Behalt’s für dich!
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Geheimnisse können zu einer echten Belastung werden.
© Quelle: Alexander Körner
Hannover. Bis zu welchem Punkt darf man ein Geheimnis für sich behalten? Darf ich das Geheimnis eines Freundes verraten, um jemand anderen zu schützen? Auf diese Fragen musste ich Antworten finden, als ich von Johanna ins Vertrauen gezogen wurde.
Ihr Geheimnis ging weit über heimliche Schwärmereien hinaus: Von ihrem Exfreund hatte sie sich viral mit Gebärmutterhalskrebs angesteckt. Selbstverständlich versprach Johanna zu schweigen. Als ich jedoch mitbekam, dass zwei andere Frauen mit ihrem Ex schliefen, begann ich, mir Sorgen zu machen.
Vor allem, weil Johanna sehr leichtfertig mit ihrem Geheimnis umging: Sie hatte nicht vor, die beiden anderen vor der möglichen Gefahr zu warnen. Immerhin ging es um Krebs. Mir stellte sich die Frage, ob ich Johanna die Treue halte und weiter schweige oder ob ich ihr Geheimnis verrate, um andere vor Schaden zu bewahren. Es komplett zu verheimlichen wäre falsch gewesen, da war ich mir sicher. Aber ich wollte nicht diejenige sein, die verrät, was Johanna verheimlichte. Auch ein offenes Gespräch mit ihr half nicht. Ich verstand, dass es eine Überwindung sein muss, etwas so Persönliches preiszugeben. Ihr riesiger Stolz, den sie nur einmal hätte überwinden müssen, um anderen zu helfen, konnte ich nicht nachvollziehen. Ich wog ab: Was haben die anderen in diesem Beziehungsdreieck davon? Warum ist das Gefühl so stark, sich einmischen zu wollen? Dann stellte ich Johanna vor eine Entscheidung – entweder sie warnte die beiden Frauen selbst, oder ich würde es tun. Letztendlich habe ich den Mund aufgemacht. Und meine Freundin dadurch verloren. Aber ich muss mir nicht vorwerfen, leichtfertig mit der Gesundheit anderer umgegangen zu sein.
ZiSH
Mitgegangen, mitgefangen
Lach jetzt bitte nicht, aber ich hab’ mich gerade bei ,X-Factor‘ angemeldet“, gestand mir Marie. „Nur zum Spaß. Ich möchte es einmal ausprobieren. Und du kommst mit.“ Ein Grinsen konnte ich mir trotzdem nicht verkneifen. Singen konnte sie schon immer. Aber an einer Castingshow teilnehmen? Natürlich würde ich sie trotzdem begleiten. Dafür sind beste Freundinnen schließlich da. „Ach so, und erzähl es bloß niemandem! Die denken noch, ich bin eingebildet“, sagte Marie. Ab jetzt hatten wir also ein Geheimnis. Auf einmal war nicht nur das Casting aufregend, sondern die ganze Planung. Schließlich durfte niemand davon erfahren.
Für das „X-Factor“-Casting mussten wir nach Hamburg fahren – um 11 Uhr, mitten in der Woche. Da war für Schule natürlich keine Zeit. Meiner Mutter erzählte ich, dass ich zur zweiten Stunde hätte und nach der Schule zu einer anderen Freundin gehen würde. „Bin krank!“, schrieb ich meinen Freunden im Bus auf dem Weg zum Bahnhof per SMS. Dort traf ich sogar noch einen Bekannten. Sollte unser Plan doch zunichtegemacht werden? Nach einigen Schrecksekunden verwarfen wir den Gedanken aber wieder. Er ging ja nicht einmal in unseren Jahrgang. Am Bahnhof guckten Marie und ich uns verstohlen um. Nicht, dass uns doch noch jemand sah! Am Drehort angekommen sahen wir die ersten Kameras. Wir stellten uns nach ganz hinten, um nicht entdeckt zu werden. Im Bauch spürte ich ein Kribbeln, wie damals beim Versteckspiel. Das Casting an sich war unspektakulär, bestand hauptsächlich aus stundenlangem Warten. Auch wenn Marie nicht in den „Recall“ kam, blieb uns der Tag im Gedächtnis. Da war eine Sache, von der nur wir beide wussten. Es mag zwar nicht das wichtigste Geheimnis der Welt sein, trotzdem hat es uns zusammengeschweißt.
Wenn sich jetzt Freunde über Castings auslassen, blicken Marie und ich uns verschwörerisch an. „Wer geht bloß zu so etwas?“, fragen alle, und wir bleiben stumm. In meinem Zimmer klebt noch ein kleiner „X-Factor“-Sticker, den hab’ ich damals bekommen. Ab und zu fragt jemand, wieso ich ihn hab’. Ich grinse dann, verrate aber nichts. Schließlich ist es unser Geheimnis.
