Shaman: Er liefert die emotionale Show zu den Kriegspauken des Kreml
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Shaman (Yaroslav Dronov) singt vor einem dampfenden Kreuz in der Crocus City Hall in Moskau.
© Quelle: picture alliance / Picvario
Breitbeinig steht Shaman auf der Bühne. Mehr als breitbeinig. Er wirkt, als würde er auf einem wackeligen Schiff Halt finden wollen, als würde er sich gegen einen mächtigen Sturm stemmen. Er steht nicht einfach. Er hockt fast eher in seiner Latexhose und den hohen Plattformschuhen in einer Kniebeuge. Die weißblonden Haare fliegen in alle Richtungen, er lehnt sich ins frenetische Publikum und singt: „Ich bin Russe – der Welt zum Trotz.“
Shaman ist der neue Star im russischen Pop – und zwar genau seit der russischen Invasion in der Ukraine vor über einem Jahr. Am 23. Februar 2022 lud der Sänger seinen selbst geschriebenen Song „Vstanem“ (auf Deutsch: „Lass uns aufstehen“) auf Youtube hoch. Darin sang er: „Wir stehen auf, solange Gott und die Wahrheit mit uns sind“. Er wolle mit dem Song gefallenen Soldaten gedenken, schrieb er noch dazu. Am 24. Februar 2022 griffen Putins Panzer die Ukraine an. Und aus einem Lied über gefallene Soldaten wurde ein Soundtrack für die russische Propaganda.
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Denn Shaman sammelte neben vielen Millionen Abonnentinnen und Abonenten bei Youtube einen ganz bestimmten Anhänger: Wladimir Putin. Er stand im vergangenen Jahr bei staatlichen Festivals an Putins Seite, ist in seinen Dunst- und Gunstkreis aufgestiegen. Und songtechnisch hat er gleich mit „Ya Russkiy“ / „Ich bin Russe“ nachgeliefert. Darin feiert er die Überlegenheit Russlands und lässt am Ende selbst Aliens in den patriotisch-nationalistischen Refrain einstimmen. Shaman hat für Putin die russische Nationalhymne a cappella gesungen. Er wird durch kremlnahe Zeitungen und TV-Sendungen gereicht. Er ist in kürzester Zeit ganz oben angekommen im russischen Pop.
Shaman heißt eigentlich Yaroslav Dronov und hat sich seinen Künstlernamen erst 2020 verpasst. Der 31-Jährige wird gern als Shootingstar bezeichnet. Doch neu ist er im Business nicht, auch wenn er erst seit etwa einem Jahr in Russland wirklich bekannt ist. In früheren Interviews spricht er davon, dass er Musik macht, seitdem er vier Jahre alt ist und in seiner Jugend in Folklore-Chören auftrat. Es folgte eine klassische musikalische Ausbildung in den Talentschmieden Russlands, ein Studium von Pop- und Jazz-Gesang. „Shamans Ausbildung ist amtlich“, sagt David-Emil Wickström, Ethnomusikologe an der Popakademie Mannheim im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der selbst mehrere Jahre in Russland gelebt hat. Er sei für eine solche Karriere in der kulturellen Elite Russlands quasi prädestiniert.
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Shaman mit seinen Markenzeichen: weißblondes Haar, Holzkreuz und Russlandbinde am Arm.
© Quelle: picture alliance/dpa/TASS
Kurzer Ruhm mit Castingshows
Fünf Minuten Ruhm strahlten 2013 und 2014 auf Shaman herab. Er nahm an der russischen Version der Castingshows „X Factor“ und „Voice of Russia“ teil und landete jeweils auf dem zweiten und dritten Platz. Er sprach über seine kleine Tochter und kam kurze Zeit später bei der Band „Chaspik“ („Rushhour“) unter. Doch die Spuren verlieren sich aus den zehn Jahren zwischen den Castingshows und seinem Durchbruch mit „Vstanem“. Auf Spotify gibt es noch einige Lieder von damals. „Seine Songs aus der Zeit sind eher apolitisch mit stärkeren folkloristischen Elementen und Ethno-Einschlägen“, so Wickström.
