Partnerland: Woher kommt die Faszination für Schweden?
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Die Häuser, die in Astrid Lindgrens „Wir Kinder aus Bullerbü“ den Nord-, Mittel- und Südhof darstellen, stehen in Wirklichkeit im Dorf Sevedstorp nahe Lindgrens Geburtsstadt Vimmerby.
© Quelle: Heiko Lossie/dpa
Hannover. Das Dorf besteht nur aus drei roten Holzhäusern. Im Garten toben fröhliche blonde Kinder, aus dem Wald ist das Röhren eines Elchs zu hören. Im klaren Wasser eines Sees tummeln sich die Fische. Das ist Bullerbü. Und das ist das Klischee des idyllischen Schwedens. Astrid Lindgren hat mit ihren wunderbaren Kinderbüchern viel beigetragen zu dem verklärten Bild, das vor allem Deutsche von dem Königreich im Norden haben. Wie kann ein Land schlecht sein, in dem nichts Schlimmeres passiert, als dass sich der Vater von Michel aus Lönneberga den nackten Zeh in der Mausefalle einklemmt?
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Die bekannteste Figur aus den Geschichten Astrid Lindgrens: Pippi Langstrumpf.
© Quelle: Handout
Viele Deutsche haben ein romantisch-idealisiertes Bild von Schweden, dem Partnerland der diesjährigen Hannover Messe. Das hat der Direktor des Goethe-Instituts in Stockholm, Berthold Franke, bereits 2007 in einem Essay in der schwedischen Tageszeitung „Svenska Dagbladet“ thematisiert – und dabei auch gleich den Begriff Bullerbü-Syndrom verbreitet. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass die Deutschen ihre Wünsche für ein besseres Deutschland auf Schweden projizieren, welches dabei vor allem für unberührte Natur und eine intakte Gesellschaft steht.
Das Glück der Skandinavier
Zu diesem Bild sind die Deutschen nicht nur durch Lindgren gekommen. Schweden hat gerade mal gut zehn Millionen Einwohner – auf einer Fläche, die um ein Viertel größer ist als die Fläche Deutschlands. Während in Schweden durchschnittlich 23 Menschen pro Quadratkilometer leben, sind es hierzulande zehnmal so viele. Viel Natur und wenig Menschen – das schafft für die meisten schon mal ein idyllischeres Bild als, sagen wir, der Ruhrpott. Noch dazu sind die Menschen trotz langer Winter glücklich. Im „World Happiness Report“ des Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen lag Schweden im vergangenen Jahr auf Platz Neun. Sieger wurde, man ahnt es, Finnland, gefolgt von Norwegen und Dänemark.
Wieso sind die Skandinavier so glücklich? Das hat auch materielle Gründe: Der Lebensstandard ist hoch. Nur ein Prozent der Schweden, also rund 100.000 Einwohner, sind laut dem statistischen Zentralamt Schwedens, dem Statistiska centralbyrån (SCB), arm. Der EU-Durchschnitt liegt bei sieben Prozent. Auch für ihre Fortschrittlichkeit sind die Skandinavier bekannt, etwa bei der bargeldlosen Bezahlung. Nicht nur nahezu jedes Restaurant, sondern auch Kioske, Imbissstände und sogar private Verkäufer auf Flohmärkten halten Kartenlesegeräte für die Kunden bereit. Und auch beim Feminismus sind die Schweden schon weiter als wir: Als dort im vergangenen Jahr ein Gesetz in Kraft getreten ist, nach dem Sex ohne ausdrückliches Einverständnis als Vergewaltigung einzustufen ist, entstand in Deutschland eine hitzige Diskussion. Die Schweden konnten die Aufregung nicht verstehen, amüsierten sich darüber eher.
