Mythen und Popkultur

Von Abba bis Zeus – eine kurze Geschichte des Avatars

Keine echten Avatare: Björn Ulvaeus (v. l.), Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson in den Motion-Capture-Anzügen für das Londoner Abba-Spektakel. Mit ihren Abbataren sind die vier Popstars nicht verbunden.

Keine echten Avatare: Björn Ulvaeus (v. l.), Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson in den Motion-Capture-Anzügen für das Londoner Abba-Spektakel. Mit ihren Abbataren sind die vier Popstars nicht verbunden.

Die Na‘vi kehren zurück. Nach 13 Jahren. Leuchtend blaue Eingeborene auf einem fernen Planeten, in absolutem Einklang mit der Natur, in James Camerons Film „Avatar“ (2009) bedroht von Menschen, die – was sonst? –- die N‘avi-Heimat ausbeuten wollen. Und wieso hieß der Film „Avatar“? Nun, der Avatar war der entscheidende Part in einer der größten Kino-Lovestorys aller Zeiten.

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Denn Jake (Sam Worthington), der querschnittsgelähmte Menschenkrieger, gab für die Na‘vi-Frau Neytiri (Zoe Saldana) seine biologische Zugehörigkeit zur Spezies Homo sapiens sapiens auf und nahm stattdessen seinen aus Menschen- und Na‘vi-DNA erzeugten Alienkörper – den Avatar – per Na‘vi-Magie an. Den hatte er zu Spionagezwecken übernommen und ferngelenkt. Und am Ende des Films konnte er für immer bei der außerirdischen Liebsten bleiben, mit ihr über die Baumriesen des Mondes Pandora springen und bunte Flugdrachen reiten.

Wenn Gott Vishnu zu den Menschen herabstieg, nutzte er Avatare

Ein Avatar ist also eine künstliche, zuvor „leere“ Hülle in Gestalt eines Lebewesens, die von einem Benutzer gesteuert wird. Den Begriff hat Cameron nicht geprägt, er ist uralt, stammt aus dem Sanskrit und steht im Hinduismus für das Herabsteigen eines Gottes in die menschlichen Gefilde. Gott Vishnu hatte zehn „Avatara“ – vom Fisch, der in der großen Flut die Arche zog (Matsya), über einen Rieseneber (Varaha) bis zu einem Menschen – mal mit Löwenkopf (Narasimha), mal in kompletter Menschengestalt (Parashurama).

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Der griechische Oberolympier Zeus nutzte zur Befriedigung seiner fleischlichen Gelüste die Gestalt eines Schwans (Affäre mit Leda) oder eines Stiers (Affäre mit Europa). Klingt nach Avataren.

In den Achtzigerjahren kam der Avatar im Videospiel auf

Der Begriff Avatar ist heute am vertrautesten als Stellvertreter eines Spielenden in Videospielen. Dort tauchte der Begriff erstmals Mitte der Achtzigerjahre auf. In ihrem 2003 erschienenen Standardwerk über Game Design, „Rules of Play“, erklären Katie Salen und Eric Zimmerman (wobei sie vom „Protagonist“ oder von der „Persona“ sprechen) den Avatar als „ein Werkzeug, eine Marionette, ein Objekt, das der Spieler nach den Regeln des Spiels manipulieren kann“.

Durch das der Spieler sich stärker in die Spielsphäre hineinversetzt, wodurch diese Beziehung – bei allem Wissen um die Künstlichkeit des Konzepts – „intensiv und emotional ‚eindringlich‘ sein kann“.

Im Remake von „Jumanji“ ging es um ein magisches Videospiel

Was in Jake Kasdans Klamauk-Remake „Jumanji: Willkommen im Dschungel“ (2017) ersichtlich wird. Da werden vier Teenager im magischen Videospiel „Jumanji“ in eine realistisch anmutende Dschungelwelt in physisch gegenläufige Avatare versetzt: Der Nerd Spencer (Alex Wolff) wird zum Muskelmann Bravestone (Dwayne Johnson), die graue Klassenmaus Martha (Morgan Turner) zur sexy Kung-Fu-Kämpferin Ruby Roundhouse (Karen Gillan) und so weiter. Um in die Wirklichkeit zurückzukehren, müssen sie ein Juwel finden, es an einen bestimmten Ort bringen, einen Unhold und seine Schergen besiegen – mehr oder weniger die üblichen Videospielaufgaben.