Als Shaman noch Yaroslav Dronov genannt wurde, guckte er in den Videos schüchtern nach oben, nach unten, in alle Ecken. Nur nicht in die Kamera oder in die Augen des Gegenübers. Er sah mit Anfang 20 aus wie das Paradebeispiel für ein Boygroupgesicht: glattrasiert, sorgsam nach oben gegelte Haare. Zehn Jahre später war die verhuschte Mimik von Yaroslav Dronov einem süffisanten Lächeln gewichen. Dem glänzenden Zweireiher auf der Castingshowbühne ein Lack- und Lederoutfit. Der Gelfrisur ein Undercut.
In Interviews mit kremltreuen Zeitungen betont Shaman immer wieder, dass er all seine Texte selbst schreibe und sie reiner Ausdruck seines Gefühls seien. Er präsentiert sich als Selfmade-Man. Doch ist es wirklich ein Zufall gewesen, dass der 31-Jährige am Vorabend der Ukraine-Invasion das passende Lied dazu lieferte? Dazu könne man nur spekulieren, meint Wickström. Putin könne ihn sich aber auch ausgesucht haben. Sicher ist: „Shaman passt genau in Putins Bild von Russland. Er ist weiß, trägt sein großes Holzkreuz gut sichtbar, singt über seinen russisch-orthodoxen Glauben“, sagt der Ethnomusikologe Wickström.
Im November 2022 hat Shaman eine neue Version des Songs „Vstanem“ veröffentlicht. An seiner Seite: Die Crème de la Crème der russischen Estrada. Estrada? „Estrada ist die offizielle Populärmusik in Russland“, erklärt Wickström. Sie sei nahe an den Eliten. Am ehesten sei diese Strömung für unsere Hörgewohnheiten noch mit deutschem Schlager zu vergleichen. „Die Musik geht auf die 1910er-Jahre zurück und hat seine Ursprünge unter anderem im Zirkus.“ Putin hat viele dieser Sängerinnen und Sänger um sich gescharrt: Oleg Gazmanov beispielsweise oder Grigory Leps. Die Leitung für die Kollaboration hat Igor Matvienko übernommen, der für Putin bereits im Kulturrat gearbeitet hat. Und nicht nur politisch ist er mit dem russischen Präsidenten verbunden: Die von Matvienko produzierte Rockband „Ljube“ ist immerhin Putins Lieblingsband. „Shaman ist heute sehr gut eingebettet in die russische Populärmusik. Man kann durch den Produzenten Igor Matvienko die Verbindung zu Putin gut nachverfolgen“, erklärt Wickström. Doch man sieht eines in dem neuen Musikvideo von „Vstanem“, das im Übrigen mit Bildern aus der Ukraine-Invasion bestückt ist: Shaman ist in Putins Sängergarde ein verhältnismäßig junges Gesicht.
Putins Verhältnis zur Musik war immer von einer nationalistischen Idee geprägt. Eine seiner ersten Amtshandlungen nach seiner Wahl im Jahr 2000 betraf die russische Nationalhymne. Die zum Amtsantritt aktuelle und nach dem Kollaps der UdSSR neu komponierte Hymne ließ er durch die alte sowjetische ersetzen. Er ließ zwar einen neuen Text dichten, doch erhielt sie dadurch eine Art doppelten Boden: Sie erinnert bei jedem Spielen an die kolonialistische sowjetische Vergangenheit. Doch dabei blieb es nicht. „Anfang der 2000er versuchte Putin, sich die russische Rockszene einzuverleiben. Später folgten dann Hip-Hop und Rap“, erklärt Wickström im Gespräch. 2018 beriet sich Putin dazu mit dem Produzenten Matvienko in einer Sitzung des Kulturrats: Rap und Hip-Hop sollten in die Dienste des Landes gestellt werden. Wenn er Hip-Hop nicht verhindern könne, solle er wenigstens vom Kreml kontrolliert werden, so das Credo.
