Pop 2020 – neue Alben von Moses Pelham, The Boomtown Rats, Robert Cray und anderen
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Macht jetzt erwachsenen Hip-Hop: Der einstige Rödelheim-Hartreimer Moses Pelham singt jetzt auch mal richtig. Sein aktuelles Album „Emuna“ gehört zu den Neuvorstellungen in unserer Albumrubrik.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Mit dem Rödelheim Hartheim Projekt hatte der Frankfurter Moses Pelham in den Neunzigerjahren Erfolg und reichlich Straßenglaubwürdigkeit. Sein rüder Hip-Hop, seine rüpelige Attitüde boten den “Bad Boy”-Gegenentwurf zum vergnüglichen Bürgersöhne-Sprechsingen der Fantastischen Vier aus Stuttgart. In „Backstein“ teilt er noch mal Verbalinjurien gegen Loser und Deppen der Zunft aus.
Aber nach den heftigen Jahren ist nun – auch schon länger – Zeit für Nachdenklichkeit. Der schleppende Beat und die funkelnden Keyboards des Openers “Notaufnahme” enden mit dem “Bliep”, das in jeder Krankenhausserien-Folge aus den Überwachungsmaschinen kommt, wenn beim Todesopfer der Woche der Defibrillator noch zweimal angesetzt wird, bevor der Arzt den Todeszeitpunkt notiert. Pelham ist außen vor, er hat keine Ahnung mehr, was die Kids meinen, wenn sie heute von Hip-Hop reden, so rappt er.
Aber wenn er zu sakral anmutenden Klavierklängen und grabesschwerem Cello die Ballade “Weiße Fahne” über die Unmöglichkeit des Kapitulierens spricht (“Solang mein Herz schlägt, solange ich leb / so lang weht hier keine weiße Fahne”), dann klingt das nach einem Mann, den es kein bisschen nach Verjüngung verlangt. Der Song “Juli” handelt vom Zorn eines Mädchens über das Ende der Versprechen, die Desillusionierungen des Lebens, und da singt Pelham tatsächlich in rauzärtlichem Ton, statt zu rappen. Mehr davon! Die Bandbreite hier ist groß, der Titelsong (ein hebräisches Wort für tiefgehenden Glauben) kommt wie aus den Zeiten von Peter Schillings “Major Tom”. Und ein Optimist ist Moses Pelham auch: “Dieser Sturm hier ist nötig für den nächsten Regenbogen.”
Moses Pelham “Emuna” (Sony)
Das letzte Album der Boomtown Rats ist 36 Jahre her. Damals, 1977, als die Welt jung war und Punk das Ding der Stunde, starteten die Iren ihre Laufbahn mit der Single “Looking after Number One” und hatten ein Jahr später mit “Rat Trap” tatsächlich schon die erste Spitzenposition im UK, ein Jahr darauf mit der Amoklaufballade “I Don’t Like Mondays” einen echten Welthit. Die Alben “A Tonic for the Troops” (1978) und “The Fine Art of Surfacing” (1979) gehören bis heute zu den großen Würfen der New-Wave-Ära. 1984 endete die Band nach sechs Alben, Sänger Geldof wurde der “Live Aid”-Organisator, geadelt und verehrt, spielte aber in Deutschland Konzerte nur in passabel bis peinlich schlecht besuchten Klubs.
Seit 2013 gibt es wieder Konzerte der Ratten und jetzt mit “Citizens of Boomtown” das siebte Studiowerk. Darauf startet Geldof in fast originaler Besetzung mit “Trash Glam Baby”, das vordergründig den nunmehr 50 Jahre alten Glamrock adelt, während im Hintergrund Bowies Berliner “Heroes” und Del Shannons “Runaway” gewürdigt werden. “Es ist nicht retro, es ist metro”, versucht uns Geldof vergeblich einzureden. Aber es ist eigentlich wurst, denn dieses Retro klatscht einem bei den ersten vier Songs Gitarren auf die Ohren, dass man nur so twisten möchte, und shouten auch. Fast ist es, als hätte es die exaltierteren Rats-Alben “Mondo Bongo” (1981) und “V Deep” (1982) und das müde “In the Long Grass” (1984) nie gegeben.
Wenn die Stadtratten im Bluesrock von “Monster Monkey” den alten “Mister Mojo” beschwören, sind sie dann bei den Doors und beim John Lennon der späten Beatlestage, mit der jazzig endenden Ballade “Passing through” erneut bei Bowie, und wem es ab “K.I.S.S.” dann etwas beliebig wird, und wer über den abschließenden massiven Missgriff des technoiden Erkennungssongs “The Boomtown Rats” die Nase rümpft, der nimmt das Ganze am besten als EP und stellt nach dem sechsten Song auf Repeat.
