Schwitters reloaded
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Dass Schwitters im Exil seine beste Zeit hinter sich hatte, mag für seine finanzielle und bald auch gesundheitliche Lage gelten, nicht aber für seine Kunst.
© Quelle: Akbaba
Hannover. „Man kann ja nie wissen.“ Dieser Satz steht auf seinem Grabstein. Denn er war sein Lebensmotto. Die Worte mögen allen eine Warnung sein, die über Kurt Schwitters alles zu wissen meinen. Denn aus diesem Irrglauben erwächst das Gift der Ignoranz. Und die gedeiht selbst da, wo dem Künstler ein Straßenschild gewidmet ist - wie in seiner Heimatstadt Hannover.
Doch genau dort, am Kurt-Schwitters-Platz, gibt es jetzt ein Gegengift: Im Sprengel Museum ist eine Ausstellung zu sehen, die bescheiden „Schwitters in England“ heißt. Dabei bietet sie viel mehr als nur einen Überblick über die Exiljahre des von den Nazis als „entartet“ verfemten Künstlers. Kurt Schwitters (1887-1948) ist in seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten nicht nur unerhört produktiv gewesen, er hat auch noch wirklich Neues zustande gebracht. Und das teils mit Werken, welche sogar die historische Avantgarde alt aussehen lassen, die er selbst mitgeprägt hat.
Das ist schon im zweiten der sechs Räume in der Sprengel-Wechselausstellungshalle sichtbar. Da hängt ein harmlos „Liebliches Porträt“ betiteltes Gemälde von 1942, das auf den ersten Blick genau das zeigt: das anmutige Bildnis eines jungen Mannes. Doch das stammt aus dem 19. Jahrhundert, Schwitters hat es grell übermalt, der Jüngling scheint wie in einem Schalensitz in einer Skulptur zu kauern. Dieses Werk enthält eine epochale Ansage: Das 19. Jahrhundert ist passé, selbst die eigenen Plastiken werden ironisiert, Kunst funktioniert auch als Kunstzerstörung - Schwitters tritt hier wie ein Zeitgenosse der „Bad Painter“ der siebziger Jahre auf, scheint schon mit der Moderne fertig und zur Postmoderne aufzuschließen.
Man merkt: Die Ausstellung bietet die Chance, diesen Mann, der oft auf die Kunstströmungen am Ende des Ersten Weltkriegs, auf Dada-Ursonate, Collagen und Grafik reduziert wird, neu zu entdecken - sie bietet sozusagen Schwitters reloaded. Zu dessen Vielfalt gehört wie beiläufig ebenfalls die Porträtmalerei, auf Wunsch auch im spätimpressionistischen Stil des 19. Jahrhunderts. Das zeigt die Ausstellung mit seinem Porträt des Bildhauers Siegfried Charoux, einem Mithäftling auf der Isle of Man. Dort ist Schwitters nach der Flucht aus Deutschland, die ihn 1938 nach Norwegen und 1940 nach Großbritannien führt, zunächst als feindlicher Ausländer interniert.
Allein in den anderthalb Jahren im „Artist’s Camp“ Hutchinson schafft er 200 Werke. „Seine Kreativität ist faszinierend“, sagt Sabine Schormann, Direktorin der Niedersächsischen Sparkassen-Stiftung, die ebenso wie die Sparkasse Hannover und die Nord LB diese wie schon frühere Schwitters-Ausstellungen fördert. „Das Sprengel Museum öffnet hier eine Wunderkiste schwitterscher Schaffenskraft.“
Als „meine besten Werke“ bezeichnet der Künstler in dieser Zeit seine Skulpturen, die großenteils sehr klein waren, „weil sie sich dann leichter transportieren lassen“, wie er in einem Brief an seinen Künstlerkollegen László Moholy-Nagy notiert. Wie früher schon Zeitungsschnipsel für seine Collagen verwendet er auch jetzt vorgefundene Materialien. In London nutzt er bisweilen Bombensplitter, im nordenglischen Ambleside hat er später auch Wolle, Steine, Muscheln oder Knochen eingearbeitet.
Dass Schwitters im Exil seine beste Zeit hinter sich hatte, mag für seine finanzielle und bald auch gesundheitliche Lage gelten, nicht aber für seine Kunst. „Mit 50 Jahren ist man doch noch nicht alt“, sagt er 1937, nach seiner Flucht nach Norwegen.
Wirklich neu ist die Einsicht, wie sehr Schwitters zwischen 1942 und 1945 in der Londoner Jahren in der dortigen Künstlerszene geschätzt und aufgehoben war. „Es ist faszinierend, wie eng zwischen den Künstlern trotz des Krieges der deutsch-britische Dialog war“, sagt am Freitag Emma Chambers, Schwitters-Expertin der Tate Britain, die die Präsentation gemeinsam mit dem Sprengel Museum erarbeitet hat. Immerhin hat es in London bereits 1938 und 1944 Schwitters-Ausstellungen gegeben. Mit mehreren Bildern rekonstruiert das Museum Teile einer Gruppenausstellung, in der 1944 auch die Schwitters-Skulptur „Tänzer“ gezeigt wurde. „Dabei hat uns Tate Britain sehr geholfen“, sagt Isabel Schulz, Leiterin des Kurt-Schwitters-Archivs.
Immer wieder hat Schwitters neue Anläufe zu den sogenannten Merzbauten genommen. Nach dem ersten, der 1933 in Hannover abgeschlossen wurde, schuf er zwei weitere im Exil in Norwegen und einen dritten in England. Für den letzten bekam er 1948 eine Förderung des New Yorker Museum of Modern Art, begonnen hat er den „Merz Barn“ in einer steinernen Scheune in Elterwater. Doch abzuschließen vermochte er diese Arbeit nicht mehr - das dort entstandene Fragment ist jetzt in der Hatton Gallery in Newcastle zu besichtigen. Sind diese Merz-Projekte eine Manie? Sie dokumentieren jedenfalls den visionären Gestaltungswillen eines Mannes, der damit schon begehbare Skulpturen schuf, bevor die Rotunde des Guggenheim Museums in New York als solch eine Skulptur gerühmt wurde.
Kein Wunder, dass viele Künstler den hannoverschen Künstler als Wegbereiter und Vorbild feiern. Robert Rauschenberg bekannte, er habe das Gefühl, Schwitters habe „dies alles nur für mich getan“. Georg Baselitz sagte: „So etwas hat die ganze Bilderwelt draußen erfasst. Schwitters hat ein Fenster aufgestoßen.“ Noch immer gilt eben die Kurzformel des Kunstkritikers Heinz Ohff: „Ohne Duchamp und Schwitters kein Neo-Dada, ohne Neo-Dada keine Pop-art und ihre Folgen.“
„If you think you know me, think twice“, hätte der Künstler jenen gesagt, die sein Werk mit Dada, Anna Blume und der Ursonate schon für abgeschlossen halten. Und das wahrscheinlich genau so, nämlich auf Englisch. In der Sprache seiner neuen Heimat führte er selbstverständlich seine Korrespondenz auch mit deutschsprachigen Freunden. Schon 1946 hat er den britischen Pass beantragt. Doch er erhielt die neue Staatsbürgerschaft erst am 7. Januar 1948 - genau einen Tag vor seinem Tode.
„Schwitters in England“. 2. Juni bis 25. August im Sprengel Museum.
HAZ