Pop 2020: Neues von Bruce Hornsby, Beatrice Egli, Paul McCartney und anderen
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Manche mögen's bunt: Beatrice Egli hat ihr erstes Best-of-Album veröffentlicht - darauf sind auch sechs neue Songs enthalten, die vorwiegend die Achtzigerjahre feiern.
© Quelle: Universal Music
James Dean Bradfield feiert den ermordeten Victor Jara
Die Manic Street Preachers klangen Ende der Neunzigerjahre so pompös, als wollten sie das Erbe von Queen antreten. Immer aber waren die Mannen um Sänger James Dean Bradfield die Sucher nach einer besseren, gerechteren Welt und so war die größte ihrer hymnischen Soundwälle auch eine Warnung vor dem schleichenden Heraufziehen eines neuen Faschismus: “If you tolerate this, then your children will be next”.
Es ist also nicht verwunderlich, dass Bradfield sein zweites Soloalbum dem linken chilenischen Dichter und Songwriter Victor Jara widmet. Jara fiel 1973 den Putschisten und Mördern des Generals/Diktators Pinochet zum Opfer, seine Lieder wurden später von Joan Baez und Bruce Springsteen gesungen, ihm widmeten The Clash ihr “Washington Bullets” und U2 ihr “One Tree Hill”.
Die Woody-Guthrie-Alben von Wilco und Billy Bragg inspirierten Bradfield, gemeinsam mit dem Dramatiker Patrick Jones, die Geschichte von Jaras Leben und Sterben neu zu erzählen, in bezwingend schönen Balladen, kraftvollem Gitarrenrock und zuweilen auch mit einem üppigen Schlag Preachers-Pomp. Von den wellenartig hereinbrechenden Gitarren von “Recuerda” bis zum Marsch von “Thirty Thousand Milk Bottles”, vom bewegenden “Without Knowing The End” bis zur Coverversion von Jaras “La Partida” geht es um das, was verloren gegangen zu sein scheint in der Welt und wiedergewonnen werden muss – um die Wahrheit.
Musik kann uns befreien
“Even in Exile” ist ein schwelgerisches akustisches Denkmal Jaras, das jetzt überall in der Welt in den Plattenläden steht und ob der Güte seiner Melodien, seiner Textzeilen und der missionarischen Stimme seines Interpreten wohl auch Gehör finden wird. Ein Gitarrenalbum, strahlend und treibend wie es “Diesel & Dust” von Midnight Oil oder “Street Fighting Years” (auch Jara gewidmet) der Simple Minds waren, das in eine Zeit passt, in der immer noch viel zu viele Pinochets in vielen Ländern vielen Jaras die Stimme nehmen und in der in anderen Ländern in und hinter den Populisten neue Pinochets auf ihre Chance warten. “Even in Exile” ist der alte Wachruf Bradfields in neuer Form: Wenn ihr das toleriert, werden eure Kinder die nächsten sein. Musik kann uns befreien, wenn wir sie in Harmonie singen, ist die Botschaft des letzten Songs “Santiago Sunrise”.
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James Dean Bradfield – “Even in Exile” (Delware Limited)
Die Allman-Betts-Band liefert Americana in vielen Facetten
Die sieben Weißen auf der Veranda könnten glorreiche Revolvermänner, Rächer der Enterbten, aber auch ruchlose Banditen vor dem nächsten Zugüberfall sein. Ein Teil sieht nach Southern Gents zu Pferde aus, andere eher wie die Reiter des schnellen Chrommustangs. Was sie machen ist Musik, und das leidenschaftlich. Und in wem der Name Allmann Betts Band irgendetwas klingeln lässt – Devon Allman, einer der beiden Sänger/Gitarristen des Septetts ist der Sohn des legendären Allman-Brothers-Sängers Gregg Allmann.
