“Ich bin eine Frau. Ich bin es gern.”
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© Quelle: Illustratoin: George Peters/iStockphoto/Getty Images
“Es gibt zwei Wege, das eigene Anliegen zur Sprache zu bringen. Entweder man schließt sich einer Gruppe an und spricht und handelt in kollektiven Codes, in einer gemeinsamen Sprache und Welt und Bedeutung, oder man lässt es.”
Mely Kiyak, Schriftstellerin, Kolumnistin, Trägerin des Theodor-Wolff-Preises, lässt es. Zumindest in ihrem neuen Buch, aus dem dieses Zitat stammt. Die 44-Jährige hat ihr Werk so schlicht wie provokant mit dem Begriff “Frausein” überschrieben. Provokant ist das, weil das Buch gerade nicht ist, was es zu sein scheint: ein Essay, der das Allgemeine am Frausein zu erfassen versucht. Tatsächlich hatte Kiyak dies offenbar zunächst im Sinn. “Ich hatte fälschlicherweise angenommen, dass ich mich im Plural mit anderen Frauen denken und beschreiben müsse. Ich wollte eine von vielen sein. Aber das ist falsch”, sagt sie. Kiyaks Antworten auf die Frage nach dem Frausein sind am Ende zutiefst persönlich – und damit eine Kampfansage an den Versuch, das Besondere ins Allgemeine zu überführen. “Ich bin eine Frau. Ich bin es gern. Davon möchte ich erzählen”, sagt sie.
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Fühlt sich von der Mehrheitsgesellschaft als “Putzfrauentochter” gesehen: Mely Kiyak.
© Quelle: Illemann
J. K. Rowling löste einen Proteststurm aus
Das klingt ganz leicht. Aber es ist eine Qualität von Kiyaks Buch, dass sie zu dieser Leichtigkeit zurückfindet. Wie umkämpft der Begriff des “Frauseins” ist, zeigt die aktuelle Genderdebatte überdeutlich. Von Menschen, die trans- oder bisexuell sind, wird vehement infrage gestellt, ob das Denken in Kategorien wie “Mann”/“Frau” noch zeitgemäß ist. “Harry Potter”-Erfinderin J. K. Rowling erfuhr unlängst, wie viel Ärger man sich einhandeln kann, wenn man das bezweifelt. Rowling verteidigte in den sozialen Medien das Konzept des biologischen Geschlechts gegenüber Transsexuellen und löste damit einen Proteststurm aus. Erst ein paar Tage ist es zudem her, dass die holländische Autorin Marieke Lucas Rijneveld den Internationalen Booker Prize erhielt. Die 29-Jährige, die sich nicht auf konventionelle Geschlechtszuschreibungen reduzieren lassen will, besteht auf der Anrede “they”.
Ich wollte eine von vielen sein. Aber das ist falsch.
Mely Kiyak,
Journalistin und Schriftstellerin
Eine Frau, die wie die kurdischstämmige Kiyak einen Migrationshintergrund hat, entkommt zudem zumeist keiner Diskussion über das Ausländersein, auch wenn sie, wie Kiyak, in Deutschland geboren ist. Fast jeder Text über sie beginne mit der Feststellung, dass sie Tochter eines kurdischen Vaters sei. “Ich bin aber längst nicht mehr Tochter. Ich bin erwachsen”, protestiert Kiyak in einem Interview.
Ihre Mutter ist Analphabetin
Nun ist es nicht so, dass Kiyak ihre Herkunft aus einer Gastarbeiterfamilie nicht reflektiert. Im Gegenteil: Sie tut dies in “Frausein” auf ebenso bittere wie berührende Weise, mal erzählend, dann wieder aphoristisch. Kiyak beschreibt immer wieder, wie weit entfernt von den Biografien ihrer Mitschüler ihre Kindheit verläuft. Ihre Mutter ist Analphabetin, bekommt Lesen und Schreiben von der Grundschullehrerin ihres Sohnes beigebracht, der sie sich irgendwann anvertraut. Nicht einmal ihre Familie hat zuvor davon gewusst. Einmal in der Woche kommt die Lehrerin ins Haus und unterrichtet auch die Mutter ihres Schülers mit der Lernfibel für Erstklässler.
“Putzfrauentochter” nennt Kiyak sich, bringt damit auf den Punkt, wie sie sich von der Mehrheitsgesellschaft gesehen fühlt, obwohl sie als Erste ihrer Familie ein Gymnasium und später eine Universität besucht. Vorbilder in der BRD der Achtzigerjahre gibt es für Mädchen wie Mely nicht. In der eigenen Familie gilt als oberstes Gebot, dass die Töchter anders werden müssen als die Mütter, erfolgreicher, gebildeter, weniger arm. In der Öffentlichkeit kommen Putzfrauentöchter dagegen nirgendwo vor. Selbst in der Pril-Werbung habe man vergeblich nach der schwarzhaarigen Frau am Spülbecken gesucht, die vom Geschirrspülen samtweiche Hände bekam, schreibt Kiyak. Dass die Mehrheitsgesellschaft gar keine ausländischen Aufsteigerinnen will, wird ihr erst klar, als sie in der “Tagesschau” die Gesichter der Opfer der Brandanschläge von Solingen sieht. Zum ersten Mal habe man Gesichter gesehen, die einem selbst ähnelten. Man sei nicht auf Dauer erwünscht, das sei überdeutlich gewesen.
Mit Vorurteilen über Gastarbeiterfamilien aufgeräumt
Zu den stärksten Passagen in “Frausein” gehören die, in denen sie mit Vorurteilen über Gastarbeiterfamilien aufräumt. Ist ihr Leben von patriarchalen Vätern, Ehemännern, Söhnen bestimmt? “Bei uns waren es die Frauen, die lenkten, bestraften, verziehen oder verstießen”, heißt es. Kiyak setzt ihrem sanftmütigen Vater, dem sie bereits 2013 ein Buch gewidmet hat, noch einmal ein Denkmal. Verleugnen kurdische Frauen ihre Sexualität? Seitenweise kann man in “Frausein” nachlesen, wie eine Cousine ihren Zukünftigen sexuell testet und den zwölf-, 13-zehnjährigen Verwandten hinterher lustvoll berichtet, was er gut kann und was nicht.
Machen die Erfahrungen der Gastarbeitertochter die Essenz ihres Frauenleben aus? Nein, und sie lassen sich – das ist Kiyaks Credo – nicht generalisieren. Mely Kiyaks Buch kann man als den Versuch einer Frau lesen, sich selbst zu finden, indem man familiäre und gesellschaftliche Zuschreibungen nicht erfüllt, sondern sich aus ihnen befreit. Dazu gehört auch, die eigene Rolle weder über Kinder noch über einen männlichen Partner zu definieren. Schon mit fünf oder sechs Jahren verkündet sie, sie werde “niemals Kinder bekommen und niemals heiraten”. Als Erwachsene setzt sie diese Überzeugung radikal um, weil sie nicht werden will wie die “mit Traurigkeit zugedeckten Frauen”, deren Zweisamkeit mit Männern aus nichts anderem besteht, als dass “zwei Leute eine Wohnung, ein Auto, ein Konto, die Erziehung gemeinsamer Kinder und den Zahnputzbecher miteinander teilen”. Sie wählt das Alleinleben, die Einsamkeit, riegelt sich hermetisch von Freunden, Verwandten ab – weil sie sich ausschließlich ihrem Beruf, dem Schreiben, widmen will.
Das ist ihr mit “Frausein” eindrucksvoll gelungen.
Mely Kiyak: “Frausein”. Hanser. 128 Seiten, 18 Euro.