Pop 2020 - Neues von Lemper, Al-Deen und The 1975

Eine Band mit vielen Stilen: The 1975 um Sänger Matthew Healy (vorn) lassen sich nicht gern festlegen. Ihr neues Album "Notes On A Conditional Form" erscheint am Freitag, 22. Mai

Eine Band mit vielen Stilen: The 1975 um Sänger Matthew Healy (vorn) lassen sich nicht gern festlegen. Ihr neues Album "Notes On A Conditional Form" erscheint am Freitag, 22. Mai

Das Moped - Funky Cowboy auf knatterndem Zweitakter

„Lack-Lack-Lack-Lack Lucky Luke“ leidet unter der Liebe. Der Cowboy des Herzens (nein, gemeint ist nicht buchstäblich der Schlaks aus dem Goscinny-Comic) wird wieder mal ausgebootet von der Liebsten, er hat das leider schon oft erlebt. Sie braucht mehr Zeit undsoweiter, die üblichen Ausreden einer Beziehungsflüchtigen. Luke wartet, aber er spürt, dass es vorbei ist, hätte trotzdem gern noch Auskünfte, ob er noch zweisam planen kann, die es aber natürlich nicht geben wird. Teenager-Liebeshändel wie im guten alten „Bravo“-Fotoroman. Am Ende des Auftaktsongs „Lucky Luke“ des Albums „Erstaunlich klar“ der Band Das Moped bleibt dem „poor lonesome Cowboy“ nur der von ein paar Fehlzündungen begleitete Ritt auf dem Zweitakter Richtung Sonnenuntergang.

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Groovend und keyboardreich, mit notorischer Kopfstimme und Plastikbeats fährt die Band aus Bad Kreuznach auf Schlaghosen, Bee Gees, Münchner Freiheit, Disco der Siebziger- und Synthpop der Achtzigerjahre ab. Im nächsten Song „Eng“ ist es dann auch schon der Barde, der sich eingeengt fühlt. Und es geht auf diesem Debüt (nach zwei EPs) von Martin (Gesang), Ali (Bass) und Augustin (Gitarre) auch fürderhin mehrheitlich um die Schieflagen der Liebe, um das Herzeleid der Zweisamkeit - in Liedern wie „Hab ich bloß geträumt“, „Es ist schon OK“ und der Akustikgitarrenballade „Traurig“. Und die Mädchen, die den hoffnungslos Verschossenen unglücklich an sich ketten („lass mich endlich frei!“) heißen „Sina“ wie einst Nastassja Kinski im 1977er Kult- „Tatort“. Die Lyrik hier: Kitsch as Kitsch can! Und der Sound: Tanzbar. Dieses Moped knattert funky!

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Das Moped – “Erstaunlich klar” (Epic/Sony)

Aus Liebe zum Rock’n’Roll - The Airborne Toxic Event

Der sechseinhalbminütige Auftakt-und Titelsong von „Hollywood Park“ beginnt mit quietschenden Gitarren und gerät alsdann fulminant, episch und vorwärtsgetrieben wie vor sage und schreibe viereinhalb Jahrzehnten Bruce Springsteens „Born to Run“. Auch der Held dieses Songs ist des Alltags müde und will das besondere Leben, liebt den Klang, wenn auf der Pferderennbahn des Hollywood Parks die Hufe an ihm vorbeidonnern, ist gefangen von den Rennen, bis sich der Song in eine Geistergeschichte von Zerstörung, Verfall und verschwindenden Echos verwandelt. Die Indierocker The Airborne Toxic Event machen Musik, groß, episch, farbprächtig und lustvoll wie altes Cinemascope-Kino und sie können im selben Song vom heillosen, herrlichen Bombast zur Faststille von Stimme und Akustikgitarre herunterfahren („The Common Touch“). Von folkig („True“) bis sakral („The Place We Meet A Thousand Miles beneath The Racetrack – Reprise“) reichen die Stimmungen, die die Kalifornier hier erzeugen und jedes Lied – vom basslastigen „Come on Out“ (mit dunkler „Sisters of Mercy“-Stimme und dezenter Gothic-Stimmung) bis zum Klampfe-meets-Klavier-Swing von „Carry Me“ hat die Melodie und das Zeug zum Klassiker.

