Pop 2020 - Alben, die Corona trotzen

Immer noch eine Klasse für sich: Pearl Jam mit Sänger Eddie Vedder (Mitte), die auf "Gigaton", ihrem ersten Album seit sieben Jahren, auch mal offen Tanzbares wagen und zu den Künstlern gehören, die in den Tagen der Pandemie keinen Veröffentlichungsrückzieher machen

Immer noch eine Klasse für sich: Pearl Jam mit Sänger Eddie Vedder (Mitte), die auf "Gigaton", ihrem ersten Album seit sieben Jahren, auch mal offen Tanzbares wagen und zu den Künstlern gehören, die in den Tagen der Pandemie keinen Veröffentlichungsrückzieher machen

The Strokes - Die Gitarren werden nicht mehr vermisst

Die Strokes waren damals, als sie ins Bewusstsein der Massen traten „die“ Rock’n’Roll-Band überhaupt gewesen. Sänger Julian Casablancas, Gitarrist Albert Hammond Jr. und ihre Mitstreiter galten neben dem Black Rebel Motorcycle Club zum Millenniumsbeginn als die Heilsbringer, die dem totgeglaubten Rock das Garagentor neu öffneten. Das ist mehr als zwei Weilen her, längst fungieren die einst rüpeligen fünf New Yorker als Sachwalter des Achtzigerjahre-(Synth-)Pops.„The New Abnormal“ (RCA/Sony) heißt ihr sechstes Album, auf dem dieser Weg fortgesetzt wird - trotz oder gerade wegen Rick Rubins Wirken am Regiepult.

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Der Song „Bad Decisions“ führt als Autor Billy Idol mit an und deutlich ist dieses rock’n’rolligste Stück des sechsten Strokes-Werks mit seinen twangenden Gitarren mit Idols „Dancing With Myself“ verschwägert. Hitappeal haben aber indes eher das fröhliche „Brooklyn Bridge to Chorus“ (derart eingängige Refrains sindselten), das schlichte „Selfless" oder die epische Fünfminuten-Synthballade „At the Door“ (wunderschönes Sci-fi-„Watership Down“-Zeichentrickvideo!). „Why are Sundays So Depressing?“ fragt kurz vor Albumende der vielleicht lässigste Song und braucht das derzeitige Sonntagsgefühl von Stillstand und Langeweile nicht zu wecken. Wir empfinden vielmehr, was Mikrofon-Smith Morrissey 1987 auf seinem Solodebüt sang: „Everyday is like Sunday.“ Anormal ist auf diesem Album übrigens gar nichts, aber alles ist luftig und beschwingt. Um um die dominanten Gitarren der frühen Bandtage weinen nur noch wenige.

The Strokes „The New Abnormal“ (RCA/Cult/Sony)

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Pearl Jam - Neue Wege, aber alte Energie und Rauheit

Auch bei Pearl Jam klaffen zwischen der letzten Platte und der Veröffentlichung von „Gigaton“ sieben Jahre. Das ist, um mal kurz weit, weit in Zeiten zurückzuschweifen, in denen Musiker noch fleißiger waren, der Zeitraum zwischen „Please Please Me“ (dem ersten Album der Beatles bei EMI) und dem 13. und letzten, „Let It Be“. Die kreativste Band aus dem lange versunkenen Westküstenkönigreich des Grunge legt wie meist mit kraftvollem Gitarrenrock los, mit von Eddie Vedder zornig gesungenen Liedern wie „Who ever said“ und „Superblood Wolfmoon“, die beweisen, dass Raubauzigkeit und Eingängigkeit sich auch 56 Jahre nach dem Kinks-Durchbruchshit „You Really Got Me“ nicht widersprechen müssen. Die Stimme bellt, die Gitarre herrscht und trotzdem ist „Gigaton“ von A bis Z ein Triumph der Melodie.