ZiSH
Geheimnis für fünf Minuten
Sandra. Ihr Name steht beim Wichteln auf meinem Los. Wer von wem beschenkt wird, soll natürlich geheim bleiben. Doch alles, was damit zu tun hat, andere zu überraschen, bringt mich in eine Zwickmühle. Denn ich kann es einfach nicht für mich behalten.
Vor lauter Vorfreude über die Geschenkideen verrate ich sie meistens auch ohne das Drängeln meiner Freunde. Spätestens nach meinem schelmischen Dauergrinsen in ihre Richtung weiß Sandra Bescheid, dass sie von mir beschenkt wird.
Gerne würde ich mal jemanden mit einem Geschenk so richtig verblüffen. Aber sobald mir eine Geschenkidee in den Sinn kommt, steigt mein Mitteilungsbedürfnis immens. Versuche, das Thema einfach zu vermeiden, scheitern bereits nach kurzer Zeit. Die Vorfreude, andere zu beschenken ist genauso groß, wie selbst beschenkt zu werden. Schon Wochen vor Weihnachten hat bereits jeder in der Familie eine Ahnung, was für ihn unter dem Tannenbaum liegen wird. Auf Überraschungspartys sollte ich lieber als Letzte eingeladen werden.
Doch zum Glück nimmt mir die verpatzten Überraschungen und ausgeplauderten Geheimnisse niemand übel. Viel zu sehr amüsieren sich meine Freunde und Verwandten, wenn ich mich in Anwesenheit eines Geburtstagskindes mal wieder verplappere.
Auch Sandra feiert bald nach dem Wichteln ihren Ehrentag, und ich habe auch dafür schon eine super Idee für ein Geschenk. Aber die werde ich diesmal ausnahmsweise mal für mich behalten. Das versuche ich auf jeden Fall – zumindest für die nächsten fünf Minuten.
Marie Rode
Es liegt was in der Luft
Ich kenne ein Geheimnis von Katrin. Und dass, obwohl meine Kommilitonen es mir nie erzählt hat und ich eigentlich nicht weiß, ob es für sie überhaupt ein Geheimnis ist – oder ob sie einfach nicht mit mir darüber sprechen möchte. Linda hat es mir einmal beiläufig zwischen Nudeln und Salat in der Mensa erzählt. Doch auch sie wusste es nicht direkt von Katrin – es war ein Stille-Post-Spiel mit einer tragischen Geschichte: Katrins Mutter ist vor ein paar Monaten gestorben.
Seitdem trete ich ihr gegenüber anders auf. Ich vermeide es, von meiner eigenen Familie zu sprechen. Warum genau, kann ich nicht sicher sagen. Vielleicht ist es die Angst, bei ihr mit meinen Geschichten aus dem geregelten Familienleben in offenen Wunden zu bohren. Ich möchte nicht, dass sie sich wegen mir und dem, was ich erzähle, schlechter fühlt.
Meine Unsicherheit kommt mit dem vermeintlichen Nichtwissen. Schließlich weiß ich gar nicht genau, ob es für Katrin wirklich ein Geheimnis oder gar ein Tabuthema ist. Manchmal frage ich mich auch, warum sie es bisher noch nicht von sich aus erzählt hat. Fehlt ihr etwa das Vertrauen zu mir? Ist es für sie eine traurige Selbstverständlichkeit geworden, die nicht erwähnenswert ist? Oder versucht sie einfach, die Ereignisse zu verdrängen? Vielleicht gab es bisher auch keine passende Gelegenheit, und sie weiß nicht, wie sie davon erzählen soll.
Schließlich kann ich mich sonst fröhlich und ungezwungen mit ihr unterhalten. Wir sind zwar nicht die besten Freundinnen, trotzdem sehen wir uns so gut wie jeden Tag in der Uni und haben gemeinsame Seminare und Vorlesungen.
Seitdem ich vom Tod ihrer Mutter weiß, beobachte ich Katrins Verhalten genau. Was macht sie anders als früher? Möglicherweise ahnt sie inzwischen, dass ich Bescheid weiß, und spricht gerade deshalb nicht mit mir über das Unglück.
Fast habe ich mich schon an dieses Schweigen gewöhnt – brechen würde ich es jedenfalls nicht. Ich möchte sie auch nicht dazu drängen, darüber sprechen zu müssen. Stattdessen warte ich lieber auf den Moment, in dem Katrin die offene Spannung endlich von sich aus löst.
ZiSH
HAZ