Dass das mit den Äpfeln und dem Stamm stimmt, erfährt man spätestens mit den jubilierenden Gitarren des Zwölfminutenjams “Savannah’s Dream”, das an “Jessica” erinnert, den Instrumentalklassiker der Allman-Brüders, die Ende der Sechzigerjahre den Southern Rock quasi lostraten. Das zweite Album von Devon Allman, Duane Betts und ihren fünf Mitstreitern heißt “Bless Your Heart” reicht von den grollenden Neil-Young-artigen Sounds von “Pale Horse Rider” bis zur geheimnisvoll glitzernden Tristesse von “Ashes of My Lovers”, vom trauten, folkigen “Rivers Run” bis zum deftigen Roadhouse-Rock’n’Roll von “King Crawler”.
Es werden Geschichten von der schwierigen Liebe (“Should We Ever Part”) und vom brandgefährlichen Leben erzählt (“Airboats & Cocaine”). Ein Festmahl aller Americana-Sounds ist hier angerichtet: Blues, Rock, Rock’n’Roll, Soul und Jazz – all das ist verquirlt im Süden dieser Musik.
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The Allmann Betts Band – “Bless Your Heart” (BMG) – erscheint am 28. August
Der neue musikalische Weg des Bruce Hornsby
Die Mehrheit der Zeitgenossen verortet Bruce Hornsby wahrscheinlich immer noch als One-Hit-Wonder. Seine zeitlose, lässige Pianoballade “The Way It Is” wurde gesampelt und gecovert, wird täglich von Oldiesendern bemüht und gilt zu Recht als Klassiker der Popmusik. Doch Bruce Randall Hornsby aus Williamsburg, Virginia, hat seither mit den Bands The Range und The Noisemakers oder auch solo eine Reihe behaglicher Songwriteralben veröffentlicht.
Der “way” indes, auf dem der Sänger und Pianist seit seinem Vorjahresalbum “Absolute Zero” unterwegs ist, ist weit spannender. Klar hört man auf dem jetzt, kaum ein Jahr später, nachgeschobenen “Non-secure Connection” auch noch gepflegten “adult pop”. Die Balladen “Anything Can Happen” (mit dem vor vier Jahren verstorbenen Leon Russell, basierend auf einem Demo, das ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat) oder “The Rat King” mit dem Multiinstrumentalisten Rob Moose) beweisen, dass Hornsby das immer noch draufhat.
Zwischen Kunstlied und Musicalnummer
Aber wenn er – nur ein Beispiel von mehreren – im Song “Porn Hour” die gefährlichen und zerstörerischen “Wunder per Mausklick” beschwört und dazu eisige Klavierspitzen und schräge Geigentöne hüpfen lässt, sind wir irgendwo zwischen Kunstlied und Musicalnummer. Immer wieder durchbricht das Schräge und Dissonante die muckeligen Harmonien, die – im Falle des Eröffnungssongs “Cleopatra Drones” – rüberkommen wie ein vergessenes Juwel aus der Werkstatt von Brian Wilson. Das sisyphusartige Leben des Kreativen beschreibt er zusammen mit Shins-Gitarrist und -Frontmann James Mercer in der Single “My Resolve”: “In meiner Entschlossenheit rolle ich den Fels, falle vielleicht beim Versuch”, singen die beiden. Aber alles sieht danach aus, als könnte der Fels dieses wunderschönen, spannenden Spätwerks auf dem Gipfel der Pop-Connaisseure zum Ruhen kommen. Wobei einen die Gitarre in “My Resolve” irgendwie, nun ja, an “The Way It Is” erinnert.