Wobei die letzte der großen Seatlebands auch beim Beschreiten neuer Wege niemanden verprellt. „Dance of the Clairvoyants“ ist ungewohnt tanzbar, ein kühler Groove leitet den Song, der wie ein lustvolles Experimentieren erscheint, nicht wie ein Schielen nach der Nummer Eins der Single-Charts. Mit viel Gefühl interpretiert Vedder sowohl Balladen wie „Alright“, „Retrograde“ und „Seven O‘ Clock“ als auch Folkiges wie „Buckle Up“ und „Comes Then Goes“. Er thematisiert den Klimawandel, greift den Unpräsidenten Trump frontal an und die von allen Bandmitgliedern demokratisch beigetragenen Kompositionen regiert generell ein Unwohlbefinden, ein Leiden an den Unbilden der Gegenwart mit ihren Nationalismen, Populisten, ihrer immer neuen Verwerfung von Wahrheiten. „Gigaton“, das mit dem ermatteten Grabgesang „Rivers Cross“ schließt, ist ein Dokument seiner Zeit ebenso wie eines der gelungensten Pearl-Jam-Alben überhaupt. Chapeau!

Pearl Jam „Gigaton“ (Universal/Republic)

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Laura Marling - Das einstige Wunderkind liefert sein Meisterwerk

Und als nächstes dann ein echtes Meisterwerk, eins von denen, die noch in 30 Jahren Gehör finden werden. Laura Marling, die vor zwölf Jahren als 18-jähriges Mädchen alle Musikfans, die statt polierte Chartsware zu betanzen, Lust auf lyrische Tiefe und musikalische Wärme hatten, mit ihrem Debüt ebenso beeindruckte wie im Vorjahr die derzeit ein wenig zu allgegenwärtige Billie Eilish, kommt als 30-Jährige mit einem ganz großen Wurf. Auf dem für Sommer geplanten und jetzt überraschend erschienenen „Song For Our Daughter“ (alle Welt verschiebt ja gerade Platten auf später, weil sich neue Musik in der Corona-Auszeit nicht so gut promoten und schon gar nicht betouren lässt), singt die englische Sängerin desillusioniert-sehnsuchtsvolle Wechselzeilen wie „Liebe ist eine Krankheit, die die Zeit heilt / Ich hoffe darauf, dass du meine Meinung änderst“. Der Song „Only The Strong“ zu Akustikgitarrenfingerpicking (wie aus einem Simon-&-Garfunkel-Klassiker) und salbungsvollen, sachten Frauenchören erzählt vom Wunsch nach Rückkehr und Zuversicht. Ein dunkles Piano regiert gemeinsam mit trauernden Streichern das wunderschöne „Blow by Blow“, das einen schmerzvollen Mutter-Tochter-Disput über eine gewaltträchtige Beziehung enthält.

Beinahe fröhlich kommt dann das sommerlich-rhythmische „Strange Girl“ des Wegs, ein Lied im Gewand eines Hits über die Liebe einer Mutter zu der Tochter, deren Zorn und Einsamkeit sie zu umarmen versucht. Und der grandiose Titelsong ist voller zärtlicher Wünsche für die Tochter, deren Unschuld nicht von fremden Egoismen zerstört werden möge, eine stärkende Rüstung fürs Leben aus Worten. Vier Beispiele aus zehn Liedjuwelen – dass Marling bislang überhaupt keine Tochter hat, stört die Glaubwürdigkeit all des hier Versammelten kein bisschen. Die Vorstellungskraft vermag eine höhere Wahrheit zu zaubern. Allen Töchtern der Welt solche Mütter!

Laura Marling „Song For Our Daughter“ (Chrysalis/Partisan)

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The Dream Syndicate - Aus Lust am Experiment

Fünf Songs, eine Stunde. Das war vor gefühlten Äonen das Coolste überhaupt, als Progrockmonster wie Yes ihre Tales aus „Topographic Oceans“ fischten und Pink Floyd ihre Syd-Barrett-Gedächtniskathedrale „Shine on You Crazy Diamond“ klingen ließen wie eine musikalische Reise quer durch die ganze Galaxis. Die kalifornische Band The Dream Syndicate war in den Achtzigerjahren die führende Truppe des Paisley Underground, die in einer Mischung aus psychedelischem Rock voller Feedbacks, klassischem Garagenrock à la Velvet Underground und Swamprock à la CCR für eine hingebungsvolle Fangemeinde versunkene Rockwelten ans Licht zurückbeförderte. Seit 2012 ist die Band um Sänger und Gitarrist Steve Wynn und Schlagzeuger Dennis Duck wieder aktiv, und „The Universe Inside“ ist alles andere als nur ein Echo früherer Klasse.

