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Interview mit Peter Dabrock

Warum Theologie in der digitalen Welt Orientierung bieten kann

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.

Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.

Hannover. „Versinkt der Mensch im Datenstrom?“ ist die Frage, die Sie mit anderen beim Hanns-Lilje-Forums diskutieren  werden. Das ist ja nach dem tödlichen Unfall mit einem autonom fahrenden Auto wieder sehr aktuell.

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In der Tat. Auch der Datenskandal bei Facebook passt hervorragend zum Thema.

Was hat die Kirche dazu zu sagen?

Ich bin evangelischer Theologe, aber ich bin kein Kirchenvertreter. Als theologischer Ethiker kann ich sagen, dass wir derzeit eine grundlegende Transformation unserer Kommunikationsweisen erleben. Bei der digitalen Transformation werden vermeintlich sicher geglaubte Kommunikationspfade brüchig und wir erleben nicht nur, dass wir uns selbst neu erfinden, sondern auch, dass wir als Menschen im Datenstrom neu erfunden werden.

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Das würden Nicht-Theologen wohl auch so sehen.

Zur theologischen Perspektive komme ich gleich. Wir werden konfrontiert mit Bildern, die sich Datenkonzerne von uns machen. Bei solchen Herausforderungen, bei denen es um das eigene Selbstverständnis geht, um das Freiheitsverständnis und um das Verständnis von Gesellschaft und Gemeinschaft, tun sich ethische und theologische Perspektiven auf.  Gerade die evangelische Theologie hat ein starkes Verständnis von relationaler Freiheit und auch von Gerechtigkeit. Das sind zwei wichtige ethische Orientierungen, die durch die digitale Transformation herausgefordert werden.

Die Titelfrage, ob der Mensch im Datenstrom versinkt, deutet an, dass der Mensch nicht mehr im Zentrum steht, sondern randständig zu werden droht. Empfindet ein Theologe das als Kränkung?

Kränkung ist keine Kategorie, mit der ich arbeiten würde. Entscheidender ist die Frage, ob die verantwortliche Selbstbestimmungsfähigkeit und die Gemeinwohlfähigkeit des Menschen durch den digitalen Wandel gefährdet werden. Wir freuen uns, dass wir Google-Maps und andere Dienste nutzen können, und beachten dabei kaum, dass wir uns in Abhängigkeit begeben. Mir geht es darum, eine Sensibilität dafür zu erzeugen, dass die großen Digitalkonzerne um uns herum ein Netz  spinnen, aus dem wir uns vielleicht nur schwer wieder befreien können. Es besteht die Gefahr, dass soviel über uns gewusst wird, dass es irgendwann zu spät ist für eine wirkliche Selbstbestimmung. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass jeder die Möglichkeit hat, sein Leben jenseits eines Mainstreams zu gestalten, der von großen Konzernen festgelegt wird.

So könnte auch ein Atheist argumentieren. 

Ich glaube nicht, dass theologische Ethik Sondergruppensemantik ist. Ethik ist eine Antwort auf allgemeingesellschaftliche Fragen, bei denen es auch eine große Überscheidung mit nicht theologischen Positionen geben kann. Ich versuche meine christlich geprägten Vorstellungen stets so zu formulieren, dass sie möglichst viele Menschen erreichen, egal, ob sie glauben oder nicht.

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Trügt der Eindruck, dass die Ethik der rasanten technischen Entwicklung immer hinterherläuft?

Ja, der Eindruck trügt. Denken Sie nur an die sogenannten autonomen Fahrzeuge. Zur Zeit fährt in Deutschland keines dieser Fahrzeuge, ohne dass ein Mensch dabei eingreifen kann. Es sitzt immer ein Mensch mit am Steuer. Aber die ethische Debatte zum Thema autonomes Fahren hat in den vergangenen fünf Jahren Bibliotheken gefüllt.  Gerade diskutieren wir im Deutschen Ethikrat über Keimbahn-Interventionen mit den neuen Möglichkeiten des Genom-Editing, aber Veränderungen am Genom des Menschen wurden noch nicht vorgenommen. Das heißt: Die Ethik läuft der Entwicklung nicht hinterher.  Gerade in den ambitionierten Wissenschafts- und Technikbereichen findet ein ethischer Diskurs statt, lange bevor die Techniken implementiert werden. Man könnte sich  eher fragen, warum das in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird.

Algorithmen dringen in immer mehr Lebensbereiche ein. Können Sie sich vorstellen, dass auch ethische Entscheidungen maschinengesteuert möglich sind? Könnten Maschinen möglicherweise sogar eine bessere Ethik entwickeln als Menschen? 

Vorstellen kann ich mir viel. Ob es sinnvoll ist, ist etwas anderes. Sagen wir es so: Die letzte Beurteilung in einem ethischen Konflikt sollte der Mensch treffen, denn es geht um Urteilskraft, eine Fähigkeit, die Maschinen von sich aus nicht haben. Aber bei der Abklärung, ob man vielleicht etwas vergessen hat, kann ich mir mit kritischem Vorbehalt vorstellen, Unterstützung durch Maschinen zu erhalten. Aber essentiell wäre, dass ihr Algorithmus transparent ist.

Zur Person: Peter Dabrock ist Professor für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, dem er seit 2012 angehört; er ist Mitherausgeber der „Zeitschrift für Evangelische Ethik“ sowie Mitglied in der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD.

„Versinkt der Mensch im Datenstrom? Sozialethische Herausforderungen von Big Data und lernenden Maschinen“ ist das Thema des Hanns-Lilje-Forums am Mittwoch, 4. April, um 18 Uhr in der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover. Peter Dabrock diskutiert mit Enno Pigge, Pressesprecher für Technik und Innovation der Continental AG Hannover.

Das Hanns-Lilje-Forum am Mittwoch, 9. Mai, widmet sich um 18 Uhr dem Thema „Menschsein zwischen 0+1 – Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen“. Auf dem Podium: der Mediziner, Schriftsteller und Kabarettist Eckart von Hirschhausen sowie Eckhard Nagel, Professor für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, und Jürgen Graalmann, Geschäftsführender Gesellschafter des Büros „Die BrückenKöpfe“.

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Von Ronald Meyer-Arlt

HAZ

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