Das Album begleitet die gleichnamigen Memoiren von TATE-Sänger Mikel Jollett, der mit den neuen Liedern die Trauer um seinen vor vier Jahren verstorbenen Vater bewältigt und sein eigenes Leben Revue passieren lässt – vom Aufwachsen in einer Sekte, von Armut, seelischem Missbrauch, von einer alleinerziehenden, neurotischen, scheiternden Mutter und einem Vater, bei dem er und sein Bruder die Sommer verbringen und der sie ermuntert zu fluchen und verlockt, auf Pferde zu wetten. „Als ich meinen Jungs die Songs — die ich nie veröffentlichen wollte — vorspielte, schlossen wir einen Pakt“, sagt Jollett. „Wir schworen uns, daraus ein Album zu formen, das für die Liebe zum Rock’n’Roll steht.” Und dieser Schwur ist nun eingelöst. Hier, in der Geschichte eines Mannes, der schließlich Herr seines Lebens wird, kommt ein Liederbuch so echt und kraftvoll und berührend wie Springsteens „Born to Run“ und „Darkness on The Edge of Town“.

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The Airborne Toxic Event – „Hollywood Park“ (Rounder Records/Universal)

The 1975 hört man am besten am Stück

Matthew Healy und seine Mannen schaffen es wie kaum eine andere Band mit viel medialem Gewese um Albumtitel, Erscheinungsdatum, wechselnde Coverart bis fast an den Rand der Ermüdung Erwartungen zu schüren. Und jetzt also ist - nach sensationell viel Tamtam vorab - das in den Abbey-Road-Studios entstandene „Notes on A Conditional Form“ von The 1975 endlich komplett auf dem Markt. Stolze 22 Songs listet das vierte Fulltimealbum der Band auf, semiautobiografische Lieder über Erektion und Selbstdestruktion, Träume und ein bigottes Amerika. Aber manche davon tatsächlich nur „notes“ - instrumentale Sphären wie „Streaming“ oder das sechsminütige „Having No Head“, der zitternde Autotune-verseuchte Breakbeat „Yeah I Know“ oder der nach der Band benannte Monolog von Klimaaktivistin Greta Thunberg über den betrüblichen, zu sofortigem Handeln aller zwingenden Zustand der Welt.

Raues Punkplärren in „People“ steht dann neben einer Synthballade mit Banjo wie „The Birthday Party“, tanzbarem Plastikpop mit Klavier wie „I Think There’s Something You Should Know“ oder fulminantem Powerpop wie „Then Because She Goes“ oder dem „Me & You Together Song“. Und „Jesus Christ 2005 God Bless America“ und das simon-and-garfunkelige „Playing on My Mind“ sind so nahe am Folk wie das bei The 1975 nur sein kann. Differenziertheit ist also neuerlich Trumpf, da steht das Quartett mit seiner Bandbreite von Elektro bis Rock ganz in der Tradition britischer Bands von Beatles über Queen bis Manic Street Preachers, deren Alben auch stilistische Sammelsurien waren. Hört man die Tracks einzeln, erscheinen nicht wenige als „fillers“ statt „killers“, hört man sie dagegen am Stück, versetzt einen das Ganze in eine geradezu hypnotische Stimmung. „Don’t worry, darling“ singt Healy mit seinem Vater Tim seinen Fans in einem Stück, das wie ein Gutenachtlied klingt. In der Tat muss man sich um The 1975 keine Sorgen machen. Die „Notes“ dieser Band sind ein Plädoyer für die erlesene Pop-Kunstform Album, die nicht erst durch Corona bedrängt wurde.

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The 1975 – „Notes on A Conditional Form“ (Universal)

Laith Al-Deens sichere Bank voller Ups and Downs

„C’est la vie“ sang schon Chuck Berry vor 56 Jahren, wenngleich etwas schwungvoller als der deutsche Soulmann Laith Al-Deen, der sein neues Album mutig mit einer Ballade beginnt statt die Fans mit einem Fetzer an Bord zu holen. „Ich geh meinen Weg“, verkündet er in seinem „C’est la Vie“ zu glitzernden Keyboards und will „lieber Ups and Downs als ne sichere Bank“. Das klingt autobiografisch und nach wahrem Leben, denn der 48-Jährige ist im öffentlichen Bewusstsein – auch wenn „Keine wie Du“ 2007 eine höhere Chartsplatzierung hatte – immer noch vor allem der Mann mit dem 2000er Hit „Bilder von Dir“. Auf seinem zehnten Studioalbum „Kein Tag Umsonst“ singt Al-Deen wie auf acht der neun vorherigen selbstgeschaffen Gefühliges, das ja nun schon seit einigen Jahren bis weit über die Grenze der Erträglichkeit hinaus hoch im Kurs bei den Formelpop-Sendern steht.