The Boomtown Rats “Citizens of Boomtown” (BMG) erscheint am 13. März
Hier kommt ein Barde, der vor langer Zeit auf dem Beatleslabel Apple seine erste Platte veröffentlichte. James Taylor, in der kommenden Woche 72. Geburtstag feiernder Songwriter aus Boston, widmet sich, wie der Titel seines 19. Studioalbums verrät dem jazzigen “American Standard” – wie so viele Kollegen von Rod Stewart bis Bob Dylan. Seit der Jahrtausendwende gab es von dem König der (leicht geknödelten) folkigen Sanftmut alles Mögliche – Weihnachtslieder, Soul- und Rock’n’Roll-Evergreens – aber an neuem Stoff eigentlich nur das Album “Before This World” von 2015.
Und so eignet er sich auch diesmal wieder Fremdes an, Pop aus uralten Jazztagen, Lieder aus großen Musicals (“Showboat”, “Brigadoon”, “Oklahoma!”), Filmmusiken (“Frühstück bei Tiffany”) und den Blues. Von Billie Holiday, Rodgers und Hammerstein oder Henry Mancini stammen die Stücke. Und wie Taylor Fats Dominos “My Blue Heaven” oder Audrey Hepburns “Moon River” in akustikgitarrene Preziosen verwandelt, entbehrt nicht eines gewissen, intimen Zaubers. Schmuck sind mal eine tröstliche Mundharmonika, eine fröhliche Klarinette, eine brisenhafte Trompete. So zeigen Uroldies wie “The Nearness of You” und “Ol‘ Man River” auch in diesen zartgespinstigen Versionen ihre Klasse.
James Taylor “American Standard” (Fantasy)
Papas Plattensammlung war der Quell von Phil Siemers’ Inspiration, so erzählte er jüngst im Morgenmagazin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und in einem amerikanischen Studio durfte er einen seiner Songs sogar auf derselben Cola-Kiste anzählen, die schon Al Green benutzte. Die 14 Songs von “Wer wenn nicht jetzt” sind zwar textlich auch mal nahe am heute angesagten, inzwischen reichlich abtörnenden Softiebefindlichkeitsradiopop, aber mit dem Soulgold seiner Stimme hat der 27-jährige Siemers ein Kapital von Edo-Zanki-Güte.
Und der Sound lehnt sich lässig-jazzig an die US-Giganten an – an die Musik von Marvin Gaye (“Zu uns zurück”) und Bill Withers (“Was wäre, wenn”). Die Sache geht fürwahr in die Beine und immer mal wieder in den Kopf. In “Bei uns fängt es an” singt der Hamburger zur eigenen cremigen Gitarre von der Angst vor einer eigenen Meinung, von der weit verbreiteten Passivität – und was er fordert, ist Courage. Am stärksten ist der Opener: “Wir riskier’n, dass der Schein gewinnt / und wir am Ende nur noch Hüllen sind”, heißt es in “Schöne neue Welt”, einem Uptempofunk über die lauten, ignoranten, selbstreferenziellen Zeitgenossen. Das Stück könnte für Siemers werden, was “What’s going on” für Gaye war.
Phil Siemers “Wer wenn nicht jetzt” (Starwatch/Warner)
“Hot” heißt einer der stärksten Songs, den Robert Cray mit seiner Band auf dem Album “That’s What I Heard” ins Hörerohr schmeißt, und dieser twistende Schweißtreiber, der an die Isley Brothers und an James Brown zugleich erinnert, ist fürwahr “heiß”, ein Juwel für jede Party von Format. Cray, in den Achtzigerjahren als Fackelträger alter Blueskaliber wie John Lee Hooker und Albert Collins bekannt geworden, inzwischen selbst im Seniorenalter von 66 Jahren, hat sich im Lauf der Zeit als groovender Bluesmann bewährt, der mindestens ebenso tief im klassischen, süffigen, unwiderstehlichen Rhythm’n’Blues der Sam-Cooke-Ära verwurzelt ist.
Und so nutzt er in Songs wie “Anything You Want”, das herzzerreißende “Promises You Can Keep” und “You’ll Want Me Back” zwar den Formel- und Formulierungskanon des Blues, beseelt die besungenen Standardbeziehungskisten aber mit seiner leidenschaftlichen Soulstimme. Mithilfe von Keith Richards‘ Kumpel Steve Jordan bringt er vibrierende Coverversionen von Don Gardners “My Baby Likes to Boogaloo” und Bobby Blands “You‘re the One”. Fazit: Eine der besten, wenn nicht die beste Scheibe des Mannes aus Columbus, Georgia, der mit “Burying Ground” (im Original von den Sensational Nightingales) sogar den Gospel draufhat.
