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Schauspielhaus

Lars Eidinger liest Thomas Brasch

Strenge Form, wilder Inhalt: Lars Eidinger (rechts) und George Kranz im Schauspielhaus.

Strenge Form, wilder Inhalt: Lars Eidinger (rechts) und George Kranz im Schauspielhaus.

Hannover. Der Mann ist Hamlet und Richard III. an der Berliner Schaubühne und im „Tatort“ der „stille Gast“, der in Wohnungen einbricht, um an fremden Zahnbürsten zu lecken. Ausgerechnet die hoffnungslos Verrückten haben Lars Eidinger zum bekanntesten, fast muss man inzwischen wohl sagen: zum größten Schauspieler seiner Generation gemacht.

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Nun war der Mann, der so geübt darin ist, Wahn und Abgrund hinter seiner treuherzigen Mine aufscheinen zu lassen, zu Gast im ausverkauften Schauspiel Hannover und hat dem Publikum kaum je das Gesicht zugewandt. Eidinger, der seit einiger Zeit auch als Regisseur erfolgreich ist, scheint fast hinter dem dürren Mikrofonständer zu verschwinden, der hier so etwas wie das einzige Requisit ist. Schräg senkt er den Blick in die beiden schmalen Bücher, die an diesem Abend die Hauptrolle spielen: Eidinger liest nicht nur Liebesgedichte von Thomas Brasch – er taucht darin ein. Es gibt keine Begrüßung und keine Plauderei. Nur Text, Text, Text.

Der allerdings ist vielgestaltig genug: Der 2001 gestorbene Thomas Brasch, vielbegabt im Leben, Lieben und Schreiben, war auch als Lyriker nicht festgelegt. Selbstironische Reime stehen neben aphoristischen Versen, in denen einzelne Wörter die Schwerkraft einer ganzen Erzählung entwickeln können. Brasch liebte Heine, dem er nicht nur ein lyrisches Vorwort widmete, sondern dessen Tonfall und Rhythmen er häufig für eigene ironische, manchmal freudig blasphemische Gedichte übernommen hat. Dann wieder spielt er mit den strengeren Formen der Moderne und ihrem exzentrischen Zeilenfall (den man bei Eidinger gut hören kann) und lässt dabei an vollkommen überraschenden Stellen Sinn hervorbrechen wie Wasser bei einem Rohrbruch. Und natürlich verbeugt sich Brasch vor Brecht, dem Lyriker seiner komplizierten Epoche.

Auch Thomas Brasch ist schon durch seine Biografie eine Jahrhundertfigur. Als Sohn jüdischer Emigranten wurde er 1945 in England geboren. Die Familie ging in die DDR, wo der Vater Karriere als Kulturfunktionär machte. Thomas Brasch dagegen geriet wegen seiner politischen Äußerungen immer wieder in heftigen Konflikt mit dem Staat, verbüßte Haftstrafen und war immer wieder beruflichen Repressionen ausgesetzt, bis er in der Folge der Biermann-Resolution 1976 mit seiner Lebensgefährtin Katharina Thalbach in den Westen übersiedelte. Mit seinen Romanen („Vor den Vätern sterben die Söhne“), mit seinen Filmen und Theaterproduktionen gehörte er dort bald zu den prägenden Stimmen der Siebziger- und Achtzigerjahre.

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Heute ist Brasch am ehesten noch als Übersetzer präsent: Seine Shakespeare-Übertragungen sind auch Teil der Erfolgsgesichte, die Lars Eidinger an der Berliner Schaubühne schreibt. Dort setzt der Schauspieler auf saftiges Theater – in seiner Brasch-Hommage dagegen auf unbedingte Strenge und Konzentration.

Unterbrochen wird die intensive Lesung durch die Schlagzeug-Einwürfe von George Kranz. Der Musiker, der selbst auch Schauspieler ist, kommentiert die Texte jeweils mit Improvisationen: manchmal nur mit einigen sparsamen Schlägen, manchmal mit rhythmischen Exzessen, die den Druck erlebbar machen, der auch auf Braschs Texten lastet. Kranz leistet sich zudem die Freiheiten, die Eidinger sich hier versagt: Er trommelt auf Boden und Türen und sorgt auch ohne Instrumente allein mit Stimme und Pantomime eine eindringliche Geräuschkulisse.

Ganz am Ende sind Eidinger und Kranz in einer Art Zugabe als Schattenrisse auf der weißen Wand zu sehen, die vorher die Spielfläche auf der ansonsten schwarzen Bühne markiert hat. Die Lesung mit ihrer strengen Form und ihren wilden Inhalten offenbart sich dann endlich als das, was sie von Beginn an gewesen ist: großes Theater.

Am Mittwoch, 3. Oktober, liest Schauspielerin Hannelore Hoger im Schauspiel Hannover Briefe und Geschichten über die Liebe.

Von Stefan Arndt

HAZ

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