Bunte Bilder aus brauner Zeit
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Verführte Jugend: Mit NS-Flaggen zogen Halbwüchsige durch die Straßen - in Farbe wirken die Bilder im Dokumentarfilm „Niedersachsen im Dritten Reich“ ungewohnt und verstörend.
© Quelle: AugenBlick Produktion Höffkes/morisel Verlag
Hannover. Als er die Bilder zum ersten Mal sah, war er wie elektrisiert: Jahrzehntelang hatten die Filmaufnahmen in einem Archiv geschlummert. Bilder von Segelbooten, die in der „Gauhauptstadt Hannover“ über den Maschsee ziehen. Flatternde Hakenkreuzflaggen vorm Opernhaus. Und vor allem Bilder vom Beginenturm, vom Ballhof und von engen Altstadtgassen: „Bislang waren keine Farbfilme bekannt, die Hannovers Altstadt vor der Zerstörung zeigen“, sagt Dirk Alt. Der Dokumentarfilmer hat einen spektakulären Fund gemacht.
Ins kollektive Gedächtnis der Deutschen ist das Dritte Reich in SchwarzWeiß eingegangen. Gespenstische NS-Aufmärsche, Fotos von der Front und Filme von Trümmerwüsten - all das wurde selten in Farbe aufgenommen. Meist hielten Filmemacher erst den Lebenshunger und die Aufbaustimmung der Nachkriegszeit in bonbonbunten Bildern fest. Auch deshalb wirken Menschen und Ereignisse der NS-Zeit auf die Nachgeborenen oft fern und fremd. Umso berührender sind dann Farbaufnahmen aus dem Dritten Reich, wie jene, die der Dokumentarfilmer und Historiker Dirk Alt im Archiv der Filmagentur Karl Höffkes im Münsterland entdeckt hat.
Die Bilder zeigen ein Radrennen in der Eilenriede, Familien, die vorm verschneiten Kuppelsaal spazieren gehen oder Impressionen aus dem Zoo, dessen Besuch vielen Hannoveranern bis weit in den Krieg hinein eine Abwechslung bot. Friedvoll würden diese Bilder wirken - würden da nicht auch Hakenkreuzflaggen überm Neuen Rathaus wehen, Menschen in NS-Uniformen durchs Bild laufen oder Schilder vor Blindgängern warnen. Es ist verstörend, wenn vertraute Orte plötzlich in ganz aktuell wirkenden Farbbildern zur Kulisse von Szenen aus der NS-Zeit werden.
Doku aus dem „Gau Süd-Hannover-Braunschweig“
Auf der DVD „Niedersachsen im Dritten Reich“ hat Dirk Alt, der an der Leibniz-Uni über frühe Farbfilme und NS-Propaganda promoviert hat, die Aufnahmen jetzt veröffentlicht. Die 65-minütige Dokumentation zeigt historische Filmdokumente aus dem „Gau Süd-Hannover-Braunschweig“. Neben den Farbbildern aus Hannover finden sich auf der DVD auch viele Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Bilder aus anderen Städten: Faschistische Funktionäre aus Italien besuchen das Göttinger Rathaus, Flaneure schlendern über Hildesheims Marktplatz oder an Hamelns Fachwerkhäusern entlang. Auch aus Bad Pyrmont, Braunschweig oder Goslar sind bewegte Bilder zu sehen, die sich auf den ersten Blick teils pittoresk ausnehmen.
„Alte Aufnahmen der unzerstörten Innenstädte wirken in Dokumentarfilmen oft idyllisch und unpolitisch“, sagt Dirk Alt. Sein Film jedoch zeigt, wie eng Politik und Privatleben im Dritten Reich miteinander verwoben waren: Ein guter Teil der DVD zeigt Aufnahmen aus einer Filmchronik, welche die NSDAP-Ortsgruppe in Laatzen in den Dreißigern drehen ließ. Da marschiert die SA über die heutige Alte Rathausstraße, HJ-Trommler treten vorm Rathaus an, und NS-Funktionäre legen Kränze am damals neu errichteten Kriegerdenkmal nieder.
Albernheiten und Eintopf unterm Hakenkreuz
Über die Jahre werden die Aufmärsche immer straffer organisiert. Die Aufnahmen zeigen, wie der Alltag der Menschen über die Jahre fast paramilitärisch normiert wurde. Und sie zeigen, dass Aktionen wie das gemeinschaftliche Eintopfessen auf große Zustimmung stießen. „Dennoch kann man nicht von einer totalen Gleichschaltung sprechen“, sagt Alt. So fing die Kamera der NSDAP-Propagandisten ungewollt auch ein, wie BDM-Mädchen während der Übertragung einer Hitler-Rede herumalbern und sich gegenseitig ausgelassen schubsen. Wie ganz normale Jugendliche eben.
Die DVD „Niedersachsen im Dritten Reich“ (65 Minuten), die unter anderem die bislang unbekannten farbigen Filmbilder aus dem Hannover vor der Zerstörung zeigt, kostet im HAZ-Shop 12,90 Euro. Zu beziehen ist der Film von Dirk Alt im Internet und in unseren Geschäftsstellen, unter anderem in der Langen Laube 10.
HAZ