Schick aus den Siebzigern

Waschbeton verschwindet aus dem deutschen Stadtbild

Der Waschbeton muss gehen. Die Raufasertapete der Außenarchitektur. Graustufe der jüngeren Baugeschichte. Kieselglanz und Betonbrutalismus verbinden sich in diesem Stoff, der in den sechziger und siebziger Jahren als Bodenplatte, Pflanzenkübel oder Fassadenelement zum Einsatz kam. Heute erscheint er als Synonym für urbane und suburbane Sünden, ja, als Strafe, die sich Architekten ausgedacht haben, um die Welt zu vergrau(l)en.

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Dabei war der Waschbeton – dank einer speziellen Oberflächenbehandlung bleiben bei dieser Betonart eingelegte und nachträglich reingewaschene Kiesel sichtbar – einmal groß in Mode. Wer eine Siebzigerjahrekindheit erlebt hat, erinnert sich vielleicht an das prickelnde Gefühl beim Barfußlaufen über neue Waschbetonwege im Freibad. Waschbeton im Nachbarsgarten war toller als der Naturstein, den die eigenen Eltern verlegten. Wer jedoch heute „Waschbetoncharme“ sagt, meint gebaute Banalität, gesichtslose Fußgängerzonen, Wohnklötze in Präkariatsvierteln.

Und so klingt es nach glücklicher Vollzugsmeldung, wenn eine Kommune sagen kann: Der letzte Wohnblock in Waschbetonoptik ist verschwunden! In Bremerhaven geschah das vor wenigen Monaten – dank Wärmesanierung. Auch in Ostdeutschland verschwinden raue Plattenbaufassaden nach und nach unter soften Dämmplatten. Die neuen Wärmedämmvorschriften machen alten Fassaden den Garaus – unsere Städte wandeln ihr Gesicht. Wenn frühmoderne Klinkerbauten oder tortenhaft verschnörkelte Fassaden des 19. Jahrhunderts hinter Dämmstoff verschwinden, wird lautstark protestiert. Manche reden angesichts des Dämmeifers gar von der größten Zerstörung der architektonischen Substanz seit Kriegsende. Aber wo ist die Waschbetonlobby? Man fragt sich allmählich: Steckt in dem Allerweltsstoff gar kein Umwertungspotenzial? Plateauabsätze und Schlaghosen haben doch auch Revivals erlebt.

In Hannovers Innenstadt wird gerade ein Siebzigerjahrekoloss, das Kröpcke-Center, durch die Architekten Kleihus und Kleihus so umgebaut, dass nichts von der ursprünglichen Anmutung übrig bleiben wird: ein symbolträchtiger Akt. Ekkehard Bollmann gehörte zum Architektenteam, das Anfang der siebziger Jahre die Betonburg errichtete. Bei der Fassade seien Leinekiesel zum Einsatz gekommen, erklärt der Architekturprofessor. Sie seien mit Sandstrahlverfahren so behandelt worden, dass sie splitterten. Das Ergebnis sei sogenannter „Strukturbeton“. Dieser sei rauer als Waschbeton. In gerillter Form, zu sehen in den unteren Etagen des Centers, spreche man von „scharriertem Beton“. Intern habe man dazu auch „Elefantenbeton“ gesagt.

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„Wir waren damals von dieser Grobheit fasziniert. Das Rustikale war geradezu unser Ziel. Wir wollten uns als junge Architekten von der glatt gewordenen Sechzigerjahrearchitektur abgrenzen.“ Bewundernd blickte der Kröpcke-Center-Erbauer damals in die USA. Das blockhafte Rathaus in Boston und die Architekturfakultät in New Haven waren stilbildend, aber auch Gottfried Böhms Bensberger Rathaus und dessen massive Wallfahrtskirche in Neviges. Das sind Hauptwerke des sogenannten „Betonbrutalismus“. Der architekturhistorische Begriff leitet sich wertneutral von „beton brut“ her, rohem Beton.

Wolfgang Schneider, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, meint, dass bei den „megalomanen Projekten“ aus jener Zeit, dem Ihme-Zentrum in Hannover, dem Aachener Großklinikum oder der Berliner Gropiusstadt, die verwendeten „Materialien und ihr Gebrauchszweck demonstrativ nach außen“ gekehrt worden seien. Und hier sei auch der Waschbeton ins Spiel bekommen. „Raue Ästhetik“ und Brutalismus habe damals, so Schneider, auch „brutal ehrlich“ bedeutet. „Gewollt war eine Ästhetik größerer Sinnlichkeit. Die körnigen Oberflächen oder Schalungsspuren sollten tastbar, die Formen in ihrer desolaten Umwelt durchsetzbar sein.“

Anfang der sechziger Jahre begründete der legendäre Architekt und Designer Max Bill die Verwendung von sandfarbenen Waschbetonplatten bei einem standardisierten Verwaltungsbau in Leverkusen damit, Stoff und Farbe fügten sich perfekt in die Industriegegend ein. Doch auch eine Anmutung von Natürlichkeit wurde dem Waschbeton wegen der Naturkieselstruktur beigemessen. So wurden 1971 in einem „Spiegel“-Beitrag „Waschbeton und Dauergrün“ in einem Atemzug genannt. Mit diesen beiden Elementen, so hieß es, solle eine Hamburger Fußgängerzone „belebt“ werden.

Doch schon nach wenigen Jahren war das brutal Ehrliche brutal hässlich. Aus dem Bau- war ein Buhstoff geworden. Nicht zuletzt, weil sich Rostfahnen, Wasserflecken und Moosbefall gebildet hatten. Der Wunderstoff Beton, der „Marmor der Moderne“, war nicht immun gegen Korrosion. „Es ahnte damals niemand, dass ein ganzer Gewerbezweig von Betonsanierungen leben würde“, sagt Kammerpräsident Schneider. „Wir haben nicht vorhergesehen, dass das Material schlecht altert. Man müsste die Platten abkärchern, doch wer tut das? Patina kann edel sein, im Fall des Kröpcke-Centers ist sie aber eigentlich nur dreckig“, seufzt Bollmann.

Tatsächlich ist der funktional erscheinende Stoff sehr pflegeintensiv. Den an der Hochschule Weingarten lehrenden Kunstprofessor und Satiriker Martin Oswald verleitete das zu dem Verdacht, „dass es gar nicht der traurige Architekt war, dem wir den Waschbeton unter die Schuhe schieben dürfen, sondern die Baumarktindustrie im Verbund mit dem Weltverband gelangweilter Hausmeister: Verkauf und Pflege des Waschbetons wurden zum schönen Selbstzweck.“ Für Oswald ist Waschbeton kein sinnliches Material, sondern als „Symbol der Entsinnlichung an vorderster Stelle der architektonischen Abwege“.

Müssen wir dem Waschbeton also Tschüss sagen? In avancierten Design- und Architekturzirkeln hat bereits die Umwertung begonnen. So wurde etwa 2001 die Fassade der Fachhochschule in Dessau vom Kölner Büro Kister Scheithauer Gross mit feinem Waschbeton gestaltet, der mit grünen Pigmenten schick eingefärbt wurde. Und in avancierten Berliner Architektenkreisen ist die Waschbetontapete angesagt. Es gibt sie wahlweise auch in Sichtbetonoptik.

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Johanna di Blasi

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