Wie „Freiheit“ von Westernhagen: zehn (mit Absicht) missverstandene Songs
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Sänger Marius Müller-Westernhagen postete am Freitag ein Foto von sich bei der Impfung mit dem Hashtag „Freiheit“.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Marius Müller-Westernhagen mit Maske, den Arm zum Impfen freigelegt. Damit gab der deutsche Rockmusiker kürzlich nicht nur ein Statement für die Corona-Impfung ab – er machte auch eindeutig klar, wie er seinen Song „Freiheit“ von 1987 verstanden wissen will. Das Lied, das 1990 in einer Liveversion zu einer Hymne der Wiedervereinigung wurde, soll auf keinen Fall dazu verwendet werden, das Selbstverständnis der Impfgegner zu untermauern. Popsongs sind vor allem für Politiker und Parteien ein gern genutztes Mittel, eigene Botschaften zu verbreiten, auch in der Hoffnung, dass die Fanbasis der Künstlerinnen und Künstler oder Bands darauf hereinfällt. Zehn Beispiele:
... „Aber“: Die AfD nahm sich aus Eko Freshs Song „Aber“, in dem der Rapper für Toleranz und Miteinander eintritt, die erste Strophe, in der ein Schauspieler in die Rolle eines AfD-Wählers schlüpft. Darin heißt es „Als Allererstes will ich klarstellen, ich bin kein Nazi, aber / Mich stören die Alibabas mit ihrem Islam-Gelaber / Es kann nicht wahr sein, dass die so viele Kinder kriegen / Und ihre Frauen laufen fünf Meter hinter ihnen“. Das integrierte die Partei 2018 in ein Video mit Parteilogo. Die eigentliche Absicht des Lieds – „wir müssen immer miteinander reden“ – blieb außen vor, der gegenteilige Eindruck wurde erweckt. Weil nicht klar war, wer den Song hochgeladen hatte, konnte Eko Fresh nicht klagen, wie er damals in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ verriet.
... Angie: Der Rolling-Stones-Song erzählt von einer gescheiterten Beziehung und einem Liebhaber, der trotz des Beziehungsendes tröstend wirken will: „Oh, Angie, weine doch nicht / deine Küsse schmecken immer noch süß“. 2005 wurde die wohl bekannteste Ballade von Mick Jagger und Keith Richards in Angela Merkels Wahlkampf verwendet. Die Stones haben nicht geklagt, wohl aber sich über die Nutzung beklagt.
... Atemlos (durch die Nacht): 2014 nutzte die NPD Helene Fischers größten Hit im Thüringer Landeswahlkampf. Die Sängerin wehrte sich vor dem Oberlandesgericht – und gewann. Dabei ging es auch um Rufschädigung. Bei „Querdenker“-Demos wird das Lied parodiert: „Maskenlos durch die Stadt“. Gesungen wird die Version eine Künstlerin unter dem Pseudonym C. O. Rona.
... Bella Ciao: Die alte italienische Partisanenhymne gegen Nazis und Faschisten aus den späten Tagen des Zweiten Weltkriegs ist auf „Querdenker“-Demos zu hören und gehört offenbar zum verqueren Selbstverständnis der Impfgegner und Corona-Leugner als Widerständler. Völlig unerträglich wird das, wenn man bedenkt, dass bei solchen Demos auch „Reichsbürger“ und Neonazis mitmarschieren. Die Autorenschaft dieses lyrisch nicht dezidiert linken Freiheitslieds ist unbekannt. Wo kein Kläger ...
... Born in the USA: Bruce Springsteen erzählte 1984 von einem Vietnam-Veteranen, der in seiner Heimat kein Bein mehr auf den Boden bekommt. Präsident Ronald Reagan lobte den hymnenhaften Song wegen seiner „Botschaft der Hoffnung“ (offenbar hatte er den Text nicht verstanden). Donald Trump spielte den Song bei Auftritten, „Born in the USA“ wurde unter anderem vor dem Hospital gespielt, wo Trump wegen Covid-19 behandelt wurde. Immer wieder benutzten Politiker des rechten Flügels in Amerika das Lied (allerdings nie in der fiebrigen Bluesversion) – das wohl anhaltendste Rock-‘n‘-Roll-Missverständnis.
