Sprengel Museum präsentiert Meret Oppenheim
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„Das Paar (mit Ei)“ heißen jene Schuhe, die Meret Oppenheim 1967 kombiniert hat.
© Quelle: Meret Oppenheim
Hannover. Auf den ersten Blick ist dieses Pärchen nur eigentümlich zusammengestoßen - doch bei genauerem Hinsehen scheint es sogar unglücklich ineinander verwachsen. „Das Paar (mit Ei)“ heißen jene Schuhe, die Meret Oppenheim 1967 kombiniert hat. Ausdruck einer „Amour fou“ könnte das sein, sagt Ausstellungskuratorin Isabel Schulz, einer vergeblichen Liebe also, ein Sinnbild, in dem Unfreiheit, ja Verstümmelung, als Kehrseite des Einswerdens hervortritt - noch ironisch garniert mit den amputierten Schuhspitzen in einem Nest aus Schnürsenkeln.
Dieses Werk Meret Oppenheims stammt aus dem Jahr 1967. Es ist charakteristisch für das schillernde Spiel der Künstlerin mit widersprüchlichen Deutungsvarianten. Und es weist zurück auf die künstlerischen Anfänge Meret Oppenheims, die 1933, gut drei Jahrzehnte zuvor, als ganz und gar nicht verhüllte „Erotique voilée“ für Man Rays bekanntes Skandalfoto posierte. Damit hat sie schon als 20-Jährige Furore gemacht, doch bald war Meret Oppenheim viel mehr als nur die „Muse der Surrealisten“. Wenig später erregte sie mit ihrer „Pelztasse“ Aufsehen: Löffel, Teller und Tasse, die mit Gazellenfell überzogen und seit 1936 im Besitz des New Yorker Museum of Modern Art sind. Statt die Gewohnheiten des Betrachters zu bestätigen, setzt sie mit solchen Kunstwerken alles daran, „das rasende Tier der Gewohnheit zu hetzen“. So beschreibt André Breton, der Oppenheims „Pelztasse“ unter Anspielung auf Édouard Manets Skandalbild „Frühstück im Freien“ (1863) im Almanach der Surrealisten „Frühstück im Pelz“ nennt, den radikalen Bruch dieser Bewegung mit der bisherigen Kunst. „Endlich die Freiheit, die Harpunen fliegen, der Regenbogen lagert in den Straßen“, dichtete Oppenheim damals.
Das den Surrealisten eigene Interesse an unterschwelliger Bedeutung, am Unbewussten und der Kraft der Träume teilte auch Meret Oppenheim lebenslang. Das schlägt sich nicht nur in der Einführung vorgefundener Gegenstände - gleich ob Schuhen oder Tassen - in neue Sinnzusammenhänge nieder, sondern auch in ihrem zeichnerischen Werk, dem das Sprengel Museum jetzt eine große Retrospektive widmet.
Isabel Schulz, die ihre Doktorarbeit über Meret Oppenheim geschrieben hat und als Leiterin des Kurt-Schwitters-Archivs im Sprengel Museum für eine Schwitters-Ausstellung mit dem Kunstmuseum Bern kooperiert hat, entdeckte bei einem Besuch in Bern das reiche zeichnerische Werk Meret Oppenheims in dem Museum. „Diese Fülle hat sofort meine Begeisterung geweckt“, sagt sie - und so ist der Plan für die Ausstellung „Meret Oppenheim. Über den Bäumen“ im Jahr des 100. Geburtstags der Künstlerin gewachsen.
Chronologisch geordnet beginnt die Ausstellung der rund 80 größtenteils vom Kunstmuseum Bern entliehenen Werke bei den Anfängen der Künstlerin im Kreis der Pariser Surrealisten. Gezeigt werden von der Psychologie Carl Gustav Jungs beeinflusste Arbeiten aus der Zeit ihrer Schaffenskrise in den vierziger und fünfziger Jahren und das Spätwerk der Künstlerin. Auch darin ist das frühe Interesse am Unbewussten und an der Tiefenpsychologie durchweg spürbar - doch faszinierender noch ist die Vielfalt der zeichnerischen Objekte und Techniken, mit denen sich Meret Oppenheim immer wieder auch dieser Thematik widmet.
„Die Zeichnung war zeitlebens Grundlage ihres Schaffens“, sagt Isabel Schulz. Deshalb umfasst die Ausstellung auch Studien für Modedesign und Buchillustrationen Meret Oppenheims sowie einige druckgrafische Experimente.
Neben Zeichnungen mit Ölkreide, Blei- oder Farbstift, die oft surreal verfremdete Naturobjekte zeigen, zarte Wolken oder zerfließende Sonnen, finden sich auch Collagen oder Montagen - und gleich mehrere Holzschnitte mit so düsterer Thematik wie der „Kopf eines Ertrunkenen“ von 1966. Holzschnitte verwendet Meret Oppenheim in dieser Zeit oft zur Darstellung von Holz, Gebüsch oder Zweigen. Und dem Prinzip eines Gleichklangs von Mittel und Objekt folgt sie auch bei der Darstellung von Steinen, für die sie die Lithografie-, also Steindruck-Technik verwendet.
Zeichnungen und Drucke zeugen somit davon, dass Meret Oppenheim mehrfach mit ähnlichen Motiven und Techniken experimentiert. Aber serielle Kunst wird nicht daraus, bloße Wiederholung scheint sie selbst zu langweilen. Immer wieder bricht sie zu neuen künstlerischen Versuchen auf, nie zielt sie darauf ab, einen Stil zum starren Genre gerinnen zu lassen. Die Steine, die sie 1978 präsentiert, sind mal wie transparente Silhouetten auf blauem Grund, mal vor beigefarbenem Hintergrund gebrochen wie Schieferplatten, dann wieder kompakt wie Granit mit dunklen Schlagschatten auf hellem Braun. Sie zeichnet mit feinem Strich Schmetterlinge - mal als Kreaturen des Aufbruchs und des Wandels, mal versieht sie die Tiere ironisch mit Flügeln aus Geschirrtüchern, lässt sie sich nicht um Heim und Herd scheren, und nennt sie „Parapapilloneries - Psyche, Freundin der Männer“. Und selbstironisch präsentiert sie 1980 ein Foto von sich selbst mit auflackierten Tätowierungen.
Meret Oppenheim, das zeigen auch diese Zeichnungen, war so autonom, dass sie nicht die Veränderung sondern den Stillstand scheute. So emanzipiert, dass sie die Frauenbewegung gewiss nicht für die eigene Selbstbestimmung brauchte, aber ihr umgekehrt Impulse gab. „Bei Künstlern ist man es gewöhnt, dass sie ein Leben führen, wie es ihnen passt - und die Bürger drücken ein Auge zu. Wenn aber eine Frau das Gleiche tut, dann sperren alle die Augen auf“, sagte Meret Oppenheim 1975 bei der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Basel - und folgerte: „Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen.“
HAZ