Ausstellung in Berlin

Unerwartete Perspektiven auf Emil Nolde

Foto: „Melkmädchen II“: Nolde-Gemälde von 1939.

 „Melkmädchen II“: Nolde-Gemälde von 1939.

Berlin. Der Maler Emil Nolde in einer modernistischen Villa des Architekturavantgardisten Ludwig Mies van der Rohe: eine merkwürdige Vorstellung. Es wäre, als würde man eine Amsel in einen Karton setzen oder einen nordfriesischen Gewittersturm in eine Glasvitrine stopfen.

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Noldes Liebe gehörte bekanntermaßen reetgedeckten Fischerkaten und idyllischen Bauernhöfen im friesischen Marschland mit Bauerngärten und weidenden Kühen davor. Davon zeugen unzählige Gemälde des großen Expressionisten. Eine Berliner Ausstellung, „Vom Fischerhaus zur Stadtvilla. Emil Nolde und Mies van der Rohe“ in der Hauptstadt-Dependance der Stiftung Seebüll, aber zeigt, dass die Naturvernarrtheit (der zum Erfolgskünstler aufgestiegene Bauernsohn wollte zeitlebens „Bauer unter Bauern“ sein) nur eine Seite einer komplexen Künstlerpersönlichkeit war.

Was die wenigsten wissen: Der Maler lichtdurchpulster Landschaften und Gärten ließ sich 1929 von Mies van der Rohe eine kantige Stadtvilla planen. Nolde hatte den späteren Bauhaus-Direktor bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg kennengelernt. Ende der zwanziger Jahre beauftragte er ihn mit der Planung der Nolde-Villa in Berlin-Dahlem.

Nolde war knapp über 60. Treppensteigen wurde ihm mühsam. Deswegen wollte er einen einstöckigen Bau. Außerdem war es ihm und seiner Frau in der City zu laut geworden. Das ferne Brüllen der Raubtiere und das Schreien exotischer Vögel aus dem nahen Tiergarten hatte den beiden behagt. Nun aber brummten Am Tauentzien die Geschäfte. Das KaDeWe und andere Kaufhaustempel zogen eine Massenkundschaft an. Die Noldes suchten das Weite.

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Mies van der Rohe war in Hochform, als der Maler mit dem Ansinnen, in ruhiger Gegend eine Künstlervilla zu bauen, an ihn herantrat. 1929 war das Jahr der Entstehung des legendären Barcelona-Pavillons, der den Ruhm des Architekten begründete. Merkmale des Baus sind fließende Räume und das Spiel von Innen und Außen, Offen- und Geschlossenheit. Der Entwurf für die Nolde-Villa ähnelt dem Barcelona-Pavillon, wie Modelle in der Berliner Schau belegen.

Eine lang gezogene Glasveranda strahlt kühle Eleganz und Offenheit aus. Als Atelierraum ist merkwürdigerweise ein kleiner, fensterloser Raum vorgesehen. Gleich nebenan liegt ein repräsentativer Showroom. Bereits in seinem mondänen Stadtappartement hatte der geschäftstüchtige Künstler eine hausinterne Galerie zur Präsentation eigener Werke. Dort verkehrten nach Angaben von Noldes Frau Ada „Japaner, Kunsthändler, Justi, Kaminski, Klees, Inder und sonst allerlei Menschen“.

Doch Mies van der Rohe verschleppte offenbar die Planung. Auch explodierten die Kosten. Die Nolde-Villa blieb zum großen Bedauern des Künstlers unrealisiert. In einem Brief an einen Freund klagt der Maler: „Die schöne Bauidee mussten wir aufgeben, ein Ideal wurde damit zu Grabe getragen.“

So blieb es bei Seebüll als einzigem Haus, das ganz den Vorstellungen Noldes entsprach. Das sonderbar gestaltete Wohn- und Ateliergebäude auf einer Warft bei Neukirchen in Nordfriesland entwarf der Künstler 1927. Die Fassade richtete er nach dem Lauf der Sonne aus. In Berlin sind minutiös gezeichnete Entwurfspläne des Künstlers zu sehen.

Noldes Kunst wurde stark von den jeweiligen Wohnatmosphären geprägt. Als frisch verheiratetes Paar stoßen Emil und Ada Nolde beim Wandern auf der Ostseeinsel Alsen auf eine leer stehende Fischerkate am Waldrand. Die beiden mieten das Häuschen für wenig Geld. In dem Gemälde „Haus am Walde“ von 1908 erscheint es als Märchenhaus. Wald, Himmel und Haus sind durch wogende Pinselstriche zu einer flirrenden Melodie verwoben. Die warmen Farbtöne des sonnenbeschienenen Häuschens spiegeln sich in bunt gesprenkelten Heudiemen.

Auch das 1916 bezogene und aufwendig renovierte Bauernhaus Utenwarf bei Ruttenbüll an der Nordsee, das mehrere Monate im Jahr geflutet war, fand Eingang in Bilder. Ebenso Seebüll. Die Nolde-Häuser erscheinen auf Gemälden und Aquarellen oft wie wackere Festungen in gewaltig aufgepeitschter Natur mit dunkel drohenden Himmeln.

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Die Nolde Stiftung beleuchtet in Seebüll und seit 2007 auch in der Berliner Dependance regelmäßig Aspekte von Noldes Schaffen und Leben. Es ist eine herrliche Idee, die Geschichte entlang den verschiedenen Heimstätten der Noldes aufzurollen. Dem Betrachter bleibt es überlassen, sich auszumalen, wie Nolde wohl die abgezirkelte Mies-van-der-Rohe-Villa seiner expressiven Bildwelt eingepasst hätte.

„Vom Fischerhaus zur Stadtvilla“, bis 7. Oktober, Seebüll-Dependance Berlin, Jägerstraße 55, täglich 10 bis 19 Uhr. Daneben zeigt die Liebermann-Villa am Wannsee, Colomierstraße 3 in Berlin, bis 20. August „Max Liebermann und Emil Nolde - Gartenbilder“, täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr.

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