Shaman als Fürst Vladimir
Shaman hat sich in die Dienste Putins gestellt. Das zeigen die vielen staatlichen Musikprojekte, bei denen er mit eingestiegen ist. Der Produzent Matvienko hat 28 Millionen Rubel (350.000 Euro) erhalten, um die Ethno-Oper „Fürst Vladimir“ zu produzieren. In der Hauptrolle? Shaman.
Welche Funktion Shaman erfüllt, lässt sich auch bei Konzertberichten erfahren. Während sich Putin hinter den hohen Mauern des Kremls zurückzieht, ist Shaman ganz nah an den Leuten. Er singt mit den Fans, fängt Blumen, spricht das Publikum an. In Interviews zeigt er sich als einfacher Familienvater, der hart arbeitet. Er ist Nähe, wo Putin Distanz ist.
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Bei einem Konzert von Shaman in Moskau regnet es weiß, blau und rot.
© Quelle: picture alliance / Picvario
Derzeit tourt der Sänger mit seiner „Ya Russkiy“-Tour durch russische Städte. 100 Shows in sechs Monaten. Laut Webseite alle in ausverkauften Häusern. Die beinahe schlichten Bühnenshows lassen sich auf den ersten Blick so gar nicht mit Putins Selbstinszenierung vor übergroßen Schreibtischen und pseudobarockem Interieur zusammenbringen. Shaman wirkt erst einmal wie ein ganz normaler Popstar, mit LED-Tafeln und Flammenwerfern und einem Hang zu offenen Hemden – wäre da nicht die Binde in Weiß-Blau-Rot an seinem rechten Arm. Auch vor der Bühne wogt oft ein Meer von Russland-Fähnchen. Laut Zeitungsberichten werden die gerne mal von den Organisatoren vor der Show verteilt. Shaman liefert die emotionale Show zu Putins Kriegspauken. Am Ende eines jeden Konzertes erklingt die Nationalhymne. „Religion ist auch Politik. Russland ist nicht so monoethnisch und monoreligiös, wie Shaman und Putin es darstellen“, gibt Wickström von der Popakademie Mannheim zu bedenken. Der 31-jährige Sänger sei eindeutig pro Krieg und pro Putin.
Das zeigen auch seine Handlungen. Der Sänger war vor fünf Wochen, beinahe pünktlich zum Jahrestag der Invasion, in der besetzten Ostukraine, um vor russischen Soldaten zu spielen. Er war in Mariupol, Luhansk und Donezk. „Dabei sprach er von einer Tour durch ‚Neurussland‘“, erklärt Wickström. „Das ist eine alte Bezeichnung für das südöstliche Russland – und es sind genau die Worte, die Putin für die Ostukraine verwendet.“
Imagewandel zum Jahrestag der Invasion
In seinem neuesten Song, den er am 23. Februar 2023 auf Youtube veröffentlichte, begibt sich Shaman in die Beichte. Er schleppt sich im Schnee zu einer russisch-orthodoxen Kirche, stößt mit letzter Kraft die Türen auf und fällt in Zeitlupe auf die Knie. Die blonden Dreads, bis dahin sein Markenzeichen, schneidet ihm ein Priester ab. Shaman erhebt sich mit Undercut. Er strahlt in weißem Büßergewand. Er ist das Letzte losgeworden, das nicht hundertprozentig in das Bild des weißen Russlands passt: die Dreads.
Laut der „Komsomolskaja Prawda“ ist Shaman zum bestbezahlten Sänger Russlands aufgestiegen – mit 41.000 Euro pro Konzert. Bei 100 Konzerten ist er bereits bei mehr als vier Million Euro. Auch der Ethnomusikologe Wickström glaubt: „Shaman wird jetzt in Russland gut leben – aber nur, solange seine Texte passen.“ Die anderen Musikerinnen und Musiker, deren Texte nicht gepasst haben, die sich öffentlich gegen Putin gestellt haben, haben Russland verlassen.