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In der Handlungswelt von James Camerons „Avatar“ ist die Avatar-Technik schon so ausgereift, um im wirklichen Leben gewinnbringend angewandt zu werden. Der Mensch kann eine Na‘vi-Kopie ausfüllen und so versuchen, die Ureinwohner von Pandora auszutricksen.

Nicht jede fremdgesteuerte Filmfigur ist ein Avatar

Nicht jede fremdgesteuerte Figur in der Populärkultur ist ein Avatar. Der Schlafwandler, der in Robert Wienes „Das Cabinet des Caligari“ (1920) mordend durch das Städtchen Holstenwall zieht, ist eine eigene Existenz und lediglich dem Willen eines skrupellosen Wissenschaftlers unterworfen (ähnlich einem Hypnotisierten oder dem klassischen Zombie, dem Diener eines Voodoo-Priesters). Der ihn kontrollierende Caligari erlebt nicht, was der Kontrollierte erlebt.

Näher kommt einem Avatar das Monster in „Frankenstein“. Die Leichenteile stammten in James Whales Verfilmung von 1931 (nicht aber im Roman von Mary W. Shelley) von frisch gehenkten Verbrechern, das Gehirn gar von einem Mörder. Das Monstrum, gemieden, gemobbt, verstoßen von seinem Schöpfer, mordet schließlich auch. Nie aber tritt der ursprüngliche Besitzer des Gehirns im ungestalten Monsterkörper in Erscheinung, um diesen als neu und fremd zu erkennen.

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Der Roboter entkommt seiner Programmierung

Die anderen Kunstwesen der Science-fiction bewegen sich eher aus ihrer Fremdbestimmung hinaus – weg davon, jemandes Handlanger zu sein. Kloninnen oder Klone, obzwar theoretisch eine exakte biologische Kopie, sind nicht die jüngeren Hüllen ihrer Erzeugerinnen und Erzeuger, sondern eigenständig handelnde Lebewesen mit eigenem Erfahrungshorizont – wie es etwa die kanadisch amerikanische Serie „Orphan Black“ (2013–2017) zeigt.

Und seit sich der Bordcomputer Hal 3000 in Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) gegen die beiden Astronauten des Raumschiffs Discovery wandte und damit den Schritt vom Dienen zur eigenen Entscheidung vollzog, ist der programmierte (und damit ja fremdbestimmte, menschlicher Steuerung unterworfene) Computer oder seine bewegliche bis humanoide Version des Roboters oder Androiden unterwegs zum Selbst – anrührend zu erleben in Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982), Steven Spielbergs „A. I.“ (2001) oder Kogonodas „After Yang“ (2021).

Bildchen und Projektionen - von Avataren und Abbataren

Der Begriff Avatar wird inzwischen vielseitig gebraucht: In Internetforen, sozialen Netzwerken und Blogs ist der Avatar der grafische Repräsentator des jeweiligen Nutzers, ein Bildchen, nicht mehr als ein visuelles Alias. In Onlineshops trifft der Kunde auf Avatare, hinter denen – so die Hoffnung – eine echte Person steckt, die ihm Fragen beantwortet. Eine Art vertrauensbildende Maßnahme, um zögernde Käufer zu binden.

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Vertrauen ist nicht immer angebracht. Da sind die sensationellen Abbatare in der Londoner Abba-Arena, die seit Mai die Popwelt begeistern – jung wirkende, zum Greifen echte Ebenbilder der vier Abba-Bandmitglieder. Ihre Bewegungen wurden mithilfe derselben Motion-Capture-Verfahrens von den originalen Musikerinnen und Musikern auf ihre digitalen Verjüngungen übertragen, wie schon zur Millenniumswende der britische Schauspieler Andy Serkins dem computeranimierten mittelirdischen Mordfrosch Gollum für die „Herr der Ringe“-Filme geschmeidige Bewegungen beibrachte.

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Sie sind bei ihren Auftritten allerdings in keiner Weise mit den echten Agnetha, Annifrid, Björn oder Benny in Schweden verbunden. Noch mit sonstwem, der auf der Bühne in die Abba-Imitate „geschlüpft“ sein könnte. Es sind Projektionen – im Prinzip ein höchst aufwendiges CGI-Musikvideo, das einen glauben lässt, einem Konzert von Abba beizuwohnen. Perfekte Illusion, Kino ohne erkennbare Leinwand. Was für die (unglaubliche) Wirkung kein bisschen wichtig ist.

Oder, um den Benny-Abbatar zu zitieren: „To be or not to be – that‘s no longer the question.“

Der Film „Avatar: The Way of Water“ startet heute (14. Dezember) in den Kinos

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