Konzert mit Christoph Eschenbach
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Ein Klassikstar im Funkhaus: Christoph Eschenbach (78) probt mit der NDR Radiophilharmonie.
© Quelle: Micha Neugebauer/NDR
Hannover. Am Ende der sinfonischen Dichtung „Von der Wiege bis zum Grabe“ von Franz Liszt verstummt das Orchester. Allein die Celli summen leise noch allerletzte Töne wie den Nachhall einer abgeklärt-elegischen Melodie, die nur ein alter Meister wie der damals 70-jährige Komponist aussinnen konnte.
Im hannoverschen Funkhaus, wo die NDR Radiophilharmonie Liszts Spätwerk jetzt aufgeführt hat, begleitet der 78-jährige Dirigent Christoph Eschenbach dieses letzte Verklingen mit einer bemerkenswerten Geste: Mit nach unten geöffneter Hand hebt er langsam den Arm, als würde mit dem Klang auch die Seele des Menschen, von dem diese Tondichtung erzählt, in die Höhe steigen. Doch dann, als der Moment des Loslassen gekommen wäre, und er die Hand nur umdrehen müsste, ballt Eschenbach die Finger plötzlich energisch zur Faust wie ein Baseballspieler, der im letzten Moment doch noch den schon verloren geglaubten Ball zu fassen bekommt. Einen magischen Moment lang könnte man glauben, der Dirigent müsse nun etwas sehr Kostbares in der Hand halten.
Über Glaubensfragen ist Christoph Eschenbach ansonsten längst erhaben. Als Pianist und Dirigent hat er erreicht, was zu erreichen ist. Er war Chef bei großen Klangkörpern in Zürich, Houston, Hamburg, Philadelphia, Paris und Washington und ist dessen offenbar noch immer nicht müde: Zur kommenden Saison, Eschenbach wird dann 79 Jahre alt sein, übernimmt er die Leitung des Konzerthausorchesters in Berlin. Dass er nun zum ersten Mal bei der NDR Radiophilharmonie gastiert hat, ist also nicht etwa ein Zeichen von Altersschwäche, sondern nur ein weiterer Hinweis darauf, dass das hannoversche Orchester gerade zur Weltspitze aufschließt. Ein Klassikstar wie Eschenbach ist am Pult im Funkhaus inzwischen genau am richtigen Platz.
Muskelbepackte Zartheit
Das Orchester beweist das auch im weiteren, für die Musiker ungewöhnlich anspruchsvollen Programm. Béla Bartóks ebenfalls am Ende eines Komponistenlebens entstandenes „Konzert für Orchester“ fordert alle Instrumentengruppen, die sich bestens bewähren. Unter Leitung von Eschenbach ist dabei nicht einmal die etwas beengte Akustik im Sendesaal ein Hindernis, die anderen Gastdirigenten oft Probleme bereitet: Auch in voller Lautstärke bewahrt der Klang hier schillernde Eleganz und Raum für viele Details.
Spektakulärer Höhepunkt des Konzertes war dennoch der Auftritt des US-amerikanischen Pianisten Tzimon Barto. Mit ihm wurde Bartóks sperriges zweites Klavierkonzert zum Ereignis: Barto hämmerte die komplizierten Rhythmen unerbittlich und zum Teil sogar mit der Faust in die Tasten, um im nächsten Moment Klänge von ungeheurer Zartheit hervorzubringen, die man seiner muskelbepackten Gestalt kaum zugetraut hätte. Im dicht verzahnten Zusammenspiel mit dem Orchester, das hier wohl auch von der langjährigen Vertrautheit zwischen Dirigent und Solisten profitierte, nahm die stets sehr einfallsreiche, oft überraschende Musik mit jeder neuen Wendung mehr Energie auf: ein atemberaubende Aufführung, der Barto leider keine Zugabe folgen ließ.
Am 10. und 11. Januar 2019 ist die Klarinettistin Sharon Kam Gast bei der Radiophilharmonie: Sie spielt die Uraufführung eines neuen Konzertes von Thorsten Encke. Außerdem stehen für Orchester bearbeitete Werke von Bach und Brahms auf dem Programm, Dirigent ist Joshua Weilerstein.
Von Stefan Arndt
HAZ