Niedersachsen erforscht sein koloniales Erbe
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Mit einer Colon-Figur – dem Bild des weißen Eroberers aus der Sicht eines afrikanischen Künstlers aus Kamerun oder dem Kongo: Björn Thümler (von links), Katja Lembke und Claudia Andratschke im Landesmuseum.
© Quelle: Wilde
Hannover. Wer auf die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zurückblickt, sieht zwar düstere Kapitel, aber auch manchen Lichtblick. „Es ist von Vorteil, dass der deutsche Kolonialismus schon mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg beendet war“, sagt Björn Thümler. Denn dadurch sei die Aufarbeitung des kolonialen Erbes, der Umgang mit Artefakten und Hinterlassenschaften aus den ehemaligen Kolonien, hier leichter möglich, fügt Niedersachsens christdemokratischer Minister für Wissenschaft und Kultur bei einem Pressegespräch in Hannover hinzu. „Deutschland kann in dieser Forschung ein Beispiel für andere sein.“
Das gilt nicht zuletzt für Niedersachsen. Denn hier wurde bereits 2015, zeitgleich mit der Gründung des Magdeburger Zentrums für Kulturgutverluste auf Bundesebene, ein Netzwerk zur Provenienzforschung, also zur Erforschung der Herkunft von Sammlungsbeständen in Museen und Kulturinstituten, gegründet. „Wir sind mit 20 Mitgliedern gestartet“, sagt Claudia Andratschke, Leiterin des Netzwerks und seit 2008 Provenienzforscherin am Landesmuseum Hannover. „Heute haben wir bereits mehr als 50 institutionelle Mitglieder oder Partner.“ In Magdeburg liegt der Fokus bislang auf NS-Raubgut und Kulturgutverlusten aus der Zeit der SBZ und der DDR. Eine Ausweitung auf die Epoche des deutschen Kolonialismus, also die Jahre zwischen 1884 und 1919, steht noch aus.
Forschungsverbund Paese durchleuchtet Sammlungen in Niedersachsen
In Niedersachsen ist das koloniale Erbe jetzt bereits Forschungsgegenstand – durch den neu gegründeten Forschungsverbund Provenienzforschung in außereuropäischen Sammlungen und der Ethnologie (Paese). Von der Volkswagenstiftung mit 1,2 Millionen Euro gefördert, erforschen in diesem Verbund Museen und Institute in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Hildesheim und Oldenburg ihre an kolonialen Artefakten reichen Sammlungen. „Allein im Landesmuseum Hannover sind diese Bestände in der Zeit zwischen der Berliner Kongo-Konferenz 1884 und dem Versailler Vertrag 1919 von 1500 auf 6500 Artefakte gewachsen“, sagt Andratschke.
Eine Ausweitung der Forschung durch das Zentrum für Kulturgutverluste würde Minister Thümler begrüßen – und spricht sich ausdrücklich auch für die Rückgabe von zu Unrecht mitgeführten Artefakten aus den kolonisierten Ländern aus. „Da geht es darum, jenen die Objekte ihrer Identität zurückzugeben, die einst enteignet worden sind.“
Kulturkonferenzen abseits der Großstädte
Um Identität geht es auch bei einem anderen Vorhaben, das der Minister vorstellt. Vom Herbst 2018 an soll es quer durch Niedersachsen eine Reihe von Kulturkonferenzen geben, die bewusst jenseits der Metropolen veranstaltet werden. „Die Potenziale der Kultur im ländlichen Raum sind enorm“, sagt Thümler. „Kultureinrichtungen leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung und Identitätsbildung.“
Bei der ersten dieser Tagungen soll es am 22. Oktober in Lingen um das Thema „Standortfaktor Kultur – Kultur in prosperierenden Regionen“ gehen. Als weitere Stationen sind Peine/Salzgitter (Thema: „Kultur und Identität“), Buxtehude („Zugang zur Kultur“), Osterode im Harz („Demografischer Wandel“) und Norden („Kulturtourismus“) vorgesehen
Von Daniel Alexander Schacht
HAZ