The Robert Cray Band “That’s What I Heard” (Thirty Tigers)
Drei Männer im Gegenlicht vor der untergehenden Sonne, umgeben von Natur. Das ist noch besser als knusprige Marmeladenbrötchen. Und die Botschaft dazu: “Wie schön kann diese zerbrechliche Welt sein / mit ein bisschen Frieden, Liebe und Harmonie”. Wenn sie diese Weisheit der Hippiebinsen singen, erinnern die Drei von High South auf ihrem zweiten Album “Love, Peace & Harmony” nicht zum letzten Mal an Crosby, Stills and Nash, die solche Sachen sangen, als sich die jungen Blumenkinder gegen das Establishment wandten und den amerikanischen Nationalgardisten Flora in die Gewehrläufe steckten.
Die in Nashville ansässige Band schwelgt komplett im schönen Gestern, verbreitet in der Trumpokratie mit ihrem Folk- und Countryrock Stimmung gegen Gier, Gewalt und Gegeneinander: Ihr heuduftendes “We Can Make It Better” empfiehlt sich als Wahlkampfsong für den demokratischen Gegenkandidaten – ob nun Sanders oder Biden. Im bluesfunkigen “Roll The Stone Away” muss die Bürde des Alltags abgeworfen werden, in schläfrigen “Get on Up” verraten Jamey Garner, Phoenix Mendoza und Kevin Campos dann, dass Liebe immer noch alles ist, was man braucht. Wie gut, dass dem so ist.
High South “Peace, Love & Harmony” (High South Records)
“Nightfall” von Little Big Town ist eigentlich die Platte, nach der sich Fleetwood-Mac-Fans seit Jahrzehnten sehnen, während Fleetwood Mac selbst von Zeit zu Zeit nur noch mit enttäuschend mediokren Langrillen rüberkommen. Das in Alabama ansässige Quartett hat seinen Countrysound inzwischen mit so viel Westcoast angereichert, dass man bei vielen der sorgfältig ausgearbeiteten und bewusst nicht über Gebühr geschliffenen Songs seines neunten Albums gar nicht anders kann als an die Macs der großen Stevie-Nicks-Lindsey-Buckingham-Zeit zu denken.
Hauptsängerin Karen Fairchild (sie singt bei den meisten Songs Leadstimme), Kimberly Schlapman (beide aus Georgia), Phillip Sweet und Jim Westbrook (beide aus Arkansas) bieten dabei jede Menge potenzielle neue Popklassiker. Mit dem sich zur Hymne steigernden “Next to You” oder dem lässigen Titelsong folgt man einem attraktiven Kommerz-trifft-Kreativität-Mix auf eine organischere Weise als 2016 bei dem funkigen Album “Wanderlust”, als Little Big Town unter den Fittichen von Pharell Williams und Justin Timberlake zum nächsten Nashville-Tanzpopwunder aufsteigen zu wollen schienen. Mit dem Trinkerhymnus “Wine, Beer, Whiskey” ist eine schrullige Stampfnummer enthalten, die gut auf Macs “Tusk”-Album gepasst hätte.
Little Big Town “Nightfall” (Capitol)
Jonathan Wilson taucht tief hinab in seine Vergangenheit, als er noch Father John Misty, Roy Harper und Bonnie “Prince” Billy produzierte, nein noch tiefer, als er in North Carolina lebte und ein richtiger Southern Man war. Er begibt sich auf “Dixie Blur” von den Prog-Rock-Exkursionen seiner vergangenen Alben in die Felder des Americana – zu Country, Bluegrass und Folk. Dazu reiste der auch als Tourmusiker für Pink Floyds einstigen Mastermind Roger Waters tätige Tausendsassa nach Nashville, versammelte erstklassige Musiker wie den Gitarristen Kenny Vaughan, den Violinisten Mark O‘Connor oder den Bassmann Dennis Crouch und wählte als Produzenten Patrick Sansone, seit 2004 Bandmitglied bei Wilco, der Überband, die sowohl progressiv als auch wurzelig kann.
Das Heimweh nach “Carolina” ist am intensivsten, wenn er mit brüchiger, wispernder Stimme zu Gitarre, Lapsteel und Piano die Abenteuer seines Vaters in dessen “‘69 Corvette” beschwört, die Abende mit Bier und billigem Tequila, und wie Daddy einen Tennisarm vom Geigenspielen bekam. Wie man, wenn alle fort sind, über Polaroids sitzen und darüber trauert, dass man ihnen nicht noch mal “ich liebe dich” sagen kann, das reibt uns Wilson richtig unter die Haut. Ein Juwel freilich neben Juwelen: “Just for Love”, “Korean Tea”, “Platform”, “In Heaven Making Love” und das rock’n’rollige “Enemies” gehören zu unseren Lieblingsliedern im Vorfrühling des Jahres 2020.