Vielmehr gilt: Nie zuvor wagten sich der auch solo erfolgreiche Wynn mit seinen Mannen so weit aufs Feld der Abenteuer hinaus. Nach Herzenslust und ohne jede Rücksicht auf Kommerzialität erinnert das um Gastmusiker wie den lodernden Saxofonisten Marcus Tenney erweiterte Quartett an das große Versprechen des Rock’n’Roll, das in den vergangenen Jahren unter den riesigen Kompromissen von Truppen à la Imagine Dragons kollabiert ist: Wagemut, keine Grenzen. Der monströse, lärmige Auftakt mit „The Regulator“ – 20 Minuten, die dem klassischen Songaufbau den Mittelfinger entgegenstrecken (unbedingt auch das Video dazu anschauen) zeigt, was Rock’n’Roll, 65 Jahre nach Elvis Presleys „That’s All Right“ noch im Köcher hat. Danach wird es - verhältnismäßig - eingängiger, aber nie wirft man sich in Publikumserwartungen. Man muss dieses Album auftauen lassen, aber am Ende erwärmt, ja ergreift es seinen Hörer, und dann wünscht er sich nichts sehnlicher, als diese intensiven fünf Musikwunder auch mal im Konzert zu erleben.

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The Dream Syndicate „The Universe Inside“ (Anti/Epitaph)

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Pokey LaFarge - Auch ein Verlierer hat mal Glück

Auch Penner ereilt mal das Glück, singt Pokey LaFarge (bürgerlich Drew Heissler) aus Illinois mit wissendem Unterton. Das Piano pinselt zu diesem Refrain seine Melancholie, die Streicher unterstreichen ihn mit ihrem Sirup. Wie ein Jazzpophit aus den großen Zeiten von Frankieboy Sinatra klingt die Musik des Songs “Lucky Sometimes”, zu der der schmale Sänger mit der mächtigen Tolle gesteht, kein Held zu sein, keinen Plan zu haben, weder in der Schule noch sonstwo je brilliert zu haben und dennoch das große Liebeslos gezogen zu haben. Auf seinem neuen Album “Rock Bottom Symphony” erklingt Pokeys Mix as usual - Westernswing, Countryblues, Rockabilly als wär das alles aus den großen Tagen von Marty Robbins, Ricky Nelson und Elvis Aaron Presley. Und mit dem Tränentropfer “Carry On” und dem soft groovenden “Ain’t Comin’ Home” finden sich Anklänge an den Ursoul eines Sam Cooke.

Meist sind die Liebeslieder nicht gerade Dokumente von Glück und Erfüllung - meist gehen die simplen, süffigen Melodien, die perlenden Gitarren und schmachtenden Backgroundchöre mit gebrochenen Herzen, gefallenen Engeln und jener Sorte Mädchen einher, die mit den Jungs nur spielen wollen. Aber immer wieder - von “Fuck Me Up” bis “Just The Same” rennt der Mann zu wunderschönen Songs in sein amouröses Verderben, er kann nicht anders, wie ein Charlie Chaplin des Herzeleids - selbst wenn in “Storm-A-Comin'” ein saftiger Sturm ihn von der Versuchung abhalten will. Es ist schon das neunte Album des 36-jährigen Songwriters. Zeit, dass sämtliche alten und jungen Teddyboys und alle Cowboys des Liebesrodeos diese gefühlsschlitternde Stimme des Rootsrock entdecken.

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Pokey LaFarge "Rock Bottom Symphony” (New West Records)

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