Der Mann, der eine Wucht war – ein Nachruf auf Rocklegende Meat Loaf
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Bombast traf Rock'n'Roll: Meat Loafs Konzerte setzten auf Überwältigung durch Stimme, Show und Musik. Jetzt ist der Musiker, der bürgerlich Marvin Lee Aday hieß, im Alter von 74 Jahren gestorben.
© Quelle: imago images/BRIGANI-ART
Das Titelstück seines Durchbruchalbums „Bat out of Hell“ war ein Lied über den Tod. Meat Loaf erzählte darin 1977 die Geschichte eines wilden Bikers in einer dramatischen Liebesbeziehung. Der Protagonist raste auf seinem Motorrad durch die Nacht und sah die Kurve nicht, bevor es zu spät war.
Schreiende Gitarren, ein brausender Rockbombast und diese gewaltige Vier-Oktaven-Stimme. „Wagner-trifft-Rock‘n‘Roll“ schrieb ein Kritiker. Das zugehörige Album wurde zum Klassiker – bis heute sind 43.000.000 Exemplare verkauft worden. Es war der größte kommerzielle Erfolg von Meat Loaf alias Marvin Lee Aday – außer der Ballade „I‘d do Anything For Love“ die es 1993 in 28 Ländern auf Platz eins schaffte.
Todesursache unbekannt
„Mit gebrochenen Herzen müssen wir mitteilen, dass der unvergleichliche Meat Loaf letzte Nacht gestorben ist. Seine Frau Deborah war an seiner Seite. Die Töchter Pearl und Amanda und enge Freunde waren die letzten 24 Stunden bei ihm“, heißt es in einer Erklärung auf Facebook. Über die Todesursache wurde bis jetzt nichts bekannt, unvergleichlich aber war er tatsächlich gewesen.
Wenn der massige Rocker in seiner Glanzzeit in einer Zwangsjacke mit rollenden Augen auf die Bühne stürzte, wich man im Publikum instinktiv zurück. Als ein Zuschauer 1988 in Ludwigsburg eine leere Getränkedose auf die Bühne warf, zerknautschte sie der Sänger in der Hand und drohte dem Werfer ebensolches an. Man erwartete ein paar bange Minuten lang, dass sich Meat Loaf tatsächlich ins Publikum werfen würde, um den Schuldigen ausfindig zu machen. Und atmete auf, als der Zornentbrannte schließlich doch lieber zu singen begann.
Und zwar ganz romantisch: „Ich sah dich wie einen Sommertraum und du bist die Antwort auf all meine Gebete...“„Out of the Frying Pan and into the Fire (Vom heißen Tiegel ins Feuer)“ hieß der Song.
Als Künstlername „Hackbraten“? „Da muss man doch denken, der Mann hat einen einstelligen IQ“, flachste Aday zuweilen. „Meat Loaf“ war ein Spottname, den man dem Sänger schon in seinen Kindertagen ob seiner Korpulenz verpasst hatte. Fluchtpunkt aus den Gehässigkeiten und überdies der Gewalt seines alkoholkranken Vaters war die Musik – der junge Marvin lauschte den Protestsongs von Bob Dylan, dem Rock der Rolling Stones und dem Gospel der großen Mahalia Jackson.
Sein Meisterwerk ist Glück und Unglück zugleich
1967 tauchte er in die Musikszene von Los Angeles ein, gründete Bands, arbeitete als Parkplatzwächter, um über die Runden zu kommen. Eine Soulplatte floppte 1971, als irrer Biker Eddie wurde er ab 1973 in der „Rocky Horror Show“ in West-Hollywood bekannt (später auch in der Verfilmung in der ganzen Welt). Und dann kam „Bat out of Hell“.
Die von Komponist Jim Steinman geschriebene Sieben-Song-Teenage-Symphony mit Horror-Story-Elementen war Glück und Unglück zugleich für den Texaner. Das Album, ursprünglich als Musical geplant, war 1977 wie eine Bombe ins Königreich des Punkrock gefallen, ein pathos- und satirebebendes Meisterwerk, das seinen Sänger verfolgte, von dem er nie loskam, das er mit Steinman, um den gigantischen Erfolg zu erneuern, mit einem zweiten und dritten Teil (1993 und 2006) verwässerte, bis der Sänger selbst zur Karikatur einer Rock-‘n‘-Roll-Karikatur verblasst war. Im neuen Millennium versuchte Meat Loaf auf der Bühne immer noch, Romeo, Elvis und Orpheus in einem zu sein, und besang auch im Großvateralter noch die ewige Geschichte vom moppelig-pickligen Jungen, dessen Heldenfantasien von wahrer Liebe und der Errettung edler Jungfrauen sich mit dem Sehnen nach dem Ende der eigenen Jungfernschaft auf dem Rücksitz von Daddys Limousine kreuzen. Aber er lehnte sich dabei auf einen Stock, die einst mächtige Stimme wirkte geschunden, die Puste ging ihm aus. 2013 nahm er seinen Bühnenabschied.
„Ich bin das Gegenstück“, charakterisierte er sich einmal in einem Interview. „Ich liebe es der Außenseiter zu sein. Das ist meine Rolle im Leben.“ Ein Rockstar wollte er nicht genannt werden. „Wenn man mich unbedingt irgendwie nennen muss, dann ein Chamäleon.“ Immer wieder versuchte Aday sich auch als Schauspieler – mit wechselndem Erfolg, in eher kleinen und mittleren Rollen. Die Filmwebsite „imdb“ verzeichnet 108 Rollen, darunter nicht nur die eigenen Videos sondern Auftritte in Filmen wie „Fight Club“ (1999), „The 51st State“ (2001) und „Beautiful Boy“ (2010) und in Serien wie „Glee“, „Monk“ und „Dr. House“.
Eine letzte Wucht
2010 revanchierte sich Hugh „Dr. House“ Laurie, und spielte Klavier zu Meat Loafs Song „If I Can‘t Have You“. Auf dem zugehörigen Album „Hang cool, Teddy Bear“ spielten auch Steve Vai und Queens Brian May Gitarre, Komponisten wie Desmond Child, The-Darkness-Sänger Justin Hawkins und Jon Bon Jovi erzeugten ähnlich schwere See wie Jim Steinman. Und das verführte den im Vorjahr verstorbenen Weggefährten dazu, sich 2016 ein weiteres Mal mit ihm zusammenzutun für eine letzte Wucht. Auch Weggefährtinnen der frühen Tage wie Ellen Foley und Karla DeVito gesellten sich noch einmal zu Meat Loaf ans Mikrofon. „Braver Than We Are“ hieß das Werk und im Eröffnungssong „Who Needs the Young“ haderte der barocke Barde erstmals mit dem Alter: „Wer braucht das Jungsein, wenn wir den Rest unserer wunderbaren Leben damit verbringen müssen, das Sterben zu lernen.“
Die Welt trauert um den Mann, der eine Wucht war. Im Gedenken legt man nochmal die Höllenfledermaus auf: Todd Rundgrens Gitarre bellt, röhrt, kreischt wie eine Harley. „Götterdämmerung“ trifft Chuck Berry und Phil Spector, dann steigt die Stimme auf. Exzess ... und Schluss.