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Bruce Hornsby – “Non-secure Connection” (Zappo/Membran)
“Flaming Pie remastered” - Als McCartney völlig lässig war
“Da kam ein Mann auf einem brennenden Kuchen auf uns herab: Ihr seid die Beatles mit einem ‘a’.” So erklärte John Lennon in der Erinnerung von Paul McCartney scherzhaft in einem Interview die Namensgebung der Beatles als Vision. Das Album, das Macca auf seine Beschäftigung mit der Beatles “Anthology”-Reihe hin anging, nannte er denn auch nicht von ungefähr “Flaming Pie”. Neben den frühen Soloalben und dem dritten Album unter dem Pseudonym The Fireman ist dieses Werk von 1997, das jetzt remastered und in diversen, mit unveröffentlichten Studioschätzen, B-Seiten und dem vertonten Ginsberg-Poem “The Ballad of the Skeletons” bestückten Extravarianten vorgelegt wird, das vielleicht lässigste Solowerk des Ex-Beatles.
Gestärkt von neuer Liebe zu seiner legendären Erstband ließ McCartney hier eine kompositorische Leichtigkeit spüren, die auch der koproduzierende Beatlemaniac Jeff Lynne (Chef des Electric Light Orchestra) als Produzent einiger der Songs nicht so groß aufpumpt wie sonst. Hier herrscht Selbstbewusstsein und keine Kraftmeierei, die Lieder sind bescheiden und wohlfeil, keine Hits-to-be wie “Mull of Kintyre”, “This One” oder “Ebony And Ivory”, sein Duett mit Stevie Wonder.
Zeitloser Pop mit Folk- und Rock ’n’ Roll
Vom melancholisch eröffnenden “The Song We Were Singing” bis zum abschließend hoffnungsfrohen “Great Day” regiert auf “Flaming Pie” zeitloser Pop mit Folk- und Rock ’n’ Roll-Einschlag, darunter viele Balladen. Für die wenigen Orchestrierungen war der legendäre Beatles-Produzent George Martin zuständig, Ringo trommelte zweimal für Paul und der Song “Really Love You” war die erste, aus einem Jam heraus geborene Komposition der beiden. Soullegende Wilson Pickett hatte McCartney im Sinn, als er das R&B-Stück “Souvenir” schrieb, aber es klingt wie eine vergessene, erstklassige Beatlesnummer.
Und die Gitarre beim rockenden “Young Boy”, das Paul in den zwei Stunden schrieb, die seine Frau Linda brauchte, um ein Menü für die “New York Times” zu kochen, wird erkennbar von Steve Miller gespielt, mit dem er 1969 nach einem Streit mit John, George und Ringo gejammt hatte, was für Miller den Song “My Dark Hour” abwarf. Für Otto Normalpopfan reicht eine der schmaleren Edition, der Maccaist braucht den größten Flammenkuchen, die Deluxe-Edition mit vier Bonusdiscs und einem 128-Seiten-Buch.
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Paul McCartney – “Flaming Pie – remastered” (Parlophone/Universal)
Lindsay Ell vertont die sieben Phasen der Liebestrauer
Randy Bachman, der alte Kracher von Bachman Turner Overdrive, hat die Kanadierin Lindsay Ell entdeckt, als sie 15 Jahre alt war, sah in ihr das größte Talent überhaupt und nahm ein Album mit ihr auf. Sie tourte unter anderem mit Bluesmann Buddy Guy und erspielte sich den Ruf einer exquisiten Performerin. Der Durchbruch in den USA kam allerdings erst 2017 mit der Single “Criminal”. Und hierzulande ist die 31-jährige Countrysängerin bis heute nur eingefleischten Countryfans ein Begriff.
Dabei ist die Musik auf ihrem neuen Album “Heart Theory” mit gelegentlichen Rockismen (“Want Me Back”, “Body Language of A Breakup”) angereicherter, rhythmisch akzentuierter, deutlich auf Charts und Radioeinsätze getrimmter (Country-)Pop, in dem sich eine Liebe zur Musik von John Mayer spiegelt (dessen Album “Continuum” Ell mit ihrem “The Continuum Project” Song für Song coverte).
