Premiere für Trojahns Oper „Was ihr wollt“
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Kistenweise Selbsterkenntnis: Das Finale in Balázs Kovaliks Inszenierung mit Simon Bode (links) und Dorothea Maria Marx.
© Quelle: Jörg Landsberg
Hannover. Noch bevor der erste Ton erklingt, lässt sich ahnen, dass dies ein interessanter Abend werden könnte. Als der Vorhang den Blick auf die Bühne frei gibt, geht ein überrascht staunendes Raunen durch den Zuschauerraum der Staatsoper. Hermann Feuchter hat für Manfred Trojahns 1998 uraufgeführte Oper „Was ihr wollt“ weniger ein Bühnenbild als eine spektakuläre Installation gebaut: Wie in einem surrealen Paketlager stapeln sich Kartons bis an den oberen Bühnenrand. Physikalische Gesetze scheinen dabei keine Rolle zu spielen – über dem vergleichsweise schlanken Stapel am Boden erheben sich raumgreifend immer mehr Kisten wie die Krone eines Baumes.
Dieses üppig wuchernde Kartongewächs ist Illyrien: ein einsames Eiland, an dessen Strand William Shakespeare in seiner Komödienvorlage ein Geschwisterpaar stranden lässt, das die Insulaner in allgemeine Gefühlsverwirrung stürzen wird. In Hannover allerdings gibt es weder Schiffbruch noch andere unglückliche Zufälle. In einem stummen Vorspiel wird im Paketlager vielmehr ein weiteres Paket angeliefert, dem Bruder und Schwester entsteigen. Ein weiteres Paket, dessen Inhalt sich als leerer Spiegelrahmen entpuppt, wird zwischen die beiden getragen und trennt so die Zwillinge – das Menschenexperiment kann beginnen.
Permanente Erregung
Dazu schäumt nun wild die Musik von Trojahn auf. Zwei Stunden lang wird sie kaum abebben. Der Komponist versetzt die ursprüngliche Komödie in einen Zustand der permanenten Erregung. Die Musiker des Staatsorchesters haben dafür eine Notenmenge zu bewältigen, die sonst für einen ganzen Monat reicht. Wie ein Schwarm Kolibris schwirren und sirren aberwitzige Läufe zwischen Streichern und Bläsern hin und her. Wenn an einer Stelle für einen Moment Ruhe einkehrt, fliegen die Töne andernorts nur umso gehetzter wieder auf. Dirigent Mark Rohde bewahrt dabei mit staunenswerter Gelassenheit die Übersicht – und die Musiker lösen ihre nicht immer dankbaren Aufgabe mit echter Brillanz.
Dieser Grundton der permanenten Unruhe und Bewegung steht in auffälligem Kontrast zur zugespitzten Personenzeichnung, mit der Trojahn und sein Librettist Claus H. Henneberg die flatternde Shakespeare-Vorlage festgepinnt haben wie einen Schmetterling im Schaukasten: Bei ihnen bringt Viola, die angespülte Schwester, als Mann verkleidet nur scheinbar die Gefühle der übrigen Figuren in Wallung. Die bleiben nämlich das, was sie auch vorher waren: ein narzisstischer Herzog, der in die eigene Verliebtheit verliebt ist, eine trauernde Dame, die von Konventionen gelangweilt in der Abwechslung Trost sucht, und ein rülpsender Rüpel, der eben ein rülpsender Rüpel ist. Wenn Regisseur Balázs Kovalik diesen Figuren am Ende zur Selbsterkenntnis große Spiegel in die Hand drückt, macht er damit nur sichtbar, was die Musik längst erzählt hat.
Hohlwangige Holzbläser
Auf dem schwirrenden Klanggrund malt Trojahn seine Charaktere mit breitem Pinsel. Der Herzog Orsino hat barocke Affekte statt Gefühle und folgerichtig eine Musik, in der schon mal Purcells „Eis-Arie“ durchscheint. Tenor Simon Bode verbindet dabei ausdrucksstark alte und neue Klangwelten. Olivia (Dorothea Maria Marx) singt in weichen, offenen Kantilenen, an denen überall die Liebe andocken kann, und ihr Diener Malvolio (Brian Davis) ist mit hohlwangigen Holzbläserklängen eine aufgeblasene Figur, deren Absturz programmiert ist. Stefan Adam (Toby Belch) und Edward Mout (Andrew Aguecheek) zeichnen ihre Provinzfürsten als schön überdeutliche Karikaturen.
Viola ist dazwischen eine Art Katalysator, der das Bild der übrigen Personen kurz verschwimmen lässt, um es danach umso fester zusammenzufügen. Ania Vegry bewährt sich in dieser schwierigen Rolle als fabelhaft lässige Koloratursopranistin und sehr lebendige Darstellerin. Dass ihre Figur am Ende nichts bewirkt, liegt am Stück, nicht an der Sängerin.
Ein Narr als Regisseur
Heimliche Hauptperson der Inszenierung aber ist der Narr, dem Martin Berner trotz Ballerina-Kleidchen (Kostüme: Angelika Höckner) herrische Autorität verleiht. Er hat die stumme Kisten-Ouvertüre zu Beginn arrangiert, und er sorgt dafür, dass die Zwillinge (Jonas Böhm ist Sebastiano) am Ende wieder verpackt und weitergeschickt werden: Statt Doppelhochzeit und glücklichem Ende gibt es zum Finale Ruhe im Karton.
Regisseur Kovalik verdeutlicht so elegant die Akzente, die Trojahn in seiner Shakespeare-Version gesetzt hat. Im Schatten des Kistenbaums entfaltet seine Inszenierung darüber hinaus immer wieder auch eine melancholische Poesie, die der eher auf gut geschmierte Theatermechanik gerichteten Partitur manchmal fehlt. So ergibt sich eine ebenso hörens- wie sehenswerte Produktion mit sehr guten Sängern, der man mehr Zuschauer wünscht als der nur mäßig besuchten Premiere.
Weitere Vorstellungen sind am 14. und 27. Dezember sowie am 6., 8. und 20. Januar.
Von Stefan Arndt
HAZ