Zuweilen gelingen dabei feine Songs wie das mit einer perlenden Gitarre bestückte, gospelige „So nah“ mit seiner Mahnung, die Spatzen in der Hand nicht für die Tauben auf dem Dach dranzugeben. Oder die Klaviergebete „Ein Wort“ und „Wildes Wasser“. Zuweilen sinkt er aber in schlagerhafte Platitüden ab („Liebe ist ein Geschenk / weil sie alle Ketten sprengt“) und zuweilen bekommt Al-Deen vor Liebesfrust kaum die Zähne auseinander („Alles hier erinnert mich an dich / ich mach die Augen zu und sehe dein Gesicht“). „Halt mich fest“ singt er gegen Ende des Albums, und das wollen wir gerne tun, auch wenn wir hier ein Album voller Ups and Dwns haben das zugleich eine sichere Bank ist. Denn Laith ist bei allen Defiziten der einzig wahre Erbe des großen Deutschsoul-Urvaters Edo Zanki, erst recht nachdem sich der gleichalte Xavier Naidoo auf der Suche nach seiner eigenen Wahrheit in übelst erratische Hirngespinste verrannt hat, die uns seine hellen Lieder reichlich verschattet haben.

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Laith Al-Deen – „Kein Tag umsonst" (earMusic)

Ute Lemper richtet die Scheinwerfer auf Marlene

Die fesche Lola war der deftige Liebling der Saison in Josef von Sternbergs Film „Der blaue Engel“, die Dastellerin stellte auch die schönste Beine der Weimarer Republik aus. Das ist nun ziemlich genau 90 Jahre her, und das Echo der Marlene Dietrich wird in unseren Tagen schwächer. Die deutscheste aller Sängerinnen, die gegen Hitler war, die nach Amerika zog, weil ihr Stern aufging als die wilde erste deutsche Demokratie zu Ende ging, die für die US-Boys sang und zuhause nach dem Krieg von den nicht wenigen Immernochgestrigen als „Vaterlandsverräterin“ gebrandmarkt wurde, ist heute nicht mehr allzu präsent. An ihr mutiges, exzentrisches Künstlerlerleben wird jetzt von der großen Chansonette Ute Lemper erinnert, die in ihren Anfangsjahren als „junge Münstersche Marlene“ mit der Dietrich verglichen wurde.

Das Album „Rendezvous with Marlene“ passt deshalb wie keine andere von Lempers-Albumhommagen, es ist Melancholie in Jazz gegossen. Lemper singt die „Lola“ schmissig, und gibt sinnlich preis, dass sie „von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ sei, ferner, dass sie „noch einen Koffer in Berlin“ habe. Dunkel, schön abgründig interpretiert sie Marlenes Version von Bob Dylans Zweifeln an der Lernfähigkeit der Menschen: „The answer my friend, is blowing in the wind.“ Und natürlich steht sie unter der Laterne, „wie einst Lili Marleen“ und geht durch Friedrich Hollaenders „Ruins of Berlin“. Das ist intim, inbrünstig, stellt ein hochwertiges Liedrepertoire aus und lässt, wenn der letzte Ton verklungen ist, das Scheinwerferlicht auf der kühl-glamourösen Marlene ruhen. Chapeau!

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Ute Lemper – „Rendezvous With Marlene“ (Jazzhaus/in-Akustik)

Shred Kelly, die Rockys und die Kunst des Ohrwurms

Aus den kanadischen Rocky Mountains kommen Shred Kelly, deren Sound unter „alternative folkrock“ firmiert, was vielleicht für frühere Veröffentlichungen zutrifft, auf dem fünften Album “Like A Rising Sun” aber eigentlich nur noch durch ein plinkerndes Banjo gerechtfertigt wird. Das Quintett aus British Columbia, das sich seinen Liveruf in den Skigebieten von British Columbia erspielte, aber auch hierzulande beim Reeperbahn Festival Eindruck machte, erinnert mit seinem strahlenden Gesängen und dem satten Gitarrensound von Songs wie „Take Me Home“, „Roman Candle Eyes“, „Rising Sun“ oder den bezwingend melodiösen “Dead Flowers” oder „The Hill“ (was für ein Banjosolo!) vielmehr an als „classic rock“ geführte Harmonytruppen wie REO Speedwagon und die Little River Band. Nur bei “Looking For”, wo Sage McBride alleine singt, klingt’s nach Blondie auf dem Lande.

Frontmann Tim Newton und Frontfrau und Lebensgefährtin McBride, frischgebackene Eltern, lassen ihre selbstreflexiven Midtemporocker und Balladen widerstandslos in Kopf und Herz des Hörers strömen. „Hallo-hallo ich bin dein Ohrwurm!“ sang die deutsche A-Cappella-Legende Wise Guys vor langer Zeit. Und solchermaßenadressiert sich jeder dieser akustischen Sonnenaufgänge hier. Dass es bei Shred Kelly indes nicht nur Feel-Good-Vierminüter gibt, zeigt das abschließende, achtminütige „Disconnect“, bei dem Gitarrist Ty West seine Verehrung für die Grateful Dead und ihre Epigonen Phish ausdrücken kann.

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Shred Kelly – „Like A Rising Sun“ (Devil Duck Records)

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