Weihnachten

Wie uns die Alten sungen

Weihnachten ist auch die Zeit der Musik: Es wird viel gesungen, nur was eigentlich?

Weihnachten ist auch die Zeit der Musik: Es wird viel gesungen, nur was eigentlich?

Hannover. Es ist paradox: Wenn wir überhaupt noch alte Liedtexte auswendig kennen, dann die von Weihnachtsliedern. Doch ausgerechnet das, was wir so gut zu kennen glauben, verstehen wir kaum noch. Der „guten Mär“, dem „höchsten Bord“ und der „Art“ eines gewissen Jesse begegnen wir einmal im Jahr - und lassen sie ratlos an uns vorbeiziehen. „Oft sind es gerade die sehr vertrauten Texte, die uns bei näherem Hinsehen besonders fremd sind“, sagt Dominik Brückner vom Mannheimer Institut für Deutsche Sprache. Der Germanist, der am Deutschen Fremdwörterbuch mitarbeitet, hat sich intensiv mit der Sprache von Weihnachtsliedern beschäftigt, die über die Jahrhunderte oft Patina angesetzt hat.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„In alten Texten gibt es viele Wörter, die wir heute gar nicht mehr verstehen - oder nicht mehr so, wie sie einst gemeint waren“, sagt er. Viele Begriffe sind im Lauf der Sprachgeschichte verschwunden, oder ihre Bedeutung hat sich verschoben. Doch entschlüsselt man die kryptischen Texte der Weihnachtslieder, eröffnen sich oft theologische Welten.

  • "Einsam wacht" das traute hochheilige Paar in "Stille Nacht". Als das Lied um 1818 in Österreich entstand, war "einsam" noch kein sozialpsychologisches Phänomen: "Es bedeutet hier etwa ,einig, einträchtig'", sagt Sprachforscher Brückner. Negativ besetzt ist diese Einsamkeit nicht.
  • "Das traute hochheilige Paar" ist in "Stille Nacht" mitnichten ein verheiratetes, also getrautes Paar. Sondern laut Brückner ein Paar, das "geliebt, vertraut, anheimelnd" ist.
  • "Holder Knabe im lockigen Haar": Das Adjektiv "hold" gebrauchen wir fast nur noch scherzhaft für etwas, das schön ist. Im Mittelalter war die "Huld" die Treueverpflichtung zwischen Lehnsmann und Lehnsherr. Ein Holde stand im Dienstverhältnis zu seinem Herrn - und war im Idealfall das Gegenteil eines Unholdes. In "Stille Nacht" ist gemeint, dass das Jesuskind den Menschen besonders geneigt ist und ihnen in Treue viel Gutes tun will.
  • "Von Jesse kam die Art": Jesse ist der biblische Vater von König David - der Stammvater der Familie, aus der Jesus stammt. "Art" bedeutet in dem Lied "Es ist ein Ros' entsprungen" aus dem 16. Jahrhundert also Geschlecht, Familie oder Herkunft.
  • "Aus Gottes ew'gem Rat" hat Maria in "Es ist ein Ros' entsprungen" das Kind geboren. Mit "Rat" ist nicht gemeint, dass Gott der Jungfrau hilfreiche Tipps gegeben hat. "Es geht eher um das, was man braucht, um einen guten Rat geben zu können - um Weisheit und Entschlusskraft", sagt Brückner. Gottes Weisheit ist es also zu danken, dass Maria das Kind bekommt. Diese Art von Rat gibt es auch in "Macht hoch die Tür", das 1623 in Ostpreußen geschrieben wurde: "Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat".
  • "Uns zu versühnen" ist Christus in "O du fröhliche" erschienen. "Versühnen" ist eine alte Form von "versöhnen". Mit diesem Wort ist nicht nur gemeint, dass alle sich wieder vertragen, sondern es geht auch darum, dass Christus die Menschen von der Sünde freispricht.
  • "Gute, neue Mär" verheißt der Engel in Luthers "Vom Himmel hoch, da komm ich her". Heute wird "Mär" meistens abwertend gebraucht, für eine unwahre Geschichte. Zu Luthers Zeit war das noch nicht so: "Mär" hieß Kunde, Bericht, Erzählung. In diesem Fall ist die frohe Botschaft des Evangeliums gemeint.
  • "Von einer Jungfrau auserkor'n": Das mittelhochdeutsche Wort "kiesen" heißt "auswählen"; es steckt noch in Begriffen wie Kür, Kurfürst oder im englischen to choose. Im Lied "Vom Himmel hoch" kommt es in der Zeile "Euch ist ein Kindlein heut' geborn / von einer Jungfrau auserkorn" als nachgestelltes, unflektiertes Adjektiv vor. Eine altertümliche Sprachfigur, wie es sie heute noch in Wendungen wie "Forelle blau" oder "Emotion pur" gibt. Nicht das Kindlein wurde also von der Jungfrau auserwählt. Sondern eine ausgewählte Jungfrau hat das Kind geboren.
  • "Bis an sein höchsten Bord" ist das Schiff im Weihnachtslied beladen. Im Mittelalter hieß "Bord" nichts anderes als Rand - daher stammt unser heutiges Wort Borte. Mit dem randvoll beladenen Schiff ist in "Es kommt ein Schiff geladen" die schwangere Maria gemeint, die Jesus trägt. Der Schiffsrand ("Bord") wurde später zum Synonym für das ganze Schiff - wer sich innerhalb seiner Grenzen bewegte, war "an Bord".

Selbst das Wort „Weihnachten“ ist mittlerweile erklärungsbedürftig: Im Mittelalter gab es das Adjektiv „wîhe“, dass heute noch in Weihwasser oder Weihrauch steckt. Es bedeutete „heilig“. Man sprach von „den wîhen nahten“ - den Weihnachtsnächten. Im Plural wohlgemerkt, denn gemeint war nicht eine Nacht - es ging um mehrere Feiertage. Darum sei es bis heute korrekt, sich in der Mehrzahl „Frohe Weihnachten“ zu wünschen, sagt Brückner. Oder im Singular „Ein frohes Weihnachtsfest.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Hingegen ist „Ein frohes Weihnachten“ nicht das, was uns die Alten sungen.

Mehr aus Kultur regional

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken