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80. Geburtstag

Niki de Saint Phalle – von (fast) allen geliebt

Kürzlich ging im österreichischen Klosterneuburg eine kleine Niki-de-Saint-Phalle-Retrospektive zu Ende – mit Werken ihrer Schenkung an Hannover. Und in der Kunsthalle Wien eröffnet Anfang November „Power up – Female Pop Art“ mit weiblichen Vertretern der Pop-Art, darunter Niki de Saint Phalle. Ansonsten aber ist es eher still um die heute vor 80 Jahren in einem Pariser Vorort geborene und 2002 im kalifornischen San Diego gestorbene Kunstrebellin und Feministin geworden – selbst in der „Niki-Stadt“ Hannover. Kann es sein, dass sich ein gewisser Niki-Überdruss eingeschlichen hat? Immerhin kann man ihren Mutterfetischen im Hippiekostüm (Nanas) und schrillbunten Brunnenfiguren kaum ausweichen. Seit mehr als dreißig Jahren besetzen sie als idealtypische Straßenkunst (Kunst, die jeder versteht) Stadträume – in Stockholm, Paris, Hannover.

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Seitens der Stadt Hannover heißt es auf Anfrage, man könne sich nicht um 80. Geburtstage von Ehrenbürgern kümmern. Im Sprengel Museum müsse man die Künstlerin nicht eigens feiern, erklärt Direktor Ulrich Krempel. Niki de Saint Phalle sei ohnedies immer präsent. Allerdings kann der Museumschef darauf verweisen, dass im erweiterten Sprengel Museum „deutlich mehr Niki zu sehen sein wird“. Vor zehn Jahren schenkte die Künstlerin dem Museum 400 Werke (der Schätzwert liegt im ­zweistelligen Millionenbereich) – und machte die Leinestadt zum Niki-de-Saint-Phalle-Weltzentrum. Nirgendwo sonst gibt es so viele Arbeiten von ihr.

Allerdings muss man dazusagen, dass die Künstlerin zuvor bei einer Reihe europäischer und amerikanischer Museen abgeblitzt war. Durch die hemmungslose Kommerzialisierung ihrer Kunst – sie ließ Nanas wie am Fließband produzieren und kreierte sogar Möbel und Parfümflakons, um ihren zwölf Millionen Dollar teuren Tarot-Garten in der Toskana zu finanzieren – hatte sie ihrem Namen in der Kunstwelt geschadet.

In der Rezeption ihres Werks lässt sich eine Merkwürdigkeit beobachten: Museumsleute, darunter Ulrich Krempel, preisen das früheste Werk, die junge Kunst-Amazone. „Als Tabuverletzerin muss man sie lieben“, betont Krempel, der schon als Schüler für das schießende Exmodel im sexy Overall schwärmte. „Gräfin Niki malt mit dem Karabiner“ schrieben damals Zeitungen. Auch die riesige Urnana „Hon“, die „begehrteste Hure der Welt“, die 1966 in Stockholm 100 000 Menschen durch die Vagina ­betraten, begeistert ihn. In der Schenkung an sein Haus dominiert bei Weitem das Frühwerk – eingeschlossen Schießoverall und Karabiner. Über die mittlere Schaffensphase und vor allem das Alterswerk mit esoterischem Getier und goldgeflügelten Engelsfiguren aber schweigen Museumsleute betreten.

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Gerade die ungehemmt-naiven Schöpfungen der mittleren und späten Phase – Letzterer entstammt die Pop-Grotte in den Herrenhäuser Gärten in Hannover – aber sprechen Kunstlaien an; im Gegensatz zum zerfaserten, aggressiven Frühwerk aus zotteligen Bräuten, Voodoo­altären und symbolischen Patriarchenexekutionen, das Experten entzückt. Im Eröffnungsjahr des Touristenziels Herrenhäuser Grotte sei die Besucherzahl um 70 Prozent angestiegen, sagt Gartenchef Ronald Clark.

Das farbige Spiegelkabinett mit tanzenden Hochglanz-Nanas, Kussmündern und Yin-Yang-Symbolik hat nicht nur ganz und gar nichts Einschüchterndes, sondern weckt die Kreativität der Betrachter. Neben dem Nana-Basteln frönen Hannovers Kindergarten- und Schulkinder inzwischen dem Grottenbau aus Pappe und Spiegelfolie. Aber auch Erwachsene werden, wenn sie die bunten Figuren sehen, von der Lust gepackt, selber welche zu kneten. Nana-Kurse gehören heute zum Programm von Kreativschulen. Da locken Angebote wie „Nana – Lebensfreude pur“ und „Nana-Skulpturenworkshop & Wellness“. Oder es heißt verheißungsvoll-schamanistisch: „Entdecke die Nana in dir.“

Angesichts einer solch märchenhaften Popularität (Niki de Saint Phalle wird dem „populär“ in Pop-Künstler wirklich gerecht) ist es kein Wunder, dass aus der Rebellin von einst das Liebkind heutiger Citymarketing-Strategen geworden ist. Beispiel Nanas: Als sie 1974 aufgestellt wurden, protestierten 18 000 Nana-Hasser gegen die angebliche „Stadtverschandelung“. Heute sind die drei XXL-Models Aushängeschilder Hannovers.

Es gibt also zwei Nikis: eine populäre und eine museale – eine schizophrene Lage. Genau hier scheint das Geheimnis verborgen zu sein, weshalb die Künstlerin gegen Ende ihres Lebens ausgerechnet die Leinestadt als ihre Herzens­metropole erkor: In Hannover ist tatsächlich die ganze Niki vereint: vom touristischen Grottenmonument über die drei Nanas am Leineufer, die von gewonnenen Kulturkämpfen zeugen, bis zur musealen Anerkennung. Anstandshalber hat das Sprengel Museum sogar ein paar späte Stücke aufgenommen.

Was diese Künstlerin sonst noch in Hannover an Spuren hinterlassen hat, ist aus einem Stoff wie Sternenstaub. Da bekennt ein Exoberbürgermeister, der Sozialdemokrat Herbert Schmalstieg, eine „Liebesbeziehung“ mit der charmanten Adeligen gehabt zu haben – „in Anführungszeichen selbstverständlich“. Und Gartenchef Ronald Clark erinnert sich an die Grotten-Queen so: „Sie war wie eine Sonne – alle lagen ihr zu Füßen.“ Als im Expo-Jahr Tausende Menschen vor dem Sprengel Museum um Autogramme Schlange standen, war die Kunstgräfin, wiewohl Huldigungen gewohnt, verblüfft. In Hannover komme sie sich „wie ein Rockstar“ vor, soll sie gesagt haben.

Johanna di Blasi

HAZ

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