So war der Auftritt von BAP in Hannover
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KWA7ZG5WK6QUPZOZTZJLEFJJW4.jpg)
Eine Melange aus deutscher Biografie, musikalischer Leidenschaft und Weltmusik –Wolfgang Niedecken (rechts) bei dem BAP-Auftritt in der Swiss Life Hall.
© Quelle: Nancy Heusel
Hannover. In der Swiss Life Hall läuten die Kirchenglocken über der palmengesäumten Veranda einer ausladenden Villa. Doch Intro und Bühnenbild des Auftritts von Wolfgang Niedeckens BAP erscheinen nur auf den ersten Blick skurril. Denn die Mischung aus Kölner Dom und dem AC/DC-Song „Hell’s Bells“, aus Kölner Südstadt und US-Südstaaten deutet bereits viel über das Selbstverständnis des Mundart-Rockers an. Er war schon als junger Mann der Bob Dylan seines Heimatviertels, verband mit seiner Band meist mühelos Lokalkolorit und den Sound seiner internationalen musikalische Helden.
Der Kern der Band
Seit fast zwei Jahren ist Niedecken mit einem Programm zum 40-jährigen Jubiläum seiner erfolgreichen Band unterwegs, deren Kern er als Sänger und Songschreiber immer war. Jetzt geht die Tournee zu Ende – und beim erneuten Auftritt in Hannover vor 1700 Fans hat sich vieles verändert. Thema des Abends ist New Orleans, wo Niedecken sein vor einem Jahr erschienenes Album „Reinrassije Strooßekööter" mit Gastmusikern aufnahm. Also weht Mississippi-Flair durch die Halle. Die Dekoration ist dabei eher ein ironisches Detail.
„Ich wollte immer schon mal ʼne Showtreppe haben, die ich nicht benutze“, scherzt Niedecken. Dann schwärmt er von seiner Band, die mit einem brillant arrangierten und transparent abgemischten Live-Sound immer wieder mit Südstaaten-Klängen spielt. Es gebe schon genug Fake in der Welt, also habe er sich drei echte Bläser besorgt. Er hat Axel Müller, Christoph Moschberger und Franz Goltz bei der Fernsehshow „Sing meinen Song“ kennengelernt. Sie harmonieren in Präzision, Leidenschaft und Witz ebenso gut mit Niedecken wie dessen andere hervorragende Bandmitglieder, allen voran Ulrich Rode an der Gitarre.
Mit größtem Feingefühl
Rode, der auch BAPs jüngstes Album „Lebenslänglich“ produzierte, studierte bis 1999 in Hannover Musik und betrieb danach jahrelang ein eigenes Studio in Linden. Wie die gesamte Band widmet er sich den Songs in ihren neuen Versionen mit größtem musikalischem Feingefühl. Niedeckens Vorbilder wie Bob Dylan, Bruce Springsteen oder die Rolling Stones rücken zum Greifen nahe, während die Einflüsse aus New Orleans den Sound immer wieder mit unwiderstehlich satten und lebendigen Elementen aus Cajun, Jazz und Blues aufbrechen.
Mit 67 Jahren ist Niedecken jetzt da, wohin er sich als Musiker immer geträumt hat: Er kann seine einfühlsam erzählten Geschichten mit weltumspannender Musik auf höchstem Niveau inszenieren. Dabei verliert er keinesfalls seine Bodenständigkeit aus den Augen, jene Mischung aus Alltagsbeobachtungen, Gesellschaftskritik, Melancholie und Lebensfreude, mit der er BAP seit Jahrzehnten auch in die Herzen jener spielt, die eine Übersetzung ins Hochdeutsche brauchen, um überhaupt zu verstehen, worum es geht.
Bei den fast 35 Jahre alten Hits des Albums „Zwesche Salzjebäck un Beer“ wird zudem deutlich, dass sich weder Niedeckens Blick auf den Zustand der Welt verändert hat – noch dieser Zustand. „Drei Wünsch frei“, „Bahnhofskino“ oder „Deshalv spill mer he“ bringen Wut und Ohnmacht gegenüber Gewalt, Gier und Unmenschlichkeit noch immer auf den Punkt. Und das noch ältere „Kristallnaach“ mit seiner Warnung vor Fremdenfeindlichkeit und Faschismus ist heute aktueller denn je.
Zugaben, grenzenlos
In den ausgiebigen Zugaben sprengt die Band dann alle musikalischen Grenzen. „Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau“ wird zur Countrynummer mit Honkytonk-Piano und Marching-Band, „Jebootsdaachspogo“ zum Cajun-Punk und „Stell dir vüür“ zu einem betörenden Mash-Up mit Bob Dylans „Hurricane“. Nach 28 Songs in fast dreieinhalb Stunden ist Niedecken endgültig zuhause angekommen – in einer untrennbaren Melange aus deutscher Biografie, musikalischer Leidenschaft und Weltmusik im allerbesten Sinne.
Am Mittwoch, 7. November, um 20 Uhr gastiert die Show „Boybands Forever“ in der Swiss Life Hall.
Von Thomas Kaestle
HAZ