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70 Jahre nach Luftangriff

Als der „totale Krieg“ nach Hannover kam

Nach dem Luftangriff am 26.7.1943 brannte das Cafe Kröpcke völlig aus. Die Kröpcke-Uhr, rechts im Bild, blieb erhalten.

Nach dem Luftangriff am 26.7.1943 brannte das Cafe Kröpcke völlig aus. Die Kröpcke-Uhr, rechts im Bild, blieb erhalten.

Hannover. Die Wolke kam von Norden. So unglaublich schwarz und dunkel, dass Heinz Kellner sie nie vergessen sollte. Er blickte aus Döhren Richtung Innenstadt, dorthin, wo amerikanische Bomber ihre Höllenfracht über der Stadt abgeworfen hatten. Zwölf Jahre alt war Kellner damals, er musste an diesem Tag nicht zur Schule. Und jetzt war da diese ferne, scheinbar undurchdringliche Wand aus Rauch und Staub. „Ich dachte, man müsste doch ersticken in der Wolke.“ Die Leute flüchteten vor dem Feuer und dem Qualm ans Ufer der Leine, wo sie freier atmen konnten, und der junge Heinz Kellner sah manche Menschen bis nach Döhren fliehen.

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Am 26. Juli 1943, heute vor 70 Jahren, um 11.48 Uhr wurde in Hannover Luftalarm ausgelöst. Wieder einmal. Seit Kriegsbeginn hatten die Sirenen auf den Dächern 364-mal losgeheult, aber der erste und bis zu diesem Julitag auch letzte Angriff lag zwei Jahre zurück, als Bomben auf die Oststadt fielen und 101 Menschen starben. Aber noch nie hatten Flugzeuge am Tag angegriffen. Und so gab es in der Bevölkerung verschiedene Meinungen darüber, wie ernst diese amtlichen Warnungen zu nehmen wären.

Kellner erinnert sich, wie es bei Alarmen oft hieß in Hannover: „Die fliegen nach Berlin.“ Auch der Rundfunk brachte solche Nachrichten. Andere hofften, dass englische Flieger Hannover verschonen würden, weil man doch eine gemeinsame Geschichte mit dem Königshaus habe. Schließlich behielten an diesem schönen Montagmittag und auch später, in den noch schlimmeren letzten Kriegsjahren, die Pessimisten recht. Hannover würde ebenso Ziel von Luftangriffen werden wie andere deutsche Städte, denn auch Hannovers Industrie produzierte für Hitlers Weltkrieg elementare Rüstung, darunter Reifen, Batterien, Kettenfahrzeuge.

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92 viermotorige B-17-Kolosse öffneten oben am Himmel über den Kriegsbetrieben ihre Bombenschächte. In Vahrenwald bei der Conti traf ein Sprengkörper einen Keller und löschte mit einer einzigen Detonation mehr als 120 Menschenleben aus, die dort Schutz gesucht hatten. Der Verband griff den Hauptgüterbahnhof an, die Eisenwerke Lindner und die Hanomag. Auch auf die Innenstadt fielen Bomben. Das Protokoll der US-Piloten notierte für diesen Angriff: 288 Sprengbomben, 32 Flüssigkeitsstabbomben und 25 000 Stabbrandbomben. Die Attacke aus der Luft kostete 273 Menschen das Leben, Hunderte trugen schwere Verletzungen davon. 4000 Wohnungen wurden vernichtet. Noch ein halbes Jahr zuvor hatte Hartmann Lauterbacher, Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar, die Hannoveraner im Kuppelsaal und an anderen Orten zusammengetrommelt, um „Maßnahmen zur totalen Kriegführung“ zu verkünden. So stand es auf Plakaten überall in der Stadt. An diesem Julitag war der „totale Krieg“ nach Hannover gekommen. Deutschland holte ein, was es 1939 losgetreten hatte.

Als Heinz Kellner, ein Pimpf bei der Hitler-Jugend, am nächsten Morgen zum Aufräumen ins Zentrum gerufen wurde, sah er den ganzen Schaden, den die Flieger angerichtet hatten. Hannovers Herz war getroffen. Wo tags zuvor noch prächtige Gebäude gestanden hatten, waren Ruinen. Keine Stunde dauerte der Angriff, aber er genügte, um das Zentrum in Schutt und Asche zu legen. Schwer beschädigt oder vollständig zerstört waren Oper, Altes Rathaus, die Marktkirche, Markthalle, Hauptbahnhof und Leineschloss, das Polizeipräsidium, Prinzenpalais und Wangenheimsches Palais. Auch das Café Kröpcke wurde von Bomben in Stücke gesprengt. Bauten, die zum Teil seit Jahrhunderten das Stadtbild von Hannover geprägt hatten. Manche Gebäude wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut, andere blieben für immer verloren.

Warum der Angriff der Amerikaner auch zivile Objekte traf, ist bis heute nicht geklärt. War es ein Fehler unerfahrener Besatzungen, die sich mit den Bombenabwürfen um wenige Flugsekunden verschätzten? Oder wollten sie den Deutschen eine Lektion erteilen, ähnlich wie es später zur Strategie der englischen Luftwaffe gehören sollte, durch Flächenbombardements die Kriegsmoral der Bevölkerung zu erschüttern?

Auch Sigrid Schultz aus der Nordstadt war in diesem Kriegssommer zwölf Jahre alt. Als die Sirenen losheulten, hieß es: runter in den Keller. „Ich schnappte mir meinen kleinen Bruder, und wir rannten los, unsere Mutter wollte nachkommen und noch schnell das Essen auf dem Herd abstellen.“ Die Flugzeuge waren schneller. Die Kinder waren schon im Keller angekommen, da schlug die Bombe ein. Im Treppenhaus zerriss es Sigrids Mutter die Lungenflügel, im Keller wurde das junge Mädchen mit dem Zweijährigen an der Hand verschüttet. Helfer gruben sie aus, sie gingen in den nahe gelegenen Bunker. Dort lagen bereits einige geborgene Leichen, eine Frau war darunter, die Tochter fragte sich, ob das wohl ihre Mutter sei. Als die Flieger weg waren, ging Sigrid mit ihrem Bruder zu dem Haus zurück, aus dem sie geflohen waren. „Da standen wir vor den Trümmern und haben gewartet. Worauf, wussten wir auch nicht.“ Sie musste durch zwei Leichenhallen gehen, ehe sie ihre Mutter wiedersah. Auf dem Friedhof in Stöcken war sie nicht, man fuhr weiter zur Seelhorst, und dort lag sie dann. Sigrid Schultz sagt, sie habe ihre Mutter am Kleid erkannt. Auguste Krull, gestorben mit 43. Gauleiter Lauterbacher verklärte ihren Tod in einer Annonce als angebliches Opfer für „den Sieg ihres Volkes“. Dabei war sie einfach nur tot.

Sie reden noch oft von dieser Zeit, Heinz Kellner und seine Schulfreunde und Sigrid Schultz, der es vorkommt, als wäre alles erst gestern passiert. Es geht um den Krieg, die Toten in der Familie, die Luftangriffe, angstvolle Stunden in Bunkern und Kellern, Leichen, die von halbwüchsigen Schülern geborgen wurden, und Knaben, die Blindgänger aus Ruinen schleppten. Kellner sagt über diese Generation: „Wir Kinder haben den Krieg miterlitten.“ Mancher Streit der Gegenwart kommt ihm da in diesen Tagen erstaunlich vor. Ein Klo vor die Oper? „Na ja.“

HAZ

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