Musikalisch könnte man das alles für zu leicht und zu glatt befinden. Doch werden auf Ells neuem Liederbuch die sieben Phasen der (Beziehungs-)Trauer vertont: Schock, Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Austesten und Akzeptieren. Hört man in die Texte hinein, beeindruckt “Heart Theory” um einiges mehr. Am deutlichsten wohl wird das bei “Make You”, einem bewegenden Lied über einen sexuellen Übergriff, das Ell mit ihrer amerikanischen Songwriterkollegin Brandy Clark geschrieben hat und das allen Betroffenen Mut macht auffordert, die ihnen angetanen Verbrechen öffentlich zu machen. Das Lied ist übrigens autobiografisch – vor kurzem erst machte Ell öffentlich, zweimal Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein – zum ersten Mal im Alter von 13 Jahren.
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Lindsey Ell – “Heart Theory” (BMG Warner)
Sechs neue Songs von Beatrice Egli auf dem Best-of “Bunt”
Es geht freilich auch fröhlich. Achtzigerjahre-Synthpop und Technopop sind die Sounds der sechs neuen Songs auf Beatrice Eglis Best-of-Album “Bunt”, das zuvörderst den bisherigen Hits der bezeichnenderweise in einem Ort namens Lachen geborenen Sängerin gewidmet ist. Hier findet sich Egli-Erfolgsstoff von “Mein Herz” über “Auf die Plätze, fertig, ins Glück!” bis hin zu “Terra Australia”.
Zu einigen der Neuzugänge: Schon der Uptempo-Titelsong kommt im Gewand eines Lieds aus der verschlagerten Spätphase der Neuen Deutschen Welle daher (im Video singt und tanzt sie im Debbie-Harry-Outfit). “Verrückt und schrill und hell und bunt” malt Egli ihre Welt, und vor lauter Verzückung jodelt die Schweizerin sogar kurz im Refrain. Um sich später auf “I.N.S.T.A.”, einem Discostampfer mit leichten Village-People-Reminiszenzen, als leidenschaftlicher Social-Networks-Fan zu outen, als “Follower bis zum Morgengrauen” (inklusive eines dezenten Dissens der bei Instagram ihrer Meinung nach derzeit allzu stillen Helene Fischer).
Mystery-Story um einen geisterhaften Alten
Wohl um nicht völlig aus der Klimawandel-meets-Corona-Welt gefallen zu sein, widmet Egli den Song “Das 5. Element” dem derzeitigen Rundum-Unbehagen. “Ein Sturm zieht auf” warnt sie, um in der Folge in pathetischen Zeilen die Mysterystory um einen geisterhaften weisen Alten auszubreiten, der ihr im Refrain die Liebe als Grundessenz einer Weltverbesserung nahebringt und sich schließlich kitschbunt das Happy End einer irdischen Paradieserneuerung auszumalen.
“Hast du Lust auf das Leben?” fragt die Gewinnerin der 2013-Staffel von “Deutschland sucht den Superstar” schließlich in “Alles kann, gar nichts muss”, einem Schlager, dessen letzte Minute geradezu dafür gemacht ist, von Tausenden Fans bei Schlagermoves mit Händen beklatscht und Füßen bestampft zu werden.
Vielleicht aber besser nicht schon im Oktober in jener fernen Bucht in Kroatien, wo ein Open-Air-Konzert für reisefreudige, zahlungskräftige und unvorsichtige Egli-Fans angekündigt wurde – obwohl es eher unwahrscheinlich ist, dass bis dahin ein Impfstoff die offenbar auf unbestimmte Zeit schwappende Corona-Woge geglättet hat. Die Botschaft in “Alles kann, gar nichts muss” lautet: “Es lebt sich leichter mit leichtem Gepäck”. Das gilt nicht für den Umgang mit der Pandemie, in jedem Fall aber für Chartserfolge. Wetten dass sich dieses Album und nicht etwa das von James Dean Bradfield oder Bruce Hornsby nächste Woche auf Platz 1 der deutschen Albumcharts wiederfindet.
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Beatrice Egli – “Bunt” (Universal Music)