Doch hinter dem Glück steckt mehr als Feminismus und ein gutes Bruttoinlandsprodukt. Es ist die Lebenseinstellung der Menschen: immer freundlich, nie überschwänglich. Für ihre Ausgeglichenheit haben die Schweden ein Wort: lagom. Es lässt sich nicht genau übersetzen und bedeutet so viel wie nicht zu viel, nicht zu wenig, genau richtig. Diese Einstellung wurde nach der dänischen Gemütlichkeit (hygge) zum nächsten großen Trend erkoren, allein auf Deutsch erschien schon ein gutes Dutzend Bücher zum Thema. Lagom beinhaltet viele Aspekte des schwedischen Selbstverständnisses: Bescheidenheit, ein respektvolles Miteinander, Genuss, aber in Maßen.
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Verkörperte die nordische Zurückhaltung: Schauspielerin Greta Garbo.
© Quelle: Handout
Schon Greta Garbo, schwedische Hollywood-Ikone der Zwanziger- und Dreißigerjahre, verkörperte die typische Zurückhaltung. Sie schirmte ihr Privatleben vor der Presse ab und wurde auch dadurch zum Mythos, zur Unerreichbaren. Doch neben dem Klischee der nordischen Coolness gibt es auch eine andere, eine lustige Seite der Schweden. Man denke nur an die Vasa. Dieses riesige und 100.000 Taler teure Kriegsschiff war so instabil, dass es bei seiner Jungfernfahrt bereits nach gut einem Kilometer – bei normalem Seegang – sank. Diesem Sinnbild des eigenen Scheiterns haben die selbstironischen Schweden ein ganzes Museum gewidmet. Es befindet sich ganz in der Nähe des ABBA-Museums.
Erfolg mit dem Banalen
Apropos ABBA. Die beliebte Popgruppe mit den albernen Kostümen zeigt, dass die Schweden sich noch so cool geben können – die größten Erfolge feiern sie mit dem Banalen. Für welches Unternehmen ist das Land bekannt? IKEA, ein Einrichtungskonzern mit Niedrigpreisen. Für welche kulinarische Spezialität ist das Land bekannt? Köttbullar, ein einfaches Gericht, das es so oder so ähnlich in vielen anderen Küchen dieser Welt gibt. Für welche Literatur – neben Lindgrens Kinderbüchern – ist das Land bekannt? Schwedenkrimis.
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Die kulinarische Spezialität der Schweden: Köttbullar.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Greta Thunberg und die selbstbewusste Jugend
Zur Zeit ist es die 16-jährige Greta Thunberg, die Schweden sehr prominent vertritt. Schüler auf der ganzen Welt bringt sie derzeit dazu, freitags die Schule zu schwänzen und für den Umweltschutz zu demonstrieren. Ein solches Selbstbewusstsein bei jungen Menschen, für die eigenen Überzeugungen einzutreten, wächst im feministisch-fortschrittlichen Schweden heutzutage eben auch heran.
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Mobilisiert seit Monaten Jugendliche für Klimaschutz: Greta Thunberg.
© Quelle: Hanna Franzén/TT
Von so viel Engagement ist nicht jeder begeistert. Und auch das idyllische Schweden ist vor dem europäischen Rechtsruck nicht gefeit. Vier Monate hat die Regierungsbildung in Schweden nach der Wahl im September gedauert. Das mag den Deutschen nach dem vergangenen Jahr gar nicht mal so lang vorkommen, nichtsdestotrotz kann in Schweden von Einigkeit keine Rede sein. Nach mehreren gescheiterten Anläufen startet Ministerpräsident und Sozialdemokrat Stefan Löfven nun mit einer Minderheitsregierung mit den Grünen in seine zweite Amtszeit. Er konnte dank vieler Zugeständnisse Zentrumspartei und Liberale als Unterstützer gewinnen. Die Folgen: Der Kündigungsschutz soll gelockert werden, und Vermieter müssen keine Mietgrenzen mehr bei Neubauten einhalten. Im Gegenzug will die Regierung wieder mehr für den Umweltschutz tun. Das Einzige, das Rot-Grün und die konservativen Parteien derzeit eint, ist die Ablehnung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Die schwedische Version der AfD war mit 17,5 Prozent als drittstärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen.
Die Politik trägt also wenig zum Idyll-Image des Landes bei.
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Von Johanna Stein
HAZ