Verfällt die deutsche Sprache?
Manchmal stimmen alle Bedingungen, aber das Ergebnis bleibt doch unbefriedigend. Trotz hochkarätigen Podiums, wie etwa mit Erfolgsautor Bastian Sick, entwickelt sich kein echtes Streitgespräch über die Frage wie sich unsere deutsche Sprache entwickelt.
Dabei sind sich die Diskutanten durchaus uneins: Sprachschützer Gerd Schrammen vom Verein deutsche Sprache setzt sich vehement gegen die Verwendung von Anglizismen ein. Er sagt: „Die deutsche Sprache verfällt nicht, sie wird misshandelt und beschädigt.“ Und: „Jede Verwendung eines Anglizismus ist eine kleine Unterwerfung unter die Weltmacht USA.“ Die Linguistin und Redakteurin Andrea-Eva Ewels von der Gesellschaft für deutsche Sprache meint, dass der Sprachwandel ein natürlicher Prozess und der Anteil an Anglizismen im Deutschen nicht weiter besorgniserregend sei. Sie sagt: „In der Klage über den Sprachverfall zeigt sich oft die Angst vor Neuem.“ Der Sprachwissenschaftler Klaus Bayer macht einige kritische Anmerkungen zur Linguistik, die Sprache nur beschreiben, aber keine Normen setzen will. Er sagt: „Die heutige Linguistik brüskiert das Sprachbewusstsein.“
Bastian Sick, der millionenfach Bücher zu Problemfällen der deutschen Sprache verkauft hat, positioniert sich gemütlich in der Mitte zwischen den beiden Lagern: Eine zu sehr normativ ausgerichtete Sprachwissenschaft scheint ihm ebensowenig zu behagen wie eine Sprachwissenschaft, die nur beschreiben will. Er sagt: „Es gibt viele Wahrheiten zwischen Himmel und Erde“ – und erzählt dann höchst unterhaltsam von eigenen Spracherfahrungen. Zur Frage nach den Anglizismen sagt er, dass ihm früher niemand geraten habe, statt Cornflakes Maisflocken zu sagen. Sick redet vom „Abenteuer deutsche Sprache“ und davon, dass er bei seinen Sprachbeobachtungen immer noch dazulerne. Auch das Thema Sprachwandel scheint er eher amüsiert als alarmiert zu beobachten: „Ich gehöre ja der Generation geil an. Mein Vater sagte, es sei nicht korrekt, das Wort geil zu verwenden. Heute sagen die Jugendlichen korrekt, wenn sie geil meinen.“
Das Publikum lacht. Und die anderen Gesprächsteilnehmer haben dem Charme, der Eloquenz und dem Witz des Bestsellerautors nichts entgegenzusetzen. So wird der Abend zur lustigen Sick-Show, immerhin bei freiem Eintritt. Der Autor als Alleinunterhalter präsentiert einige schöne Fehlerfundstücke. Er erzählt von einer „hautstrafenden Körperlotion“, von der „Abfrackprämie“ und von der Frau, die keine Anglizismen mehr verwenden will und statt „Catering“ nun einfach „Partyservice“ sagt. Der Saal tobt.
Immerhin macht Bastian Sick nicht nur Witze, er hat auch eine These mitgebracht: Seine Erklärung, wieso so viele Menschen meinen, die Sprache sei gerade besonders stark im Niedergang begriffen, klingt einleuchtend: Durch das Internet und die Handykommunikation wird heute mehr geschrieben als je zuvor. Jeder kann sich seine Plakate und Anzeigen selber gestalten. Damit findet eine „Entprofessionalisierung“ des schriftlichen Ausdrucks statt. Früher haben Schildermaler und die Zeitungsmitarbeiter bei der Anzeigenausnahme korrigierend eingegriffen. Diese Korrekturen der Sprachprofis fehlen heute. So kommt es vermehrt zu skurrilen Fehlern – die Sick dann für seine Bücher nutzen kann.
Nächster „LinguA“-Vortrag: Am 9. November spricht Klaus-Dieter Ludwig über Archaismen. Der Titel: „Weiland schritt ich fürbaß durch die heimischen Lande“.
HAZ