... Gekommen, um zu bleiben: „Gekommen, um zu bleiben – wir gehen nicht mehr weg / Gekommen, um zu bleiben – wie ein perfekter Fleck“ – dieser durchaus ambivalente Refrain der viel zu früh vollendeten oder immer noch pausierenden deutschen Band Wir sind Helden wurde von der NPD offenbar als Prophezeiung der eigenen Zukunft missbraucht, wobei die Metapher „perfekter Fleck“ möglicherweise der von Rechten gern eingenommenen Opferrolle Rechnung tragen sollte. Das Lied wurde 2014 von der NPD bei Wahlkampfveranstaltungen in Thüringen benutzt. Die Band klagte beim Landgericht Erfurt und erwirkte eine einstweilige Verfügung. 250.000 Euro Strafe bei erneuter Nutzung.
... Get Up, Stand Up: Bob Marleys Klassiker fordert dazu auf, sich politisch nichts gefallen zu lassen, selbst zu denken, selbst zu handeln und sich die Wahrheit nicht verdrehen zu lassen. „Prediger, erzähl mir nicht / dass der Himmel unter der Erde ist / Ich weiß, dass du nicht weißt / was Leben wirklich wert ist“. Der Reggaekönig würde sich wohl im Grabe umdrehen, wüsste er, dass sein Song bei „Querdenker“-Demos gespielt wird – wohl weil die Demonstranten sich im Besitze der Corona-Wahrheit wähnen. Dabei könnte man ihnen, die per Impfweigerung Krankheit und Tod anderer billigend in Kauf nehmen, auch mit Marley sagen: „I know you don‘t know what life is really worth.“
... Ring of Fire: Zwischendurch Erheiterndes zu einem von Johnny Cashs coolsten Songs und größten Hits. Darin geht es um das Gefühl, dass die Liebe etwas Brennendes ist. Wie ein Kind sei er in die Liebste vernarrt gewesen, singt Cash, aber dann „oh – schlugen die Flammen hoch“. Ein pharmazeutisches Unternehmen wollte den Song 2004 für Hämorrhoidenmittel einsetzen lassen. Weil da eben auch was Ringförmiges brannte. Cashs Co-Komponist fand es lustig, die Cash-Familie aber klagte – mit Erfolg.
... Tage wie diese: Dieser wohl muckeligste Song der Toten Hosen mit seinem gemeinschaftsgefühlstiftenden, nostalgischen Text wurde sowohl von SPD als auch von CDU im Wahlkampf 2013 gespielt – Campino und seine Mannen antworteten via Facebook: „Wir empfinden es (...) als unanständig und unkorrekt, dass unsere Musik auf politischen Wahlkampfveranstaltungen läuft. Hier wird sie klar missbraucht und von Leuten vereinnahmt, die uns in keiner Weise nahestehen.“ Rechtlich könne man leider nicht vorgehen – man hätte eine Anfrage vor Verwendung aber als anständig empfunden.
... Testament: „Macht ihr ruhig Pläne, ich steh am Rand / Ich sehe euch und ich bin nicht allein / Hinter mir stehen mehr und mehr Weltfremde / Die passen auch nicht hinein“ – diese Zeilen von Sarah Leschs „Testament“ passten offenbar auch irgendwie zum Selbstverständnis von Rechten, die sich gern als Opfer sehen, aber ebenso gern auch prophezeien, dass ihre Zahl zunehmen wird. Den sechsminütigen Chanson, in dem Lesch sich kritisch über Angepasstheit und Konsum äußert und über die Probleme, die freigeistige Menschen in einer konformen Gesellschaft haben, schrieb die Leipzigerin für ihren Sohn und über die unsichere Zukunft, in die er hineinlebt. 2016 hatte sie mit dem Lied in Wien den „Protestsong-Contest“ gewonnen. Im selben Jahr wurde er von offen rechtsextremen Gruppen auf ihren Seiten geteilt. Die geschockte Sängerin reagierte auf Facebook: „Wer meine Lieder singt, macht sich mir gemein und nicht umgekehrt!“ Genau so!