagen – gleichsam ein „Programmierungsfehler“ in der Erbsubstanz festgestellt. Dass – um im Bild zu bleiben – an der Hardware herumgebastelt wird, wenn die Software schadhaft ist, trägt freilich zur Tragik solcher inzwischen gar nicht seltenen Fälle der angstgesteuerten Radikalprophylaxe bei, also der vorsorglichen Entfernung von vielleicht erst später von Krankheit betroffenen Organen.

Der extreme Schritt der Hollywood-Diva führt unübersehbar die Defizite des bisherigen, sozusagen noch aus traditioneller Produktion stammenden Menschen vor Augen. Bessere Aussichten könnten Jolies Kindeskinder haben.
17 Jahre nach der Geburt des Klonschafs "Dolly" gelang einem US-Forscherteam um Shoukhrat Mitalipov jetzt die Reproduktion einer menschlichen Zelle. Von hier ist es zum Embryo mit optimierten Startbedingungen wohl nicht mehr weit.  Die faustische Vision der Schöpfung eines Homunkulus scheint näher zu rücken.

Wenn die Begeisterung über den Durchbruch eher verhalten ist und eher ein leiser Schauder vorherrscht, dann wohl deshalb, weil es im Grunde zu erwarten war. Nach jahrhundertelanger konsequenter Eroberung und Beherrschung der Natur war klar, dass man irgendwann bei der Programmierung der menschlichen Natur anlangen würde.

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Was bedeuten Eingriffe in die Erbsubstanz und die Züchtung menschlicher Embryonen für unser Selbstverständnis? Welche gesellschaftlichen und ethischen Probleme sind damit verbunden? Diesen Fragen stellte sich in aller Radikalität der Berliner Publizist Claus Koch bereits 1994 in seinem Essay „Das Ende der Natürlichkeit“. Er dachte nicht nur über Genschafe nach, sondern auch über Mensch-Tier-Chimären.

Kochs Text blieb weitgehend unbesprochen, Peter Sloterdijks „Elmauer Rede“ mit dem Titel „Regeln für den Menschenpark“ schlug dagegen 1999 hohe Wellen. Der Philosoph widmete sich den von ihm sogenannten „Anthropotechniken“, also der Anwendung von Technik auf den Menschen selbst, das Laborieren am Quellcode des Lebens, die genetische Wurzelbehandlung. Eines der Ergebnisse der damaligen Debatte lässt sich so zusammenfassen: So positiv und erfreulich moderne Techniken für das Individuum und dessen Gesundheit auch sein mögen, gesamtgesellschaftlich drohen neue und bislang ungekannte Zwänge. Letztlich, so die Sorge, wachsen Ungleichheiten.

Wenn inzwischen beispielsweise im Zusammenhang mit Gen-Scanning gefragt wird, ob die Kosten nicht die Krankenkassen übernehmen sollten, müsste man nachfragen: Bevor oder nachdem sie uns als Patienten in ihre Kartei aufgenommen haben? Wenn das Ergebnis, wie bei Angelina Jolie, ein statistisch gesehen hohes Krebsrisiko ist, so könnte das für neue Kassenkunden teuer werden. Ein nächster Schritt wäre dann das Gen-Scanning als gesetzliche Vorschrift.

Ein Sprengsatz von Sloterdijks „Elmauer Rede“ lag darin, dass er den Beginn der Anthropotechniken nicht erst in der technischen Moderne ansetzte, sondern bereits mittelalterliche Meditation und Kasteiung als Optimierungsmethoden beschrieb. In solchen Fällen eben der Seelenarchitektur des Menschen. Auch die Pädagogik seit dem 18. Jahrhundert sah er als Disziplinierungsversuch der menschlichen Natur an. Die Genbastelei wäre dann nur ein weiterer Schritt.

Für den Philosophen Konrad Paul Liessmann sind die historischen Optimierungsformen letztlich als gescheitert zu erachten. Auf jeden Fall herrsche heute der Glaube vor, dass es letztlich eine Frage der Gene sei. „Die Softwareprogramme der Humanisierung liefen schlecht bis gar nicht auf der Hardware des Menschen“, schreibt Liessmann polemisch. „Nun soll diese umgebaut werden.“

Mit der Möglichkeit der Selbstformung wird die Natur des Menschen freilich zur Knetmasse für Künstler und Kreative, denn nirgendwo gibt es einen Tresor, in dem sich ein fertiger Bauplan des optimalen Menschen findet. Das wurde nicht erst in der Gen- und Klonära bemerkt. Der italienische Renaissance-Philosoph Giovanni Pico della Mirandola ließ 1486 Gottvater in seiner Abhandlung über die Menschenwürde sagen: „Wir haben dir keinen bestimmten Wohnsitz noch ein eigenes Gesicht noch eine besondere Gabe verliehen, o Adam, damit du jeden beliebigen Wohnsitz, jedes beliebige Gesicht und alle Gaben, die du dir wünschst, besitzen mögest“. Pico della Mirandola starb – typisch Altmensch – jung.

HAZ

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